Mähren liegt am Meer! In See gestochen auf dem Baťa-Kanal

Jan Šulc

„Böhmen liegt am Meer“ lautet ein berühmtes Shakespeare-Zitat. Man muss kein Geografie-Profi sein, um zu wissen, dass dem nicht so ist. Dennoch hat Tschechien einige Wasserflächen zu bieten, an denen sich die Touristen tummeln. Eine davon ist der Baťa-Kanal in Südmähren.

Michal Nezval | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Dass dieser Ort der Erholung dient, sei ursprünglich gar nicht so gedacht gewesen, erklärt Michal Nezval von der gemeinnützigen Gesellschaft Baťa-Kanal:

„Eigentlich wurde diese Wasserstraße gebaut, um Braunkohle zu transportieren, und zwar aus den Gruben in Ratíškovice bis in die Baťa-Werke in Otrokovice und in das dortige Heizkraftwerk.“

Doch schon nach wenigen Jahren habe der Kanal seine Bedeutung verloren: „Noch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dort Güter transportiert. Kurz darauf ließ der Verkehr aber nach, da er nicht mehr rentabel war“, erklärt Nezval. „Der Baťa-Kanal wurde seinem Schicksal überlassen. In den 1990er Jahren kam dann die Idee auf, die Wasserstraße für den Tourismus in Stand zu setzen.“

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Nach und nach wurde der Kanal wieder schiffbar gemacht. Es entstanden Bootsverleihe, Häfen und Fahrradwege entlang der Wasserstraße. Immer mehr Menschen wurden in die Region gelockt…

„Mittlerweile ist der Baťa-Kanal auf seinen gesamten 53 Kilometern Länge schiffbar. Touristen sind hier etwa auf Hausbooten unterwegs, auf denen sie mehrere Tage reisen und die Region erkunden. Mit den Motorbooten machen sie kürzere Ausflüge“, berichtet Michal Nezval. „Und dann gibt es auch noch die Ausflugsschiffe. Man kann sich einen Fahrschein kaufen, der Besatzung das Fahren überlassen und muss sich um nichts Gedanken machen.“

Der Seefahrer aus Mähren

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Eines dieser Ausflugsschiffe heißt Noe, der tschechische Name für Noah. Der Kapitän ist Jan Šulc. Um ihn zu besuchen, muss man sich auf eine waghalsige Reise machen – denn er wohnt am Ende einer langgestreckten Landzunge in Vnorovy / Wnorau zwischen dem Baťa-Kanal und dem Fluss Morava / March. Radio Prag International hat mit Šulc bereits einmal vor über 20 Jahren gesprochen. Mittlerweile ist er verheiratet und hat Kinder. Was sich nicht verändert hat, ist die Liebe des Seemannes aus Mähren für „seinen“ Kanal:

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„Seit dem Kindergarten wollte ich Seefahrer werden, also so richtig auf dem Meer. Als ich dann zehn Jahre alt war, hat sich das geändert, und ich wollte eher auf Flüssen fahren. Ich habe gemerkt, dass mein Interesse dafür größer ist. Der Baťa-Kanal war sozusagen das nächstgelegene Meer. Es war damals ein großes Erlebnis, über den Kanal zu schippern, denn hier war niemand unterwegs. Alle waren auf hoher See, aber hier ist vor 25 Jahren keine Menschenseele mit dem Schiff unterwegs gewesen.“

Jan Šulc | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

So war der Kapitän als einer der ersten dabei, als der Tourismus auf der Wasserstraße in den 1990er Jahren Einzug hielt…

„Als wir zum ersten Mal mit Touristen von Vnorovy nach Strážnice unterwegs waren, ist ein kleines Boot mit einer Motorsäge und einer Axt vorneweg gefahren. Auf diese Weise wurden die Äste der Bäume zurückgeschnitten, damit sie den Touristen auf dem hinteren Boot nicht ins Gesicht schlugen. Wenn man das heute jemandem erzählt, schüttelt er nur den Kopf.“

Schleusen und blau-weiß gestreifte T-Shirts

Jan Šulc | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Jan Šulc kann stundenlang derartige Anekdoten erzählen. Außerdem weiß er viel von den Menschen auf dem Kanal zu berichten – von Schulklassen, Junggesellinnenabschieden und von ins Wasser fallenden Telefonen. Denn sein Schiff, die Noe, hat keinen Fahrplan. Stattdessen werden maßgeschneiderte Fahrten für geschlossene Gesellschaften angeboten. Dass Šulc Kapitän ist, sieht man ihm gleich an. Seine Unterarme sind von der Sonne braungebrannt, er trägt keine Schuhe, aber ein blau-weiß gestreiftes T-Shirt. Das sei sein Markenzeichen, erklärt er:

„Ich laufe immer so herum, damit man mich nicht verwechselt. Ich schlafe sogar in solchen T-Shirts“, schmunzelt Šulc. „Wenn wir die Wäsche aufhängen, sieht das ganz schön monoton aus: blau, weiß, blau, weiß. Das ist schon speziell.“

Bata-Kanal | Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Doch Jan Šulc ist nicht nur Kapitän. Er betreibt mit seiner Familie auch einen Bootsverleih in Vnorovy. Direkt vor seinem Wohnhaus, an der Kreuzung des Flusses Morava mit dem Kanal, können Touristen Motorboote und Kajaks mieten. Seine Frau, Jana Šulcová, betreibt zudem eine Galerie mit handgemachten Andenken vom Kanal.

Zudem liegt eine der 13 Schleusen direkt am Haus von Familie Šulc. Gerade warten hier Tomáš und seine Familie darauf, die Höhenmeter zwischen dem Kanal und der Morava zu überwinden… „Ich bin das erste Mal auf dem Baťa-Kanal unterwegs. Wir verbringen gerade ein verlängertes Wochenende mit der Familie auf dem Boot“, erzählt der junge Mann.

Karpfen, Rehe, Reiher – und Ausflugsschiffe

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Nun hat das Team von Radio Prag International aber auch Lust bekommen und möchte in See stechen. Jan Šulc nimmt uns mit auf seine Noe. Das Schiff habe er eigens für den Kanal anfertigen lassen, erzählt er stolz. Die Breite und der Tiefgang entsprechen genau den Anforderungen des Baťa-Kanals. Zudem lässt sich die Fahrerkabine absenken, damit das Gefährt problemlos unter den niedrigen Brücken hindurchpasst. Aber nun, Leinen los!

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

Langsam verlassen wir den Heimathafen der Noe. Schon nach wenigen Hundert Metern fragt mich Šulc, ob ich nicht auch einmal steuern möchte. Das sei wie Autofahren, meint er. Man müsse nur ausreichend vorausschauend fahren. Doch die Noe schneidet mal zu scharf nach links ein, mal nach rechts, und hinter uns will ein kleines Motorboot überholen. Da gebe ich das Steuer lieber wieder ab.

Mit ungefähr vier Kilometern pro Stunde tuckert das Schiff den Kanal entlang. Links und rechts liegen Felder und Wälder, Radfahrer überholen am Ufer, ein Indianerlager ist aufgebaut. Das ist zwar alles schön anzuschauen, dennoch kommt da die Frage auf, ob das Leben als Kapitän nicht ziemlich eintönig ist. Doch Jan Šulc verneint…

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

„Langweilig ist das ganz und gar nicht. Denn jeder Tag ist anders“, so der Kapitän. „Heute zum Beispiel ist kein Reiher zu sehen, aber gestern saß er noch auf diesem Ast. Darüber sind die Adler gekreist. Dann ist ein Reh durch den Kanal von einer Seite auf die andere geschwommen, und vier Karpfen sind aus dem Wasser gesprungen. Außerdem treffe ich an verschiedenen Orten andere Boote und muss mich dem Verkehr im Kanal anpassen. Und das Wetter ist auch immer unterschiedlich. Jeder Tag hier ist anders, aber jeder ist wunderschön“, kommt Jan Šulc ins Schwärmen.

Dennoch, so schön der Baťa-Kanal auch sein mag – würde Jan Šulc nicht manchmal lieber auf dem Meer fahren? Ganz und gar nicht, wehrt er ab. Vor drei Jahren sei er zum ersten Mal an der Küste gewesen. Der Grund: Sein Sohn hatte darauf bestanden, da alle seine Mitschüler schon einmal am Meer waren. Zwar habe es Šulc dort gefallen, doch gegen den „Baťák“ wolle er die hohe See auf keinen Fall eintauschen:

Foto: Ondřej Tomšů,  Radio Prague International

„In Büchern habe ich immer davon gelesen, wie die Menschen aufs Meer und in ihre Abenteuer aufbrechen. Dann war ich dort und habe gesehen, wie ein kleines Segelboot den Hafen verließ, in Richtung nirgendwo. Da habe ich mir die Frage gestellt, warum. Das Leben am Meer ist einfach etwas komplett Anderes. Es ist sicherlich schön, aber für jemand anderen.“

Der Baťa-Kanal soll in Zukunft weiter ausgebaut werden. Von Hodonín / Göding bis nach Kroměříž / Kremsier könnte er einmal führen. Ob dieser Plan in 20 Jahren schon in die Realität umgesetzt sein wird, ist unklar. Bestimmt wird Jan Šulc dann aber noch immer als Kapitän auf dem Kanal unterwegs sein.