Mit dem digitalen Stift den Vögeln hinterher
Haargenaue Abbildungen von Tieren sind das Geschäft von Martina Nacházelová. Die junge Biologin arbeitet nämlich gleichzeitig als wissenschaftliche Illustratorin. Wie kommt man aber dazu, in diese Nische zwischen Wissenschaft und Kunst vorzustoßen? Und wie sieht eigentlich ihr Arbeitsablauf aus? Unter anderem darüber hat Martina Nacházelová in einem Interview für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks gesprochen.
„Ich war damals mit einer Studiengruppe in Sibirien am Baikalsee. Wir wollten dort Nistplätze von Watvögeln finden und die Tiere beobachten. Einmal waren wir früher mit dem Unterricht fertig. Ich habe mir Gummistiefel angezogen, meinen Skizzenblock sowie Aquarellfarben genommen und bin alleine in die Sümpfe gegangen. Ich wollte dort die wunderbare Landschaft malen. Durch die Einsamkeit hat man ja so eine besondere Verbindung mit der Natur. Dann kam auf einmal ein Brachvogel angeflogen mit seinem wunderschönen gebogenen Schnabel. Er hüpfte 20 Minuten lang um mich herum und rief dabei. Das war wirklich zauberhaft, wie wir so allein zusammen waren, der Brachvogel und ich.“
Doch nicht nur Vögel, sondern auch Wölfe, Rehe oder Beuteltiere gehören zum Repertoire von Martina Nacházelová. Sie ist nämlich wissenschaftliche Illustratorin, und ihre Abbildungen sind in zahlreichen zoologischen Fachbüchern und Publikationen zu finden. Doch warum braucht man überhaupt wissenschaftliche Zeichnungen von Pflanzen oder Lebewesen, wenn man diese auch fotografieren kann?
„Gerade die Illustration hält ein typisches Exemplar einer Art fest. Das Foto hingegen zeigt nur ein individuelles Tier oder eine individuelle Pflanze, die aber deformiert sein kann oder ein außerordentliches Merkmal aufweist. Die Rolle der Illustration ist dabei, die Eigenheiten mehrerer Individuen zusammenzufassen und etwas Typologisches zu schaffen. Außerdem ist die Illustration unentbehrlich für Arten, die sehr selten oder bereits ausgestorben sind. Das betrifft vor allem Zeichnungen von Urzeittieren, von denen es naturgemäß keine Fotos gibt. Deshalb sind die Illustrationen nach wie vor wichtig.“Von der Biologin zur Zeichnerin
Ab den 1960er Jahren konnte man wissenschaftliche Illustration an der Hochschule für Kunstgewerbe in Prag sogar studieren. Der Grafik-Professor Zdeněk Sklenář hatte sich damals darum verdient gemacht. Mit der Zeit ging das Fach aber verloren, und nur noch wenige Begeisterte trauten sich an die detailgetreuen Zeichnungen. Die meisten wissenschaftlichen Illustratoren sind Grafiker, die ein besonderes Interesse haben für die Natur. Martina Nacházelová ist von einer anderen Seite zu ihrer Kunst gekommen:„Es besteht generell die Frage, ob ein wissenschaftlicher Illustrator tatsächlich Kunst oder Grafik studiert haben muss. Ich selbst bin studierte Biologin und habe meinen Abschluss an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Prager Karlsuniversität gemacht. Das Zeichnen war für mich immer eher ein Hobby, und ich bin da ganz Autodidakt. Der Vorteil ist, dass ich selbst schon den wissenschaftlichen Blick in mein künstlerisches Schaffen bringe. Ich bin also nicht vollkommen abhängig von dem Forscher, dessen Buch ich illustriere, sondern habe auch selbst Ahnung von der Materie.“
Wie sieht aber die Arbeit eines wissenschaftlichen Illustrators aus? Vor allem: Wo bekommt man die perfekten Vorbilder her für die stilisierten Zeichnungen? Martina Nacházelová geht dazu mit offenen Augen durch die Natur. Das würde aber noch lange nicht reichen, meint die Künstlerin:
„Ich zeichne ja vor allem Vögel, also muss ich raus in die Natur, um das zu trainieren. Zugegebenermaßen ist das ein bisschen schwieriger, als wenn man Pflanzen oder Pilze zeichnet, denn die bewegen sich im Gegensatz zu den Vögeln ja nicht. Die kann man mit nach Hause nehmen und sie dann auf Papier bringen. Meine Bewunderung gilt jenen Kollegen, die zwei Sekunden durchs Fernglas schauen und schon die Skizze eines bestimmten Vogels fertig haben. Ich hingegen arbeite meist zu Hause. Dabei bringe ich aus dem Terrain Beobachtungen zur Anatomie oder zu den Bewegungen eines Vogels mit. Für die Illustration selbst braucht man dann möglichst viele Informationen über das bestimmte Tier. Wenn es sich um eine ausgestorbene oder seltene Art handelt, die ich natürlich noch nie gesehen habe, dann lese ich viel dazu. Und auch Google ist ein großer Helfer. Da finde ich in der Regel viele Bilder von dem Objekt, das ich zeichnen muss, wobei ich immer nach einer konkreten Perspektive suche. Auf Grundlage der Fotos entsteht dann eine Skizze, die ich um alle möglichen Details erweitere. So entsteht dann ein fertiges Bild, das ich vorher abstrakt schon im Kopf hatte.“ Außerdem würde ihr ein ganz besonderes Hobby bei der Arbeit helfen, sagt die Biologin:„Das Birdwatching wird ja bei uns in Tschechien auch immer beliebter, wobei es noch längst nicht Volkssport ist wie zum Beispiel in Großbritannien oder den USA. Man reist dabei den Vögeln durch ganz Tschechien oder durch die ganze Welt hinterher und hat seine Freude an der Beobachtung der Tiere. Das Aussehen und der Gesang der Vögel sind sehr interessant, da sie ja genauso wie wir Menschen auf eine visuelle und akustische Art miteinander kommunizieren. Gerade diese ‚Jagd‘ nach bestimmten Vogelarten und die Spaziergänge mit dem Fernglas durch die Natur sind ein schöner und beruhigender Zeitvertreib.“
Durch das Birdwatching sei sie bereits an Orte gekommen, die sie sonst wahrscheinlich nie besucht hätte, fügt Martina Nacházelová hinzu.
Digitale Kunst
Ob nun mit dem Bleistift oder als Aquarell – präzise wissenschaftliche Bilder entstehen auf viele Arten. Der Gigant der tschechischen Illustration, der Urzeit-Maler Zdeněk Burian, schuf seine Werke mit Ölfarben, Tempera, Guaschen, Pastellen oder aber mit Feder und Bleistift. Die Nachwuchs-Illustratorin Martina Nacházelová vertraut da eher auf moderne Technik:
„Mittlerweile arbeite ich ausschließlich mit einem grafischen Tablet, dabei zeichnet man mit einem digitalen Stift direkt auf den Bildschirm. Das ist praktisch, auch wenn es einige Nachteile hat. Die Tablets sind einerseits sehr sperrig, wobei in letzter Zeit auch handlichere Varianten auf den Markt gekommen sind. Andererseits muss das Gerät auf dem Tisch stehen, ich kann es also nicht wie Stift und Papier einfach mal so mit in die Natur nehmen. Meine Arbeit findet also hauptsächlich am Schreibtisch statt.“Doch bringt ihr das oft schräge Blicke von älteren und erfahreneren Kollegen ein:
„Gerade viele traditionelle Zeichner, die mit Aquarell oder Tusche arbeiten, schauen etwas abschätzig herab auf uns neue digitale Künstler. Der Vorwurf lautet, dass wir es uns zu leicht machen würden mit den vielen einzelnen Bearbeitungsebenen und der Rückgängig-Taste. Tatsächlich ist die Bearbeitung der Bilder auf dem Tablet viel einfacher. Mit meiner langjährigen Erfahrung am Gerät kann ich aber sagen, dass für einen Vogel eine einzige Bearbeitungsebene vollkommen ausreicht und dass ich die Rückgängig-Taste nur brauche, wenn ich mich einmal wirklich arg vermalt habe.“
Nichtsdestotrotz schwört Martina Nacházelová auf ihr digitales Papier und ihren virtuellen Stift. Das schon allein wegen der Logistik und der Kosten:„Zwar ist ein gutes Tablet teuer, doch man kann es viele Jahre lang verwenden. Wenn man sich immer wieder hochwertige Ölfarben und Leinwände kauft, dann geht das mindestens genauso ins Geld. Der entscheidende Vorteil am Tablet ist aber, dass das Bild dann in digitaler Form vorliegt und ich viel einfacher mit Kunden am anderen Ende Tschechiens oder sogar der Welt zusammenarbeiten kann. Ich schicke mein Werk also ganz einfach per E-Mail in die USA, ohne mich zuvor um einen hochwertigen Scan des Bildes kümmern zu müssen. Eine Nachbearbeitung am Computer ist nicht mehr nötig, und das digitale Bild hat am Ende eine höhere Qualität als ein Original auf dem Papier.“
Wichtig ist die Begeisterung
Für Martina Nacházelová haben ihre Zeichnungen aber nicht nur einen wissenschaftlichen Wert. Sie betont, dass es sich nichtsdestotrotz um Kunst handele, die gleichzeitig sehr engagiert sei:„Einen künstlerischen Wert haben die Illustrationen auf jeden Fall, vor allem wenn sie der Öffentlichkeit ein Thema näherbringen sollen. Natürlich dienen meine Zeichnungen in erster Linie der Forschung und wissenschaftlichen Publikationen. Auf der anderen Seite können sie aber auch das Interesse der Menschen für die Natur und den Naturschutz wecken, dazu müssen die Zeichnungen dann auch nicht mehr so genau sein. Schließlich lassen sich mit den Bildern Kinder für die Natur und die Tiere begeistern. So war es zumindest bei mir.“
Kann man aber von den Zeichnungen leben? Eher nicht, meint Martina Nacházelová. Das aber hält für sie die Leidenschaft fürs Zeichnen aufrecht.
„Ich bin eigentlich keine Vollzeit-Illustratorin. Für mich bleibt das Zeichnen also immer eher ein Hobby.“