Martina Navrátilová – sie lebt Tennis und kämpft für Minderheiten

Martina Navrátilová

Die tschechischen Tennisdamen haben Großes vor. In knapp einem Monat bestreiten sie in Straßburg das Finale des Fed Cup, in dem sie auf die gastgebenden Französinnen treffen. Dann wollen die von Team-Kapitän Petr Pála betreuten Tschechinnen die begehrte Trophäe zum fünften Mal binnen sechs Jahren erobern. Und eine Landsmännin, die mithalf, den Pokal 1975 erstmals in die damalige Tschechoslowakei zu holen, wird ihnen dabei fest die Daumen drücken: Martina Navrátilová. Die Grande Dame des Frauentennis wird am Dienstag 60 Jahre alt.

Martina Navrátilová | Foto: Robbie Mendelson,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 2.0
Sie lebt seit über 40 Jahren nicht mehr in ihrem Geburtsland, und dennoch zählt sie in Tschechien bis heute zu den größten Persönlichkeiten, die die Nation je hervorgebracht hat – die ehemalige Tennisspielerin Martina Navrátilova. Die am 18. Oktober 1956 geborene US-Amerikanerin feiert dieser Tage ihren 60. Geburtstag.

Aufgewachsen ist die gebürtige Pragerin in der mittelböhmischen Kleinstadt Řevnice, rund 30 Kilometer südlich der Hauptstadt. Als Vierjährige hielt sie zum ersten Male einen Tennisschläger in der Hand, damals hieß sie noch Šubertová. Einige Jahre später nahmen ihre Mutter und sie indes den Familienamen ihres nunmehrigen Stiefvaters an. Er hatte gleich neben dem Haus einen Tennisplatz errichten lassen, auf dem die kleine Martina täglich trainierte. Und zwar so gut, dass sie schon als 15-Jährige Landesmeisterin wurde und knapp drei Jahre später auch ihr erstes internationales Turnier gewann. Das war 1974 in Orlando. Nur wenige Monate darauf, im Januar und Juni 1975, stand sie im Finale der Grand-Slam-Turniere von Melbourne und Paris. Beide Endspiele hat sie verloren, doch die seelisch größeren Wunden fügte ihr das Regime des Heimatlandes zu. Die von den Kommunisten regierte ČSSR schränkte ihre sportliche Karriere ein, bei ihren vielen Auslandsturnieren war sie zudem begeistert von den Möglichkeiten, den Freiheiten und dem Überfluss, den die westlichen Länder in jeder Hinsicht boten. Daher kehrte sie im Spätsommer 1975 ihrem Heimatland den Rücken und beantragte politisches Asyl in den Vereinigten Staaten. Dort erhält sie sogleich eine Wildcard für die US Open. Nach einer Wartezeit von gut fünf Jahren erhält Martina Navratilova 1981 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Eine ebenfalls ausgewanderte und prominente Tschechin, die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright, lobte Navrátilová unlängst bei einem Festival in Washington für ihren mutigen Entschluss:

Madeleine Albright | Foto: Filip Jandourek,  Tschechischer Rundfunk
„Ich schätze sie sehr. Es war wichtig, dass sie nach Amerika gekommen ist. Die Menschen hier mögen sie sehr, weil sie gezeigt hat, was Frauen imstande sind zu leisten.“

Und das, was die unverwüstliche Martina Navrátilova danach in ihrer Tenniskarriere demonstrierte, ist außergewöhnlich. Die Serve-und-Volley-Spezialistin gewann eine Rekordzahl von 167 Titeln im Einzel und 177 Titeln im Doppel. Darunter waren 18 Triumphe im Einzel, 31 im Damendoppel und zehn im Mixed am Ende eines Grand-Slam-Turniers. Das Lieblingsturnier von Navrátilová waren dabei die Lawn Tennis Championships in Wimbledon, das die Jubilarin im Einzel nicht weniger als neunmal gewann – ein bis heute unerreichter Rekord. Als einzige Frau siegte sie bei allen vier Grand-Slam-Veranstaltungen sowohl im Einzel, im Doppel als auch im Mixed. Mit 39 Jahren wurde sie älteste Einzelgewinnerin eines WTA-Turniers, mit fast 50 sicherte sie sich dasselbe Prädikat dann auch in einer Doppelkonkurrenz.

Madeleine Albright: „Ich schätze Martina sehr. Es war wichtig, dass sie nach Amerika gekommen ist. Die Menschen hier mögen sie sehr, weil sie gezeigt hat, was Frauen imstande sind zu leisten.“

Die Linkshänderin markierte indes noch weitere Bestleistungen, die bis heute ihresgleichen suchen: Im Jahr 1983 verlor sie nur eine einzige Begegnung von insgesamt 87 Spielen, ein Jahr darauf stellte sie mit 74 Siegen in Serie eine absolute Bestmarke auf. Als Nummer eins regierte Navrátilova insgesamt 332 Wochen lang die Tenniswelt der Damen, noch ein wenig länger schaffte dies später aber die Deutsche Steffi Graf. Und auch im Fed Cup, in dem sie 1975 zum ersten Pokalgewinn der Tschechinnen beitrug, kann Navrátilová auf eine einzigartige Bilanz verweisen: Von 41 Duellen gewann sie 40, und neben dem Sieg mit der Tschechoslowakei holte sie die Trophäe noch dreimal mit dem Team der USA.

In diesem Wettbewerb durchlebte Martina Navrátilová schließlich einen ihrer emotionalsten Auftritte. 1986 kam sie als Top-Spielerin des US-Team zum Finalturnier nach Prag. In ihrer Geburtsstadt zog sie bei jeder ihrer Begegnungen mehr Zuschauer an als die Mannschaft des Gastgeberlandes. Und im Finale bezwang sie dieses auch noch an der Seite von Chris Evert-Lloyd und Pam Shriver gegen Hana Mandlíková und Helena Suková, die für die Tschechoslowakei spielten, mit 3:0. Sehr zum Unwillen der politischen Obrigkeit, die der nunmehrigen Amerikanerin vordem freies Geleit zusichern mussten.

ECM Prague Open 2006: Barbora Strýcová und Martina Navrátilová  (Foto: Michal.Pohorelsky,  CC BY-SA 3.0)
Erst 20 Jahre später, im Mai 2006, kehrte Navrátilová als Tennisspielerin erneut in ihr Heimatland zurück. Beim ECM Prague Open Turnier ging sie an der Seite der damals 20-jährigen Tschechin Barbora Strýcova im Doppel an den Start. Doch ein Stück mehr als das Turnier im Tennisstadion auf der Prager Hetzinsel (Štvanice) interessierte sie sich seinerzeit für die die neuen Verhältnisse in ihrer angestammten Heimat:

„In diesem Land weht jetzt ein ganz anderer Wind. Schon bei der Begrüßung auf dem Flughafen fühlte ich mich völlig anders als 1986. Als ich damals wieder abgeflogen bin, habe ich am meisten bedauert, dass die Menschen, die hier lebten, nicht so wie ich auch ganz einfach wegfliegen können. Zum Beispiel für einen Besuch nach Deutschland, nach Österreich oder anderswo hin. Sie konnten es nicht.“

Martina Navrátilová  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Daran anknüpfend schilderte Martina Navrátilova ihre Eindrücke, die sie von der neuen Tschechischen Republik habe:

„Das ist wirklich ein ganz anderes Gefühl. Jetzt schäme ich mich schon nicht mehr für das Land, sondern bin stolz auf diese neue Tschechische Republik. Ich bin sehr glücklich darüber, dass es so gekommen ist. Und Prag ist einfach phantastisch. Die Energie, die diese Stadt versprüht, erlebt man kaum woanders.“



Martina Navrátilová und Julia Lemigova  (Foto: YouTube Kanal von BBC)
Und wie hat sie sich selbst verändert? Auf diese Frage antwortete die Tennis-Lady vor zehn Jahren mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht:

„Ich habe ein paar Falten mehr im Gesicht. Ich bin etwas langsamer geworden, habe weniger Muskeln und dafür ein etwas breiteres Gesäß. Aber als Mensch bin ich, so hoffe ich, ein gutes Stück vorangekommen. Ich bin stets bemüht, mich weiter zu verbessern.“



Petula Dvorakova: „Viele Menschen haben mir gesagt, dass ihnen Navrátilovás Outing geholfen habe, sich ebenfalls zu ihrer Homosexualität zu bekennen. Darunter sind lesbische Frauen, die wie sie im Sport um ihre Rechte gekämpft haben. Ich denke, es wird noch viel zu wenig gewürdigt.“

Und das hat Martina Navrátilová besonders in ihrem Leben neben dem Sport wiederholt gezeigt. Als eine der ersten bekannten Persönlichkeiten in den Vereinigten Staaten hat sie sich schon relativ früh als Lesbin geoutet. Seitdem kämpft sie für die Rechte der Homosexuellen, von benachteiligten Kindern und von Tieren. Zudem engagiert sie sich für karitative Zwecke. Im vergangenen Jahr ehelichte sie schließlich ihre langjährige Partnerin, die US-Bürgerin russischer Herkunft, Julia Lemigova. Beim Festival „Wechselseitige Inspiration“ vor einem Monat in der amerikanischen Hauptstadt lobte sie die Redakteurin der „Washington Post“, Petula Dvorakova, für ihr Engagement:

„Viele Menschen haben mir gesagt, dass ihnen Navrátilovás Outing geholfen habe, sich ebenfalls zu ihrer Homosexualität zu bekennen. Darunter sind lesbische Frauen, die wie sie im Sport um ihre Rechte gekämpft haben. Ich denke, es wird noch viel zu wenig gewürdigt, dass Navrátilová de facto eine Wegbereiterin dafür war, dass sich diese Dinge ändern.“

Beim Festival in Washington bekam Martina Navrátilová auch ein Geschenk, das ihrem nun erreichten Geburtsjubiläum gewidmet ist. In die Uhr, die ihr überreicht wurde, sind die „Sechs“ und die „Null“ in einer Form eingraviert, die ihr besser gefällt als die aktuelle Lebenszahl – als Ergebnis eines Tennissatzes im Verhältnis von 6:0.


Tschechiens Tennisdamen wollen in Straßburg zweiten Hattrick perfekt machen

Karolína Plíšková  (Foto: ČTK)
Mit ihren Top-Spielerinnen Karolina Plíšková und Petra Kvitova wird die tschechische Nationalmannschaft der Tennisdamen in knapp vier Wochen das Fed-Cup-Finale gegen Gastgeber Frankreich bestreiten. Bei einem Sieg würden die Tschechinnen zum zweiten Male nach den erfolgreichen 1980er Jahren den Hattrick in diesem Wettbewerb perfekt machen. Von der momentanen Erfolgswelle ihrer Nachfolgerinnen ist auch Martina Navrátilová begeistert:

„Es ist einfach unglaublich, welch phantastische Position das tschechische Tennis einnimmt. Bei den Männern ist Tomáš Berdych zwar allein auf weiter Flur, doch die Frauen spielen hervorragendes Tennis. Das macht mich stolz.“

Petra Kvitová  (Foto: ČTK)
An allen vier Cupsiegen seit 2011 beteiligt war Petra Kvitová. Sie steht auch diesmal im Aufgebot, ihre kongeniale Partnerin in den Einzeln ist indes nicht im Kader.

„Die Nominierung hat mich etwas überrascht. Nicht dabei ist Lucie Šafářová, mit der ich alle vorherigen Finals gespielt habe. Aber ich habe Verständnis dafür, war es eine lange und schwierige Saison für sie. Ich denke aber, dass wir auch ohne sie sehr stark sind“, sagte Kvitová zur Abwesenheit der 29-jährigen Šafářová.

Lucie Šafářová  (Foto: David Kubíček,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Eine bakterielle Infektion im Herbst 2015 hatte Šafářová in ihrer Entwicklung wieder zurückgeworfen. Weitere Verletzungen und die Trennung von ihrem kanadischen Trainer Rob Steckley taten ein Übriges, um die diesjährige Saison der Brünnerin als misslungen zu charakterisieren. Petra Kvitová wiederum ist überzeugt, dass sie mit der neuen Nummer eins in Tschechien, Karolína Plíšková, sowie den Doppelspezialistinnen Barbora Strýcová und Lucie Hradecká, die begehrte Trophäe erneut gewinnen kann:

„Das wäre einfach unglaublich. Wir haben wirklich lange darum gekämpft, wieder in die Weltgruppe zu gelangen. Und auf einmal haben wir ein solch starkes Team. Nach langer Durchstrecke haben wir vor fünf Jahren den Pott geholt, waren euphorisch und haben seitdem fast immer daran angeknüpft. Doch jeder Sieg schreibt sich in anderen Lettern in das Gedächtnis ein.“

Petr Pála  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Ein Erfolg in Straßburg wäre der bereits zehnte Triumph für ein Damenteam aus Tschechien beziehungsweise der Tschechoslowakei. Noch haben ihn die Spielerinnen von Team-Kapitän Petr Pála nicht errungen. Doch Martina Navrátilová weiß nur zu gut, weshalb Kvitová, Šafářová & Co. zuletzt so erfolgreich waren:

„Etwas müssen wir im Blut haben. Wir sind Linkshänderinnen, und wir können das einfach.“

Autor: Lothar Martin
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