Mehr Arbeit für Logopäden: In Tschechien wächst Nachfrage an Sprachtherapien

Die Logopäden in Tschechien haben keinen Mangel an Patienten. Vielmehr vermeldet die Vereinigung klinischer Logopäden, dass die Zahl ihrer Klienten in den vergangenen zwölf Monaten um ein Viertel angestiegen ist.

Foto: Clker-Free-Vector-Images,  Pixabay,  Pixabay License

„Ráčkování“ nennt man im Tschechischen den Sprachfehler, wenn jemand das R nicht so weich rollen kann, wie es für die slawischen Sprachen charakteristisch ist. So mancher Deutscher hat damit physiognomisch bedingt seine Probleme. Aber auch Václav Havel etwa sprach das R ungewöhnlich hart aus.

Macht sich das „ráčkování“ bei tschechischsprachigen Kleinkindern bemerkbar, lässt sich die Störung durch einen Logopäden meist noch beheben. Auch andere Sprachfehler wie Lispeln oder Stottern sind am leichtesten im Vorschulalter zu behandeln. Darum nimmt besonders die Zahl der Patienten in dieser Altersgruppe seit mehreren Jahren zu. Barbora Richterová ist Mitglied in der Vereinigung klinischer Logopäden und betreibt eine Praxis im mittelböhmischen Davle. Gründe, warum sich dort immer mehr Menschen melden, gebe es viele, sagt Richterová:

Illustrationsfoto: Sac State,  Flickr,  CC BY-NC 2.0

 

„Dank der Forschung und Wissenschaft wissen wir inzwischen viel mehr. Die Aufklärung kann gezielter stattfinden, und die Diagnosen sind genauer. Vor 20 oder 30 Jahren sind zwei- oder dreijährigen Kinder noch nicht zum Logopäden gegangen. Jetzt ist das aber fast normal, weil die Eltern besser informiert sind. Das gilt auch für die Fachkräfte, die ein Entwicklungsproblem erkennen, wenn etwa ein zweieinhalbjähriges Kind nicht spricht oder nicht mindestens 50 Wörter kennt.“

Foto: RobinHiggins,  Pixabay,  Pixabay License

Die Pandemiezeit, als Therapien unterbrochen oder verschoben werden mussten, habe nur einen mäßigen Einfluss auf die dauerhaft steigende Patientenzahl gehabt, schätzt Richterová ein. Ihre Prager Kollegin Ilona Kejklíčková sieht einen weiteren wichtigen Aspekt in der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung. Die Betreiberin von zwei Privatkliniken in Prag und Brno / Brünn erläutert:

„Eltern bleibt keine Zeit auszuspannen. Die Kinder werden vor dem Fernseher geparkt, und mit ihnen wird sich zu wenig unterhalten. Dabei kann das zwischenmenschliche Gespräch durch nichts ersetzt werden. Dazu muss man sich für das Kind aber etwas Zeit nehmen. Ein Märchen etwa muss nicht nur vorgelesen werden, sondern das Kind soll dann darüber auch erzählen und über den Inhalt nachdenken.“

Foto: alehidalgo,  Pixabay,  Pixabay License

Laut Kejklíčková fordern in letzter Zeit aber auch immer mehr Erwachsene die Hilfe eines Logopäden an. Zwar sind Sprachtherapien etwa nach einem Unfall oder einem Schlaganfall üblich. Inzwischen würden allerdings Menschen zwischen 30 und 40 Jahren, die in Managerpositionen arbeiten, einen deutlichen Anteil der Patienten bilden, so Kejklíčková:

„Sobald sie eine höhere Position annehmen, müssen sie etwa Beratungen führen. Plötzlich stellen sie aber fest, dass die Kollegen ihnen nicht folgen können. Einer unserer Klienten etwa hat so schnell gesprochen, dass er überhaupt nicht mehr zu verstehen war.“

Foto: RobinHiggins,  Pixabay,  Pixabay License

Von Stress als immer häufigerer Ursache für Sprachstörungen berichtet auch Barbora Richterová. Ähnlich oft beziehe sich die Diagnose zudem auf eine genetische Veranlagung:

„Allgemein beobachten wir den größten Zulauf bei jungen Patienten mit neurologischen Entwicklungsstörungen, also bei Kindern mit seelischen Erkrankungen wie etwa Autismus. In ihrem Fall spielt die genetische Grundlage für die Sprachfehler eine starke Rolle. Unter den Erwachsenen nimmt die Zahl jener Patienten zu, die einen Schlaganfall hatten oder aber an neurogenetischen Persönlichkeitsstörungen leiden.“

Mit dem steigenden Interesse an Sprach- und Sprechtherapien verlängern sich in Tschechien auch die Wartezeiten auf einen Termin beim Logopäden. Nicht selten werden die Menschen auf ein halbes Jahr vertröstet. Dies sei grenzwertig, aber trotzdem noch akzeptabel, meint Richterová. Einen Mangel an logopädischen Fachkräften gibt es nach ihren Worten hierzulande derzeit nicht.

 Illustrationsfoto: geralt,  Pixabay,  Pixabay License
Autoren: Daniela Honigmann , Eva Mikulková Šelepová
schlüsselwort:
abspielen