Menschenrechte und Diversität: Jugendliche inszenieren tschechisch-deutsches Theaterstück
Was bedeuten die 30 Artikel der UN-Menschenrechtskonvention im Alltag? Welche Staaten haben die Erklärung unterschrieben? Und warum? Jugendliche aus Tschechien und Deutschland beschäftigen sich während eines zweiwöchigen Seminares des bayerisch-böhmischen Theaternetzwerkes Čojč im August mit diesen Fragen. An den Standorten Nürnberg und Chotěšov in Westböhmen setzen sich die Teilnehmer mit Menschenrechten, Diversität und Sprache auseinander und inszenieren ein Theaterstück.
Probleme wie Klimawandel, Debatten um Lieferkettengesetze, Fast Fashion, Black Lives Matter oder die Aufnahme von Geflüchteten scheinen im Alltag weit weg zu sein. Gleichzeitig sind das die Herausforderungen unserer Gesellschaft. Die Veranstaltung „V hledáčku“ (deutsch: Im Visier) des Theaternetzwerks Čojč hebt diese Themen hervor. Valentina Eimer ist die Geschäftsführerin der Organisation:
„Wir haben uns gefragt, was die jungen Menschen interessiert und was gerade in der tschechisch-deutschen Zusammenarbeit wichtig ist. Das Projekt zum Thema Menschenrechte ist durch den Kontakt mit Jugendlichen und Studierenden entstanden. Wir haben uns online zum Brainstorming getroffen. Normalerweise besprechen wir die Ideen bei persönlichen Meetings, aber das war im letzten Jahr nicht möglich. Gleichzeitig haben alle recherchiert und Informationen dazu gesammelt.“
Inspiriert wurden die Teilnehmer von der Gemeinde Chotěšov südlich von Plzeň / Pilsen.
„Uns hat das Kloster in Chotěšov sehr interessiert. Es hat sehr oft seine Nationalität gewechselt. Seit dem Münchner Abkommen im September 1938 gab es da immer wieder Bewegungen, manchmal war es deutsch und dann auch wieder tschechisch. Die Idee war also, diesem Ort auf die Spur zu gehen und dann in die Gegenwart und Zukunft zu blicken.“
Symbiose aus Ort und Schauspiel
In Chotěšov hat Valentina Eimer mit ihrem Team einen Workshop mit Amnesty International sowie einen weiteren zum Thema Diversitätsbewusstsein organisiert. Auf deutscher Seite spielen sich die Aktivitäten in Nürnberg ab – also in der Stadt der Menschenrechte. Dabei stehen eine Stadtführung mit Obdachlosen, eine Schnitzeljagd, die Besichtigung des Gerichtssaales, in dem die Nürnberger Prozesse stattfanden, sowie der Austausch mit einem chinesischen Juristen, Vertretern der Organisation Seebrücke und Rollstuhlfahrern auf dem Programm.
„Nach jeder Aktivität haben wir eine Theaterphase, also einen Block, in dem wir aus den gewonnenen Eindrücken Szenen machen wollen. Wir reflektieren erst gemeinsam und setzen es dann künstlerisch um. Aus all diesen Programmpunkten entsteht am Ende ein Theaterstück im Kloster Chotěšov, bei dem das Publikum durch das Gebäude gehen wird und dann eine Collage unserer Erlebnisse zu sehen bekommt“, so die Geschäftsführerin.
Die Inszenierung ist eine Site-Specific-Performance. Diese Form wird auch als ortsspezifische Aufführung bezeichnet und findet außerhalb der typischen Theaterräumlichkeiten statt. Ziel ist dabei, den Ort mit dem Schauspiel zu verbinden und der Darbietung eine andere Wirkung zu verleihen. Das Kloster Chotěšov biete mit weitläufigen Gärten und leeren Hallen ein besonderes Ambiente, beschreibt Valentina Eimer:
„Man hat als Ausgangspunkt den Ort, an dem man sich befindet, schaut sich um und lässt es auf sich wirken. Man nimmt die Atmosphäre dann in die Szenen auf. Die Atmosphäre im Kloster ist natürlich besonders spannend. Ein verlassenes Kloster, das seit einigen Jahrhunderten zerfällt, bietet viel Spielraum. Wir wollen immer die Gruppe einbeziehen und geben kaum Regeln vor. Das ist ein demokratischer Prozess. Wir haben im Programm auch immer wieder Phasen, in denen sich die Jugendlichen selbst ihre Zeit einteilen können.“
Insgesamt nehmen 16 Jugendliche im Alter zwischen 17 und 26 Jahren aus Tschechien und Deutschland teil. Valentina Eimer betont den hohen Stellenwert von Diversität im Team:
„Es ist einer der Kernpunkte unserer Arbeit, dass alle gleichberechtigt sind. Egal ob Leiterin, Assistenz, Teilnehmer oder Teilnehmerin. Jeder soll gleichermaßen seine Ideen einbringen. Es ist völlig okay, unterschiedlicher Meinung zu sein, wenn man konstruktiv darüber spricht. Wir formulieren auch nicht explizit, dass die Teilnehmer deutsch oder tschechisch sein müssen. Wir laden Menschen aus allen Ländern ein, die ihren Wohnsitz in einem der beiden Staaten haben. In diesem Jahr sind auch Menschen mit Fluchthintergrund, aus der LGBTQ+-Szene oder mit Behinderung dabei.“
Vermischung der Sprache
Die Teilnehmer sollen zudem ihre Sprachkenntnisse verbessern. Dabei stehen aber das spielerische Erlernen und der Spaß an neuem Wissen im Vordergrund. Valentina Eimer:
„Wir versuchen, Einheiten nonverbal zu absolvieren, oder wir übersetzen konsekutiv. Unsere liebste Variante ist aber, die Sprachen zu mischen. Es gibt da verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel nach jedem Satz die Sprache zu wechseln oder die Wörter zu verbinden. ‚Danke‘ und ‚Děkuju‘ wird so zu ‚Dankuju‘. Wir wollen spielerisch rangehen und die Sprachbarrieren in den Hintergrund rücken.“
Valentina Eimer ist froh, dass auch in diesem Jahr die Förderer von Čojč, Erasmus +, der Kinder-und Jugendplan der deutschen Bundesregierung in Kooperation mit Tandem, der Deutsch-Tschechische Zukunftsfond und der Kreis Pilsen das Theaterprojekt finanziell unterstützen. Sie wünscht sich, eine stärkere Verbindung zwischen den jungen Erwachsenen aus Tschechien und Deutschland.
„Es geht uns darum, Brücken zwischen den Teilnehmenden zu bauen, Sprachbarrieren zu beseitigen und die Lust für das Nachbarland zu wecken. Die gesellschaftspolitischen Themen werden aus anderen Perspektiven betrachtet. Mit verschiedenen Blickrichtungen und unvorhersehbaren Begegnungen können wir kreativ sein und Spaß haben.“
Die Theateraufführung im Kloster Chotěšov findet am 21. August um 19 Uhr statt. Anschließend können Besucher bei einem Rundgang die Anlage kennenlernen. Der Eintritt ist frei.