Mit dem Moped in einer Panzer-Kolonne

Foto: National Archives, Wikimedia Commons, Public Domain

Den Abend werde er sein ganzes Leben nicht vergessen. Es war der 20. August 1968, schreibt Thomas Walde aus Eckartsberg bei Zittau.

Königsholz bei Zittau  (Foto: Moritz Wickendorf,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
Seit Wochen lagerten sowjetische Armeeeinheiten – wir sagten „Russen” – im Königsholz bei Zittau. Wir durften dort nun keine Pilze mehr suchen. Ein Freund von mir glaubte, das Verbot ignorieren zu können. Das Ergebnis war, dass er die Pilze abgenommen bekam und ein paar Stunden Kartoffeln schälen musste.

An jenem Abend wollten wir bei unserem Kaplan zum Westfernsehen gehen. Das ging in Zittau nur an einigen Stellen mit großem technischem Aufwand. Plötzlich hatten wir laufend Störungen. Das Bild wurde schwarz und über den Ton quatschte eine unverständliche Stimme. Also haben wir den Fernsehabend abgebrochen und sind nach Hause gefahren. Ich mit meinem Moped SR1.

Plötzlich sah ich, dass da Panzer durch Zittau fuhren. In eine Lücke der Kolonne habe ich mich eingereiht. Bald merkte ich, die waren schneller als mein Moped. Dass mein Rücklicht nicht brannte, war mir bewusst. Bisher hatte mich das aber nicht weiter gestört. Nun hatte ich Angst um mein Leben. Werden die mich überhaupt sehen? Die nächste Kreuzung war noch ein ganzes Stück weit weg und das Monster hinter mir kam immer näher. Als die Kreuzung dann endlich da war, bin ich schräg über den Bürgersteig gefahren, egal ob die Reifen das aushalten. – Gerettet! Dann habe ich mich erst mal auf die Straße gesetzt und eine geraucht.

Foto: National Archives,  Wikimedia Commons,  Public Domain
Am nächsten Morgen schaltete ich, wie immer, die deutschen Nachrichten der BBC ein. Vor den Frühnachrichten kam immer die Wiederholung des Kommentars vom Vorabend. Nun hörte ich gerade noch den Sprecher sagen: „als der Kommentar aufgenommen wurde, war von den Ereignissen in der Tschechoslowakei noch nichts bekannt.” Da fielen mir die Schuppen von den Augen. Sofort wusste ich, warum die Panzer in der Nacht durch Zittau gefahren waren. Hatte ich doch immer die „Prager Volkszeitung“ gekauft. Auch mal Radio Prag gehört. (War ja mit der stärkste Sender in Zittau.) Nach der Arbeit wollten wir, mein Freund und ich, mal schauen, ob wir was an der Grenze sehen könnten. Das Zittauer Gebirge war aber nicht mehr zugänglich. An allen Straßen standen Posten, welche nur noch echte Einwohner passieren ließen. Als ich es dann doch auf einem Weg geschafft hatte nach Hartau bis an die Grenze zu kommen, habe ich zwar nichts in Tschechien gesehen, aber dafür beim Umdrehen drei MP-Mündungen vor mir. Nach 2-3 Stunden durfte ich dann wieder gehen.

Das war der 21. August 68. An diesem Tage bin ich ein „politischer Mensch” geworden.