Medizinische Grenzwanderungen

Markéta Marková (Foto: Archiv der Arberlandklinik Zwiesel)
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Ärztemangel und Pflegenotstand – das sind derzeit Alarmwörter in Tschechien. Tatsächlich zieht es viele Mediziner vor allem nach Deutschland, Besonders die um ein Vielfaches höheren Löhne locken. Doch wie geht es ihnen dann auf der anderen Seite der Grenze? Und mit welchen Problemen haben sie zu kämpfen? Ein Blick ins niederbayerische Zwiesel.

Markéta Marková  (Foto: Archiv der Arberlandklinik Zwiesel)
Diagnostizieren, behandeln, sich um die Patienten kümmern – das sind die Aufgaben von Markéta Marková. Sie ist eine von weit über eintausend tschechischen Ärzten und Ärztinnen, die ihre professionelle Heimat in Deutschland gefunden haben. Vor einem Jahr hat die Jungärztin ihr Studium an der Universität Plzeň / Pilsen beendet, seit gut einem halben Jahr arbeitet sie im Arberlandklinikum im ostbayerischen Zwiesel als Assistenzärztin. Markéta Marková hat sich mittlerweile gut eingelebt, Probleme macht ihr nur die Sprache:

„Mit dem Bayerischen muss ich sagen, habe ich immer noch Probleme. Ich habe in Regensburg einen Kurs gemacht, da sprachen fast alle Hochdeutsch. Es ist hier langsam besser geworden, aber manche Begriffe kenne ich noch nicht, und dann muss ich nachfragen, ob man das auch auf Hochdeutsch wiederholen könnte.“

Vom Praktikum zur Lebensentscheidung

Arberlandklinik Zwiesel  (Foto: Konrad Lackerbeck,  Public Domain)
Ursprünglich wollte sie nicht nach Deutschland gehen, erzählt die junge Ärztin. Ihr Ehemann hätte aber eine Wohnung in Špičák / Spitzberg nahe der deutschen Grenze gehabt, und das Angebot aus dem Arberlandklinikum sei ihr mehr oder weniger in den Schoß gefallen. Außerdem kannte sie das Krankenhaus bereits, sie hatte während des Studiums ein Praktikum in Zwiesel gemacht:

„Das gibt es bei uns eigentlich ziemlich häufig. Ich war nicht die Einzige von meinen Mitschülern. An der Universität haben sie mir das hoch angerechnet, da geht es auch um die Sprache. Man hat uns dabei sogar unterstützt. In den ersten beiden Semestern haben wir Deutsch gelernt, vor allem die medizinischen Fachbegriffe.“

Foto: Pixabay / CC0
Von ihren Kommilitonen seien schon einige nach Deutschland oder auch Österreich gegangen, meint Markéta Marková. Bei ihr selbst seien eher die Nähe zum Heimatort und die Liebe zur Region entscheidend gewesen. Bei vielen spielt aber etwas ganz anderes eine Rolle:

„Jeder weiß, dass die Gehälter in Tschechien niedriger sind als hier in Deutschland. – auch wenn ich letztens im Fernsehen gesehen habe, dass man sich auch in Tschechien bemüht, die Gehälter anzuheben. Insgesamt bin ich schon der Meinung, dass Ärzte mehr verdienen sollten. Im Studium haben wir immer Witze über die Stellenangebote bei Lidl in Deutschland gemacht. Den Kassiererinnen wurde nämlich mehr geboten, als uns Ärzten in Tschechien.“

Meist eine Frage des Gehalts

Christian Schmitz  (Foto: Archiv der Arberlandklinik Zwiesel)
Dass es oft ums Geld geht, bestätigt auch Christian Schmitz. Er leitet das Arberlandklinikum in Zwiesel:

„Wir zahlen nach dem Tarifvertrag des Marburger Bund. Ein Einsteiger, der 40 Stunden in der Woche arbeitet, bekommt ohne Dienstzulagen circa 4400 Euro – und das direkt nach dem Studium. Das steigt um rund 200 Euro pro Monat an, sodass ein erfahrener Assistenzarzt sicher schon bei 5200 Euro liegt. Dann kommen noch Dienste dazu, das sind noch einmal so 800 bis1200 Euro. Im Vergleich zu Tschechien ist das sehr hoch.“

Wer es zum Oberarzt schafft, könne sogar mit bis zu 8000 Euro im Monat rechnen, ergänzt Schmitz. Zum Vergleich: In Tschechien verdient ein Oberarzt im Schnitt 100.000 Kronen brutto pro Monat, das sind umgerechnet knapp 3900 Euro. Obwohl, im Vergleich zum Durchschnittslohn ist das immer noch relativ.

Anerkennung und eine Gewissensfrage

Foto: Archiv der Arberlandklinik Zwiesel
Doch wie ist das Verhältnis zur tschechischen Seite, also den Universitäten und Krankenhäusern? Manchmal durchaus schwierig, meint Christian Schmitz:

„Das Problem ist, dass wir gerne Kooperationen schließen würden. Wir haben auch schon versucht, mit der Universität in Pilsen gemeinsame Ansätze zu finden. Aber natürlich haben die tschechischen Universitäten Angst davor, dass die Ärzte dann nach Deutschland gehen. Das ist verständlich, prinzipiell wäre es ja sinnvoller, wenn die Bundesrepublik Deutschland ihren Ärztemangel selber beheben und sich nicht im benachbarten Ausland bedienen würde.“

Insgesamt ist laut dem Klinikchef eine Art Völkerwanderung der Ärzte zu beobachten, wenn man es zugespitzt ausdrücken will:

Arberlandklinik Zwiesel  (Foto: Archiv der Arberlandklinik Zwiesel)
„Wenn man sich mit tschechischen Ärzten unterhält, auch in leitenden Positionen, merkt man, dass sich das Ganze von Osten nach Westen verschiebt. Wir ziehen aus der Tschechischen Republik viele Ärzte nach Deutschland ab, gerade in Richtung Bayern und Sachsen gibt es eine sehr große Wanderungsbewegung. Man merkt aber, dass viele Ärzte aus der Ukraine, teilweise aus Russland, nach Tschechien kommen, weil dort wahrscheinlich die Vergütung und das Gesundheitssystem dann doch besser sind.“

Zahlen und Schätzungen der tschechischen Ärztekammer geben Christian Schmitz Recht. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Anteil von Ärzten aus der Ukraine in Tschechien um das 13-Fache erhöht. Allein in den vergangenen zwei Jahren sind rund 200 Mediziner aus dem osteuropäischen Land hinzugekommen. Im Gegenzug dürften einer Schätzung zufolge jährlich 350 bis 400 tschechische Doktoren das Land verlassen. Die Ärztekammer geht dabei von 20 Prozent der Absolventen tschechischer Medizin-Fakultäten aus, die ihr Glück im Westen versuchen. In Zwiesel selbst arbeiten laut Christian Schmitz elf Mediziner aus Tschechien, das sind 23 Prozent des gesamten Ärztestabs im Arberlandklinikum.

Illustrationsfoto: Pixabay / CC0
Die Mehrheit der Ärzte pendelt jeden Tag von Tschechien nach Deutschland, die Grenznähe macht es möglich. Der Klinikmanager ist froh um die Angestellten aus dem Nachbarland, vor allem wegen der hochwertigen Qualifikation. Die ist laut Christian Schmitz durchaus vergleichbar mit der bei den deutschen Kollegen:

„Natürlich gibt es Unterschiede. In der Chirurgie wird in Tschechien und der Slowakei eher der Wiener Ansatz gelehrt. Da ist die deutsche Ausbildung nicht ganz so praxisorientiert. Inhaltlich, gerade was das Thema innere Medizin oder Gynäkologie angeht, sind die tschechischen Ärzte praktisch sehr gut vorbereitet. Die Deutschen sind da eher theoretisch veranlagt. Tschechische Ärzte haben aufgrund der Ausbildungsstruktur von Anfang an einen viel größeren Praxisbezug.“

Eigene Löcher stopfen

Doch nicht nur das. Ärzte aus Tschechien, aber auch anderen Ländern der EU, gleichen ein gravierendes Defizit im deutschen Gesundheitssystem aus:

Klinikum Passau  (Foto: Aconcagua,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
„Wir bilden zu wenig aus. In Deutschland liegt der Frauen-Anteil im Medizinstudium wegen des Numerus clausus bei über 70 Prozent. Die fallen dann im Alter von 30 bis 40 Jahren auf einmal aus für vier, fünf Jahre. Sie arbeiten dann nur in Teilzeit oder sind komplett weg wegen Schwangerschaft und Elternzeit. Das hat dieses Problem natürlich verschärft. Was man auch sagen muss: Es gibt ein EuGH-Urteil aus dem Jahr 2005 zum Thema Arbeitszeit. Früher war ein Arzt im Bereitschaftsdienst und arbeitete am nächsten Tag einfach weiter. Heute muss er am nächsten Tag zuhause bleiben. Dadurch hat sich der Bedarf an Ärzten in den Kliniken deutlich erhöht.“

In den Ballungsräumen und Großstädten sei es noch nicht so schwierig, der ländliche Raum sei vom Ärztemangel schon stärker betroffen, gibt Schmitz zu. Doch mittlerweile hätten auch Top-Häuser wie das Klinikum Passau so große Personallöcher, dass diese nur noch mit Medizinern aus dem Ausland zu stopfen seien.

Bürokratie und Sprache als größte Hürden

Tomáš Míka  (Foto: Archiv der Arberlandklinik Zwiesel)
Auch Tomáš Míka hat irgendwann den Schritt nach Deutschland gewagt. Er hat direkt nach dem Studium in Zwiesel angefangen und will dort langfristig auch bleiben:

„Es ist alles noch nicht so genau. Zuerst muss ich Erfahrungen sammeln, Facharzt werden und irgendwann meine eigene Praxis haben. Wann genau weiß ich nicht, ich lasse mir Zeit.“

Mittlerweile ist der Assistenzarzt seit vier Jahren in Zwiesel, und auch seine Lebensgefährtin hat eine Stelle in einem bayerischen Klinikum gefunden. Leicht war sein Start im Freistaat jedoch nicht, meint Tomáš Míka, wobei das nicht nur an der Sprache gelegen habe:

„Bis wir alles beglaubigt hatten, die Geburtsurkunde, alle Übersetzungen, dann haben wir eine gewisse Zeit auf die Approbation gewartet – das hat schon ein halbes Jahr gedauert.“

Foto: Archiv der Arberlandklinik Zwiesel
Dass der Weg von Tschechien nach Deutschland nach wie vor steinig ist, bestätigt auch Klinikchef Christian Schmitz. Die Bürokratie, die Übersetzungen und die Approbation seien heutzutage aber nicht mehr das größte Problem:

„Seit knapp zwei Jahren gibt es in Deutschland die Regelung, dass Ärzte auch noch eine Fachsprachprüfung brauchen. Früher hat ein B2-Zertifikat des europäischen Sprachreferenzrahmen gereicht, das konnte noch an der Universität gemacht werden. Heute muss jedoch ein C1-Niveau in Medizin erbracht werden. Die Prüfungen bei der bayerischen Landesärztekammer sind sehr schwierig, momentan fallen knapp 40 Prozent der Teilnehmer durch. Der nächste Termin ist dann immer erst in zwei Monaten.“

Immerhin versuche man den Bewerbern unter die Arme zu greifen, sei es bei der Bürokratie oder mit Sprachkursen, erklärt Schmitz, der im Übrigen gebürtig ist im Bayerischen Wald. Die tschechischen Ärzte danken es dem Arberlandklinikum meist auch, denn sie bleiben Zwiesel mehrheitlich treu. Wenn es doch den einen oder anderen Arzt zurück in die Heimat zieht, dann spielen dabei laut dem Krankenhauschef eher private Gründe eine Rolle.

Am Ende bleibt man dort

Foto: ČT24
Doch zurück Markéta Marková. Wie zu sehen und zu hören ist, kommt sie mittlerweile gut mit ihren Patienten zurecht, auch wenn diese tiefstes Bayerisch sprechen. Was ihre professionelle Laufbahn angeht, sucht sie eigentlich noch nach der richtigen Richtung:

„Ich habe mir erst überlegt, mich auf Augenheilkunde zu spezialisieren. Da habe ich in Tschechien aber keine Stelle gefunden. So bin ich dann zur inneren Medizin gekommen, die eine gute Grundlage zur Ausbildung in anderen Fachbereichen ist. Da ich bei meinem Praktikum in Zwiesel schon bei der Inneren war, habe ich mich schließlich dafür entschieden.“

Ansonsten hat sie sich aber gut eingelebt, es gefällt ihr schlicht in der Region und am Arberlandklinikum. Sieht sie die Jungärztin aber auch ihre Zukunft weiterhin in Zwiesel?

„Ich bin ja noch am Anfang und da muss man sowieso viel lernen. Das ist aber in Tschechien nicht anders. Hier in Zwiesel kenne ich aber schon die Abläufe und habe auch nette Kollegen. Ich will also auf jeden Fall bleiben.“