„Mensch in Not“: Tschechien hilft – zum Beispiel in Georgien

Überall, wo sich Kulturen, Ideen, Meinungen, Lebenserfahrungen oder Vergangenheit und Gegenwart begegnen oder aufeinander stoßen, bieten sich Themen, die in unsere Sendereihe Begegnungen aufgegriffen werden können. In der heutigen Ausgabe der Senderreihe "Begegnungen" wird von Georgien die Rede sein. Ein zu weit entferntes Land, sagen Sie vielleicht. Und Sie werden wohl Recht haben, aber den Gästen, die Pavel Polák ins Studio geladen hat, ist dieses kaukasische Land ganz nah.

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Der Zerfall der Sowjetunion 1991 brachte vielen Ländern, die in diesen Riesenstaat vor Jahrzehnten einverleibt wurden, zahlreiche Probleme. Sie konnten ökonomisch nicht selbständig werden, da sie nach vielen Jahrzehnten mit der russischen Wirtschaft und dem Handel verwachsen waren. Arbeitslosigkeit, Emigration, Bürgerkriege, das alles betraf Georgien. Seit 2005 ist in der Region die tschechische humanitäre Hilfsorganisation „Člověk v tísni“ tätig – zu Deutsch „Mensch in Not“. „Mensch in Not“ existiert seit 1992 und bislang hat sie ihre Projekte in mehr als 37 Ländern realisiert.

Die Tschechische Republik ist klein, das lässt sich nicht bestreiten. Ist sie zu klein, um zu helfen? Gibt es nicht andere Länder, die eher dazu berufen sind als Tschechien? Das sind meine ersten Fragen an Jana Lhotová, die Projektleiterin für Georgien, und Rostislav Valvoda, beide von der Organisation „Mensch in Not“.

„Ich glaube, Tschechien sollte auf jeden Fall helfen. Unser Land ist sicher nicht das größte der helfenden Länder, aber es hat eigene Erfahrungen mit der Umwandlung eines totalitären in einen freien Staat, der Bildung eigener demokratischen Institutionen, der Reformierung des ganzen Staatssystems, der Justiz und mit weiterem. Und gerade diese Erfahrungen sind in den postsowjetischen Staaten sehr gefragt, das heißt in den Staaten, die den Demokratisierungsprozess bereits angefangen haben. Und Georgien gehört auf jeden Fall zu diesen Ländern,“ so Rostislav Valvoda.

„Und außerdem ist Tschechien ein Mitglied der Europäischen Union und dadurch ist es verpflichtet, Entwicklungshilfe zu leisten,“ ergänzt Jana Lhotová.

Die Organisation „Mensch in Not“ realisiert in Georgien zwei Arten von Projekten. Zum einen ist dies eine Aufklärungskampagne auf dem Gebiet der illegalen, aber vor allem legalen Migration. Aus Georgien sind in den letzten zehn Jahren mehr als eine Million Bürger geflüchtet. Zum anderen handelt es sich um Projekte zur Unterstützung der Landwirtschaft. Was wird da konkret gemacht, Frau Lhotová?

„Wir haben uns auf die Region nordwestlich der Hauptstadt Tiflis konzentriert - eine Gegend, die einst prosperierte und heute verkommt. Die Eliten sind seit Jahren weg. Und wir versuchen, die Leute dort anzuregen, ihre Gewerbe wieder aufzunehmen. Wir unterstützen sie mit finanziellen Mitteln, veranstalten Seminare, bei denen sie erfahren, wie sie einen eigenen Geschäftsplan erstellen. Wir widmen uns auch den kleinen Landwirten in der Region, indem wir sie über eine effektivere Nutzung ihrer Flächen aufklären und ihnen landwirtschaftliche Technik leihen. Wir geben ihnen auch kleine Fördergelder für den Start ihrer Unternehmen.“

Insgesamt handelt es sich eher um kleine Projekte. An diesen arbeiten in Georgien selbst zwei Tschechen von der Organisation „Mensch in Not“ und vier Mitarbeiter aus Georgien. Es werden auch finanzielle Mittel bereit gestellt, doch sind diese sehr beschränkt. Ist das nicht etwas zu wenig, Herr Valvoda, in einem Land, in dem ungefähr fünf Millionen Einwohner leben?

„Die Bedeutung liegt nicht unbedingt nur in der Quantität, also wie viel Geld dort investiert wird. Es sind auch und vor allem Erfahrungen, die vermittelt werden. Es sieht vielleicht auf den ersten Blick ein bisschen banal aus, dass man sich vorab einen strukturierten Geschäftsplan machen muss, bevor man ein eigenes Unternehmen startet. Aber wenn es dort überhaupt keine Erfahrung mit der Privatwirtschaft gibt, dann steht man dort absolut hilflos da. Hier in Tschechien hatten wir das einfacher, da wir an Deutschland und Österreich grenzen, von denen wir auch lernen konnten. Georgiens Nachbarn sind Russland, Armenien und Aserbaidschan, die sich in ähnlicher oder schlechterer Lage befinden. Deshalb ist, glaube ich, die Vermittlung diese Vorgehensweisen von West nach Ost sehr wichtig.“

Rostislav Valvoda war als Wahlbeobachter der OSZE um die Jahreswende für mehrere Tage in Georgien. Eindrücke gibt es sicher viele. Sie haben von einer ähnlichen Lage Georgiens und Tschechiens gesprochen – dass beide Länder einen ähnlichen Transformationsprozess durchlaufen. Haben Sie etwas entdeckt, was einem Tschechen völlig fremd erscheint?

„Im Moment fällt mir nur eine Sache ein. Es ist ein Stück sowjetischer Mentalität, nämlich das Bemühen, die Sachen zur Schau zu stellen. Auf Russisch sagt man: napokaz - nur für den Effekt. Wenn Sie zum Beispiel in der U-Bahn fahren, dann sehen Sie überall moderne LCD-Bildschirme, auf denen Werbung läuft. Aber wenn man das sieht, dann fragt man sich: Warum haben sie diesen Gang nicht lieber weiß gestrichen. Da soll einfach nur demonstriert werden: Wir können uns das leisten. Doch werden dabei viele Stufen übersprungen. Oder Sie gehen auf der Straße und sehen schöne Springbrunnen, in denen Wasser auch im Winter sprudelt. Die Brunnen sind wirklich sehenswert, aber es fällt einem dabei halt ein, dass man das Geld zur Ausbesserung der Bürgersteige ausgeben müsste. Das würde den Bürgern mehr helfen. Das ist also ein Stück der sowjetischen Mentalität, die ich dort gesehen habe.“

Seit 2005 ist die Organisation „Mensch in Not“ in Georgien tätig, in der Kaukasus-Region aber bereits seit den 90ern. Was ist beim Helfen, bei der Hilfeleistung eigentlich am schwersten? Projektleiterin Jana Lhotová:

„Das hängt sehr von den geographischen Bedingungen ab. In Georgien haben wir viel mit der Apathie der Leute zu kämpfen und mit ihrem Misstrauen, dass sich die Sachen wieder ändern oder geändert werden könnten. Langsam überzeugen wir sie davon, dass der Wandel möglich ist, wenn sie ihn wollen und etwas dafür tun. Das ist also unser größtes Hindernis. Daneben haben wir selbstverständlich auch finanzielle Limits.“