Leipzig und Brünn: 50 Jahre Partnerschaft. Und nun?
Zwischen Gemeinden in Deutschland und in Tschechien gibt es über 150 Städtepartnerschaften. Eine davon ist die zwischen dem sächsischen Leipzig und dem mährischen Brno / Brünn. Am 23. November 1973 – also vor 50 Jahren – wurde der Vertrag über die gemeinsame Kooperation abgeschlossen. Aber was ist heute davon übrig geblieben? Was bedeutet so eine Städtepartnerschaft überhaupt in der Praxis? Und wie begehen beide Städte das Jubiläum? Das sind einige der Fragen, auf die eine halbstündige Sondersendung von Radio Prag International Antworten sucht. Die komplette Sendung hören Sie in der Audioversion.
50 Jahre hat die Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und Brünn mittlerweile auf dem Buckel. Heute sei sie gut aufgestellt, sagt die Oberbürgermeisterin von Brünn, Markéta Vaňková (Bürgerdemokraten): „Unsere Stadt hat insgesamt 13 aktive Städtepartnerschaften. Die Zusammenarbeit mit Leipzig ist wirklich eine der lebendigsten.“
Auch Gabriele Goldfuß schätzt die Verbundenheit mit Brünn. „Das ist meine Lieblingspartnerschaft“, sagt die Leiterin des Referats Internationale Zusammenarbeit im Partnerstadtquartier in Leipzig.
Aber wieso wurden 1973 gerade Brünn und die sächsische Messestadt Partner?
„Die gängige Lesart ist, dass von oben entschieden wurde. Danach sollte Leipzig als zweitgrößte Stadt der DDR eine Zusammenarbeit mit der zweitgrößten Stadt Tschechiens eingehen“, sagt Katja Roloff, die im Leipziger Referat Internationale Zusammenarbeit die Kooperation mit der mährischen Metropole betreut. Aktuell suche man in den Archiven nach weiteren historischen Unterlagen zur Städtepartnerschaft. Und allem Anschein nach habe es bereits vor 1973 zahlreiche Annäherungen gegeben, so Roloff:
„Die Kontakte reichen bis zurück in die 1950er Jahre. Damals gab es etwa einen Austausch der Orchester. Die Menschen sind sich also auch schon vorher begegnet, und von daher stimmt es vielleicht gar nicht, dass die Partnerschaft von oben entschieden wurde. Vermutlich waren viele Faktoren entscheidend.“
Von der eingeschlafenen Partnerschaft zu einer sehr aktiven
Nach der Samtenen beziehungsweise der Friedlichen Revolution fristete die Partnerschaft zwischen Leipzig und Brünn ein trostloses Dasein. In beiden Städten war das Interesse an exotischeren, ausgefalleneren Kooperation nun viel größer, orientiert wurde sich vor allem über den großen Teich. Dass sich das geändert hat, ist laut Monika Koppová, der Leiterin des Referats für Internationale Beziehungen am Magistrat von Brünn, mit einem konkreten Schlüsselmoment verbunden:
„Im Oktober 1999 haben die damaligen Oberbürgermeister der beiden Städte, Petr Duchoň und Wolfgang Tiefensee, einen neuen Städtepartnerschaftsvertrag unterschrieben. Damit begann ein weiteres Kapitel unserer Beziehungen.“
Dass der neue Vertrag entstand, hing auch mit der ursprünglichen Textfassung von 1973 zusammen. Die kommunistische Staatsideologie spiegelte sich stark in dem Dokument wider. Als Ziele der Partnerschaft seien dort etwa die Entwicklung der sozialistischen Demokratie oder die Verbesserung der Lebensbedingungen für die Arbeiterklasse genannt worden, so Monika Koppová.
Mit der Jahrtausendwende habe die Partnerschaft aber Aufwind bekommen, und spätestens seit dem 40. Jubiläum im Jahr 2013 laufe sie außerordentlich gut, meint Gabriele Goldfuß.
Literatur, Friedhöfe, Orgeln – Kooperation in allen Bereichen
Heute findet die Kooperation in allen nur erdenklichen Bereichen statt. Ein Fokus liege dabei auf der Literatur, sagt Goldfuß:
„Grund dafür ist vor allem die Gastlandfunktion, die Tschechien 2019 bei der Leipziger Buchmesse hatte. Im Zuge dessen haben wir gemeinsam mit der Mährischen Landesbibliothek ein Residenzprogramm für Autoren ins Leben gerufen, das bis heute besteht.“
Zeitgenössische Autoren zu fördern, ist Goldfuß dabei ein großes Anliegen:
„Es ist wichtig, diese Stimmen zu hören. Wir alle lieben Kundera. Aber wir müssen auch schauen, was heute produziert wird.“
Kooperation findet aber nicht nur auf dem Feld von Kultur und Literatur statt. Auch Schüler lernen sich kennen, ebenso wie Seniorenverbände. Zudem gibt es Fachaustausche, etwa zu Themen wie Friedhöfe oder Orgeln.
Die Orchester der Städte haben einen gemeinsamen Chefdirigenten
Das Jubiläumsjahr 2023 ist mit besonders vielen bilateralen Veranstaltungen gespickt. Bevorstehendes Highlight ist ein Konzert des MDR-Sinfonieorchesters am 13. Oktober in Brünn. Dabei handelt es sich gewissermaßen um ein Rückspiel. Denn im Januar war zu Eröffnung des Festjahres bereits die Philharmonie Brünn im Leipziger Gewandhaus zu Gast.
„Das Schöne an den beiden Orchestern ist, dass sie denselben Chefdirigenten haben: Dennis Russell Davies. Er selbst hatte die Idee zu diesem Austausch, der sich natürlich angeboten hat“, sagt Katja Roloff.
Sie scheint also lebendig, die Partnerschaft zwischen Brünn und Leipzig. Hört man sich in den Fußgängerzonen der beiden Städte um, wissen aber nur die allerwenigsten von der Kooperation. Gabriele Goldfuß sieht darin kein Problem:
„So schön das auch wäre – unser Anspruch geht nicht dahin, dass jeder Leipziger und jede Leipzigerin sowie alle Menschen in Brünn diese Partnerschaften kennen sollen. Vielmehr zielen wir auf Akteure, Multiplikatoren und alle jene ab, die ohnehin schon vor Ort ihre Stadt mitgestalten – und das in allen Bereichen, nicht nur in der Hochkultur. Wir möchten, dass diese Menschen den Horizont zum Nachbarland hin öffnen. So können wir wieder ein gemeinsames Mitteleuropa gestalten. Dafür braucht es direkte Kontakte und viel Klein-Klein, weshalb wir uns weniger auf die breite Masse, als auf konkrete Projekte konzentrieren.“
Die Brünner Straße: Zwischen Kleingartenanlage und Garagenkomplex
Das halbe Jahrhundert Partnerschaft hat sich an beiden Orten auch im Stadtbild niedergeschlagen. Um dies zu entdecken, muss man nur genau genug hinsehen. So gibt es in der mährischen Metropole etwa eine Straße, die den Namen „Lipská“ trägt und damit nach der sächsischen Partnerstadt benannt ist. In Leipzig wiederum kann man auf dem Stadtplan die „Brünner Straße“ entdecken. Diese Verbindungsroute stellt sich bei einem Besuch heraus als ein Nicht-Ort, wie er im Buche steht. An die Kleingartenanlage mit wehender Deutschlandfahne schließt ein Garagenkomplex an. Im Gewerbepark „Brünner Straße“ haben sich Unternehmen angesiedelt, von denen man nicht so wirklich weiß, was sie eigentlich verkaufen wollen. Autos rauschen auf den vier Fahrstreifen langhin, in der Mitte wuchert wild die Flora.
Brünn – das Leipzig Tschechiens?
Auf den Fußwegen, die in beide Richtungen führen, begegnet einem nur selten eine Menschenseele. Es sei denn, man hat sich mit Susanne Bierlmeier verabredet, einer Wahl-Leipzigerin, die auch in Brünn studiert hat. Wie ähnlich sind sich die beiden Städte denn? Während der Erkundung der Brünner Straße sagt Bierlmeier dazu im Interview für Radio Prag International:
„Schon bevor ich umgezogen bin, habe ich von einigen Leuten gehört, dass Brünn das Leipzig Tschechiens sein soll. Vermutlich ist damit gemeint, dass es hier wie da eine große Kultur- und Kneipenszene gibt, die Städte aber zugleich etwas ruhigerer sind als ihre noch lebendigeren Pendants – Berlin und Prag. Vielleicht ist da etwas dran.“
Der Partnerschaftsverein verbindet einzelne Akteure
Wer aufmerksam durch die Brünner Straße in Leipzig spaziert, kann kurz vor deren nördlichem Ende einige neu gepflanzte Bäume entdecken. Feldahorne, um genau zu sein. Gewidmet sind sie der Städtepartnerschaft zu Brünn, worauf auch eine Plakette aufmerksam macht.
Bei der feierlichen Pflanzung der Bäume im April war auch Stefanie Bose dabei. Sie leitet den Städtepartnerschaftsverein, den es erst seit einem Jahr gibt.
„Wir wollen die Akteure miteinander verbinden, die sich in dieser Partnerschaft engagieren. Denn in den über zehn Jahren, in denen ich selbst in der Zusammenarbeit mit Brünn aktiv bin, ist mir aufgefallen, dass viel parallel passiert, oftmals aber die Verknüpfung fehlt“, beschreibt die Leipzigerin das Anliegen ihres Vereins.
Die Gruppe von rund 15 Mitgliedern beteiligt sich aktiv an der Ausgestaltung der Kooperation mit. So findet Mitte Oktober eine Bürgerreise nach Südmähren statt, die gemeinsam mit der Stadt Leipzig organisiert wird. Das Interesse daran sei groß, so Bose. In die mährische Metropole werden dann nicht nur die Bewohner Leipzigs reisen, sondern auch ihr Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) und mehrere Stadträte.
Für die Zukunft ihres Vereines wünscht sich Bose, dass sich auch auf der tschechischen Seite eine Partnerorganisation gründet. Und im Allgemeinen für die Zusammenarbeit?
„Ich hoffe, dass diese vielfältigen Kontakte nicht abreißen – egal was auch politisch passieren mag. In dem gemeinsamen Austausch sehe ich ein großes Potential, und ich wünsche mir, dass diese Freude erhalten bleibt, die andere Stadt immer wieder kennenzulernen und mit ihr in Kontakt zu sein.“
Den ungekürzten halbstündigen Beitrag hören Sie in der Audioversion des Artikels. Alle Informationen zum Städtepartnerschaftsverein finden sich online unter www.leipzig-brno.de. Dort kann auch das Programm eingesehen werden, das sämtliche Veranstaltungen im Rahmen des Jubiläumsjahres enthält.