Mit Cimrmann und Wodka ins ewige Eis – zwei Tschechen auf dem Weg zumNordpol

Petr Horký (links) mit Miroslav Jakeš

Bis zu minus 35 Grad Celsius, brechendes Eis, hungrige Eisbären, defekte Ausrüstung – das kann alles auf die beiden Tschechen zukommen, die sich noch in dieser Woche auf den Weg zum Nordpol machen. Es sind der Dokumentarfilmer Petr Horký und der erste Tscheche, der es aus eigener Kraft bis zum Nordpol geschafft hat, Miroslav Jakeš. Sie wollen dabei 200 km in rund 20 Tagen zurücklegen und ihre Erlebnisse zu einem Dokumentarfilm verarbeiten. Christian Rühmkorf hat sich kurz vor der Abreise mit einem der beiden Abenteurer – Petr Horký – unterhalten.

„Na cestě“ – Auf Reisen, die beliebteste Reisesendung im Tschechischen Fernsehen. Einer ihrer Regisseure, der Dokumentarfilmer Petr Horký, will sich einem Selbstversuch unterziehen. Zusammen mit Miroslav Jakeš, der der erste Tscheche am Nordzipfel der Erde war, will er in 20 Tagen eine Strecke von 200 km zum Nordpol zurücklegen. Und zwar auf den Spuren von Reinhold Messner, der diesen Weg bereits 1995 gemeistert hat. Wenn sie es schaffen, werden Horký und Jakeš, die ersten Tschechen sein, die sich über diesen Weg zum Nordpol durchgekämpft haben. Die Kamera wird dabei ihr Auge sein und die Erlebnisse und die Strapazen in die tschechischen Wohnzimmer bringen, sagt Horký:

„Ein riesiger Sieg wird es für uns sein, wenn wir dort einen anspruchsvollen Dokumentarfilm drehen. Das ist meine Herausforderung. Mein Ziel ist es nicht, die unglaubliche, phänomenale Leistung von Reinhold Messner zu überbieten.“

In drei Tagen schon heißt es für Regisseur Horký „Aufbruch!“.

„Am Samstag, den 22. März wird unser Flugzeug nach Spitzbergen starten. Dort bereiten wir uns ein paar Tage vor – ein paar kürzere Strecken um die Ausrüstung zu testen. Dann geht´s per Flugzeug ins arktische Eis zur russischen Polarstation Barneo.“

Barneo ist eine so genannte temporäre Driftstation. Ein kleines Zeltdorf auf driftendem Eis. Zwei russische Agenturen bauen es jedes Jahr für wenige Wochen Ende März auf – und spätestens Mitte Mai wieder ab. Barneo diente der Sowjetunion schon im kalten Krieg zu wissenschaftlichen und militärischen Forschungszwecken. Heute geht es um teuren Arktis-Tourismus. Zwei, drei Tage werden Petr Horký und sein Polarexperte Jakeš Leben und Alltag auf der Station drehen. Und dann - wird es ernst:

„Dann heißt es die Schier unterschnallen, die Rucksäcke aufsetzen und 200 eisige Kilometer bis zum Nordpol zurücklegen.“

Wie sieht so ein Tag im ewigen Eis aus, wie läuft er ab, wie geht man den Tag an, wenn man vor Kälte starr ist?

„Ich hab mir das in den letzten Tagen schon so oft durch den Kopf gehen lassen. Wenn ich aufwache, schlage ich erstmal die harte Eiskruste von meinem Schlafsack ab. Dann muss ich meinen inneren Schweinehund überwinden und anfangen zu funktionieren. Feuermachen, Frühstück zubereiten, Tee kochen. Da werden wir dann schon ein bisschen glücklicher sein. Aber dann kommt schon der nächste schreckliche Augenblick: Wir müssen raus aus dem aufgewärmten Zelt in die unmenschliche Kälte, mit Sturm und Schnee oder was einen dort sonst noch alles erwarten kann. Dann wird gepackt, das Zelt abgebaut. Dabei müssen wir immer aufpassen, dass uns nichts davonweht, denn das ist dann verloren. Dann rauf auf die Schier und den ganzen Tag laufen.“

Laufen, Spalten im Eis überwinden und Navigieren, dazwischen kleine Pausen zum Essen. Zwischen fünf und 15 Kilometer wollen sie am Tag schaffen. Wenn das Wetter mitspielt, vielleicht auch mal 20. Aber das hält auch Petr Horký kaum für möglich. Am Ende eines Tages voll klirrender Kälte müssen sich die beiden Tschechen noch überwinden, das Zelt wieder aufzubauen. Aber dann wird alles wieder gut, meint Petr Horký:

„Der angenehme Augenblick, ins Zelt zu kriechen, dann der äußerst angenehme Moment, wenn man das Feuer entzündet und dann der phantastische Moment sich etwas zu kochen, zu essen und einzuschlafen.“

Petr Horký  (Foto: ČTK)
Wenn alles klappt, wenn also die Nadel auf dem Kompass von Horký und Jakeš 90 Grad, Null Winkelminuten und 0,0 Winkelsekunden anzeigt, dann ist der magische Moment erreicht. Dann werden sie auf der Rotationsachse der Erde stehen, auf dem Punkt, an dem alle Meridiane der Welt zusammenlaufen. Wohin die beiden Tschechen dann auch ihren Blick richten werden – es wird immer Süden sein. Die Welt wird für kurze Zeit aufhören sich zu drehen. Und dann...

„Dann kommt am 13. April ein Hubschrauber, packt Horký und Jakeš ein, mit einem eingefrorenen Lächeln von Ohr zu Ohr - und es geht zurück.“

Wovor hat Petr Horký am meisten Angst, wenn er an die Expedition denkt?

„Unvorhersehbare Ereignisse. Pech. Ich habe Angst, dass unter uns das Eis bricht und wir einen Teil unserer Ausrüstung verlieren, so dass wir die Expedition abbrechen müssen. Ich habe Sorge, dass in der Kälte die Technik nicht durchhält. Die Kameras, die Batterien. Und ich habe Angst vor Zahnschmerzen. Ich wäre nicht der Erste und auch nicht der Letzte, der sein Vorhaben deswegen aufgeben müsste.“

Daher verbringt Horky in den letzten Tagen viele Stunden im Behandlungsstuhl seines Zahnarztes. Karies und Nervenbehandlung. Aber die Freude auf das, was kommt, überwiegt bei Petr Horký. Der Moment, wenn der Mensch seinen Rhythmus gefunden hat, durch die Eislandschaft zieht und seinen Gedanken nachgeht.

„Der Zustand, in den der Mensch unter diesen Extrem-Bedingungen gerät, dieser Zustand bringt ihn in eine ganz andere Welt von Wahrnehmungen. Die Dinge erhalten ihren urspünglichen Wert zurück.“

Mag es in den meisten Fällen stimmen, dass der Weg das Ziel ist, die größte Freude wäre es für Horký tatsächlich am Nordpol anzukommen. Dort wollen sie im hoffentlich ewigen Eis ihrem Land ein ewiges Denkmal setzen.

„Wir wollen dort zwei Sachen im Eis zurücklassen. Einmal eine DVD mit einem Stück des Jara-Cimrmann-Theaters. Es heißt `Die Bezwingung des Norpols durch den Tschechen Karel Němec´.“

Einige Figuren dieses Prager Kulttheaters entdecken bereits im 19. Jahrhundert immer neue Orte in der Welt, noch bevor Leute aus anderen Ländern überhaupt ihre Sachen gepackt haben.

Die zweite Sache, die sie im Eis zurücklassen wollen, ist eine Flasche Amundsen-Wodka. In Erinnerung an den großen Polar-Abenteurer, der den Nordpol nie erreicht hat. Also: Wodka im Eis, statt Eis im Wodka. In tschechischen Wettbüros wird bereits auf Horký und Jakeš gesetzt, erzählt der Dokumentarfilmer:

„Vom Wetten verstehe ich nicht viel und ich bin abergläubisch. Ich werde also auf uns nicht setzen. Aber die Leute wetten, ob wir dort überhaupt ankommen. Und außerdem, ob uns ein Eisbär auffressen wird.“