Lkw-Kartell: Schadensersatz für tschechische Kunden?
Auch Firmen aus Tschechien wurden wohl durch Preisabsprachen von Lkw-Herstellern aus den Jahren 1997 bis 2011 geschädigt. Einige von ihnen haben sich bereits zwei Klagen angeschlossen, die von der Financialright Claims GmbH gegen Daimler, Iveco und Co. geführt werden. Bis Ende Juli können sich aber weitere Betroffene noch zu einer dritten Klage melden.
Brüssel hat die Unternehmen bereits verurteilt. Sie mussten Milliardenstrafen zahlen. Die vermeintlich geschädigten Kunden haben allerdings bisher nichts erhalten. Das soll sich nun ändern. Der Rechte-Dienstleister Financialright Claims und die Anwaltskanzlei Hausfeld haben Klagen eingereicht. Der Anwalt Alex Petrasincu ist Partner von Hausfeld und kennt sich speziell in deutschem Kartellrecht aus:
„Es sind Klagen gegen mehrere große Lkw-Hersteller wegen ihrer Beteiligung an einem Kartell. Die Produzenten haben über 14 Jahre lang Preise abgesprochen und sich auch zur Einführung neuer Emissionssenkungstechnologien abgestimmt. Hierdurch ist zahlreichen Unternehmen und sämtlichen Abnehmern dieser Lkw höchstwahrscheinlich ein Schaden entstanden, und diesen fordern wir zurück.“Tausende Lkw aus Tschechien
Die Geschädigten sitzen auch in Tschechien. Hierzulande werden sie vor allem vom Spediteursverband Česmad betreut. Pavel Hrbotický hat sich dort mit der Angelegenheit beschäftigt:
„Nachdem die Kommission ihr Urteil veröffentlicht hatte, war das Interesse groß. Und zwar zum einen von den Anwaltskanzleien, die sich damit auskennen, aber auch von Seiten der Spediteure. Sie fragten uns, ob sich Česmad in irgendeiner Weise an Klagen beteiligen wird. Wir haben dann einige Firmen ausgewählt, bei denen – sagen wir – die Bedingungen am interessantesten waren. Und darauf haben wir unsere Informationen auch für die anderen gestützt.“
Die ersten beiden Klagen sind bereits beim Landgericht in München eingereicht worden. Die dritte sollte bereits Ende Mai geschlossen werden. Doch Financialright Claims und die betreuende Anwaltskanzlei Hausfeld aus Berlin und Düsseldorf haben die Frist noch einmal verlängert. Das soll bisher nicht entschlossenen Unternehmen auch aus Tschechien zugutekommen. Deswegen haben die Kläger in der vergangenen Woche in Prag noch einmal die Presse über ihr Vorgehen informiert. Alex Petrasincu:„Insgesamt haben sich an den beiden Klagen, die wir schon eingebracht haben, 8000 Unternehmen beteiligt mit knapp 150.000 Lkw. Davon sind mehr als 200 Firmen aus Tschechien, diese haben ungefähr 9000 Lkw angemeldet. Wir erwarten für die dritte Klage nochmal mindestens 200 tschechische Interessenten, mit einem Fuhrpark in ungefähr der gleichen Größenordnung.“
Dabei betont Pavel Hrbotický von Česmad:„Der Fall betrifft nicht nur Spediteure, sondern jeden, der im genannten Zeitraum einen Lkw mit über sechs Tonnen Gesamtgewicht gekauft oder im Einsatz hatte.“
Auf diese Weise kommt eine große Zahl an mutmaßlich Geschädigten zusammen. Genau das sei aber das Besondere, ergänzt der Jurist Jan-Eike Andresen von Financialright Claims:
„Revolutionär für das Recht ist, dass man sich selbst als Eigner eines einzigen Lkw beteiligen kann. Das ist vorher völlig undenkbar gewesen, weil der Aufwand für den Einzelnen im Verhältnis zum Ertrag natürlich in keinem Verhältnis gestanden hätte. So wird ein neuer Meilenstein gesetzt in der Diskussion über den ‚Access to Justice‘, wie man auf Englisch sagt – dem Zugang zum Recht. Es kommt also nicht darauf an, dass man entweder besonders stark geschädigt wurde oder viel Geld hat für sehr gute Anwälte. Vielmehr sind wir heute in der Lage, alleine aufgrund der Tatsache, dass jemand einen Anspruch hat, diesen ganz unabhängig von seinen eigenen finanziellen Möglichkeiten durchzusetzen. Das kannte das Recht bis heute nicht.“
Millionensummen im Spiel
Verklagt sind im Übrigen alle Lkw-Hersteller, die das erwähnte Bußgeld der EU-Kommission von 2016 akzeptiert hatten: Daimler, MAN, Volvo/Renault, DAF und Iveco. Das Kartell hatte Strafzahlungen der EU von 3,8 Milliarden Euro nach sich gezogen. MAN als Kronzeuge kam straffrei davon. Doch wie viel Geld dürfte für die Geschädigten herausspringen?„Die Schadensumme insgesamt beträgt eine Milliarde Euro. Zuzüglich Zinsen wären das 1,4 Milliarden Euro für die ersten beiden Klagen. Der Schaden pro Lkw unterscheidet sich sehr von Fall zu Fall. Durchschnittlich kann man aber pro Lkw von 10.000 Euro sprechen, inklusive der Zinsen“, so Anwalt Petrasincu.
Dabei schätzt Financialright Claims allein für tschechische Unternehmer eine Summe von bis zu 325 Millionen Euro Schadensersatz. Doch bei Česmad will man derzeit lieber nicht zu große Hoffnungen schüren.
„Wir haben schon viele Schätzungen gehört. Das reicht von äußerst nüchternen Zahlen wie 1000 Euro bis zu 10.000 Euro inklusive Verzugszinsen. Wie hoch die tatsächliche Schadensersatzsumme dann ist, lässt sich schwerlich vorhersehen. Dazu kann ich nur anfügen, dass sie je Lkw sehr unterschiedlich ausfallen dürfte“, meint Hrbotický.Allerdings: Die Hersteller haben zwar das Kartell zugegeben, bestreiten aber negative Auswirkungen für die Kunden. So erklärte MAN, die EU-Kommission habe nur Absprachen der Bruttopreise angeprangert. Da Endkunden aber nur individuell vereinbarte Nettopreise bezahlen würden, habe es sich bei dem Verstoß nicht um eine Preisabsprache im engeren Sinne gehandelt, erklärte dazu ein Sprecher des deutschen Lkw-Bauers.
Die Juristen von Financialright Claims jedoch halten ihre Chancen für groß. Sie verweisen zum Beispiel darauf, dass der renommierte Prozessfinanzierer Burford Capital in den Fall eingestiegen ist. Und dass gerade in Deutschland geklagt wird. Alex Petrasincu:
„Es gibt schon eine ganze Reihe von Entscheidungen deutscher Gerichte, die in der Mehrzahl zugunsten der Kläger ausgegangen sind. Wir haben eine sehr belastbare Schätzung unseres Ökonomen, die eben auch zu der genannten, sehr hohen Schadensumme kommt. Diese Kalkulation beruht wiederum auf der hohen Anzahl von Daten und Lkw, die wir eingesammelt haben und die das Ganze aus unserer Sicht recht unangreifbar machen dürfte.“Klägerfreundliches deutsches Recht
Zugleich betonen die Juristen, dass die Unternehmer kein Risiko eingehen, wenn sie sich der Massenklage anschließen. Denn ihren Mandanten entstünden dadurch keine Kosten. Warum aber klagen tschechische Unternehmer nicht im eigenen Land? Dazu noch einmal Alex Petrasincu:
„Aus unserer Sicht hat eine Klage in Deutschland sehr viel Sinn, da das dortige Gericht in diesem Fall höchstwahrscheinlich deutsches Recht anwenden wird. Das gilt auch für tschechische Unternehmen. Zwar bin ich kein Experte in tschechischem Recht, aber die hiesigen Anwälte, mit denen wir gesprochen haben, haben unsere Einschätzung bestätigt. Demnach ist das tschechische Recht in Bezug auf Kartellschadensersatzansprüche noch nicht so weit entwickelt wie zum Beispiel das deutsche, das in dem Bereich sehr klägerfreundlich ist.“
In der ersten Klage ist für den Herbst der erste Gerichtstag angesetzt. Wie lang sich die Verfahren hinziehen werden, kann aber niemand einschätzen. Durchaus drohen viele Jahre Wartezeit.