„Moderne Architektur in der historischen Stadt“ – Denkmalamt widmet sich der Verbindung von alt und neu
Zehntausende denkmalgeschützte Gebäude und unzählige historische Stadtkerne zählt Tschechien, zwölf der bedeutendsten Baudenkmäler und Ensembles haben es bislang auf die prestigeträchtige Liste des UNESCO-Weltkulturerbes geschafft. Gleichzeitig nimmt seit Jahrzehnten die Bautätigkeit in den Städten zu und macht auch vor den Altstädten nicht halt. Bereits unter dem kommunistischen Regime entstanden zahlreiche Neubauten, die nicht immer respektvoll mit ihrer Umgebung umgehen. Abschreckende Beispiele dafür finden sich unter anderem in Jihlava / Iglau oder in Znojmo / Znaim. Aber auch nach der politischen Wende vor 20 Jahren trat das geschützte Kulturerbe des Landes oft hinter den neu erstarkten kommerziellen Interessen in den Schatten. Deutlich sichtbar sind die Auswirkungen der modernen Kommerzarchitektur etwa in Prag, Brünn oder Liberec / Reichenberg. In Prag gibt es gerade wieder heftige Diskussionen um den Abriss von Altbauten entlang des Wenzelsplatzes zu Gunsten von neuen Geschäfts- und Bürozentren. Gleichzeitig erreichen nach 30, 40 Jahren auch einige architekturhistorisch bedeutende Bauten aus der kommunistischen Ära ein Alter, in dem man sich über ihre Zukunft Gedanken machen muss. Mit all diesen Fragen beschäftigt sich ein neues Projekt des tschechischen Nationalen Denkmalamtes (NPÚ) mit dem Titel „Moderne Architektur in der historischen Stadt.“
„Uns wird oft nachgesagt, dass wir keine zeitgenössische Architektur mögen, dass wir moderne Bauwerke im historischen Umfeld nicht gerne sehen. Dieses Image versuchen wir loszuwerden. Ich sage es ganz deutlich: Das Nationale Denkmalamt ist nicht gegen zeitgenössische Architektur. Aber nicht jedes historische Ensemble verträgt moderne Gebäude. Und wenn doch, dann muss die moderne Architektur gewissen Qualitätsansprüchen genügen und dem historischen Umfeld etwas Neues bringen.“
Natürlich gebe es besonders sensible Orte, die sich über die Jahrhunderte ihr einheitliches Erscheinungsbild bewahrt haben und die durch eine modernen Neubau empfindlich beeinträchtigt oder sogar zerstört würden, so Tschechiens oberste Denkmalschützerin:„Aber das sind nur ganz wenige Orte. Ich würde den historischen Stadtkern von Telč oder den von Český Krumlov nennen. Das sind Beispiele für besonders authentische und besonders empfindliche historische Ensembles, wo zeitgenössische, avantgardistische Architektur nur schwer vorstellbar ist. Ich spreche natürlich nur von den historischen Stadtkernen, nicht von den Außenbezirken, die an das Zentrum anschließen. Daneben gibt es eine Reihe von geschützten Altstädten, deren hoher historischer Wert zwar unbestritten ist, die aber dennoch moderne Gebäude aufnehmen können. Ein Beispiel dafür ist das Prager Stadtzentrum. Gerade im Bereich der Neustadt ist genug Platz für moderne Architektur. Aber ich betone es noch einmal: Diese Architektur muss hohen Qualitätsansprüchen genügen.“
Das beste Beispiel dafür sei gerade Frank O. Gehrys „Tanzendes Haus“, so die Denkmalschützer. Trotz seiner avantgardistischen Form füge es sich harmonisch in das historische Umfeld ein und überschreite mit seiner luftigen Form weder die vorgegebene Baudichte, noch rage es wesentlich über die umstehenden Häuser hinaus. Durch seine Erker und die Kuppel zitiert es außerdem wesentliche Gestaltungsmerkmale der Gründerzeitarchitektur und schlägt so die architektonische Brücke zu den gut 100 Jahre älteren Nachbargebäuden.Aber gerade in Prag gebe es auch eine Reihe von modernen Bauten, die sich überhaupt nicht mit ihrer historischen Umgebung auseinandersetzten und die oft über Jahrhunderte gewachsenen Ensembles empfindlich störten, sagt der Kunst- und Architekturhistoriker Richard Biegel von der Prager Karlsuniversität:
„Ein Beispiel dafür ist das neue Büro- und Geschäftszentrum ‚Myslbek’ in der Prager Altstadt. Es ist um zwei Stockwerke höher als alle Gebäude rundherum und erdrückt mit seiner Masse den ganzen Häuserblock. Mit diesem Bau ist auch ein gefährlicher Präzedenzfall für ähnliche Projekte in historischen Stadtkernen gefallen. Ein geradezu parasitenartiger Neubau ist das Brünner Einkaufszentrum Špalíček, das vorgibt, die historische Bebauung zu vervollständigen. Bei seiner Errichtung ist eines der architekturhistorisch wertvollsten Häuser zerstört worden, die es im Brünner Stadtzentrum gegeben hat. Ein eigenes Kapitel sind Projekte, die quasi ‚hinter den Kulissen’ entstehen. Diese Neubauten sind nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen, haben aber trotzdem große Auswirkungen auf ihr historisches Umfeld. Ein Beispiel dafür ist der Umbau der ehemaligen Kaserne am Prager Platz der Republik. Dort verbirgt sich hinter einer historisierenden Fassade einer der größten Monoblöcke, die je im Altstadtgebiet errichtet worden sind. Das Gebäude steht im totalen Widerspruch zur feinen Parzellierung der umliegenden Objekte. Das ist ein Lehrbeispiel für schlechte Kommerzarchitektur. Es ist eine Kombination aus einer viel zu großen Baumasse und dem so genannten ‚Fassadismus’. Hinter der Fassade versteckt sich etwas, das schon lange keine Kaserne mehr ist, sondern ein Einkaufszentrum, das eine frühere Freifläche völlig ausfüllt.“
Doch bei der Betrachtung und Bewertung zeitgenössischer Eingriffe in historische Stadtensembles gehe es bei weitem nicht nur um moderne Gebäude. Auch im Bereich der Stadtplanung und bei der Neugestaltung öffentlicher Flächen wie Plätze oder Parks könne man viel falsch machen. Es gebe in Tschechien aber auch einige Beispiele für gelungene Projekte, etwa den Oberring, den Hauptplatz der Weltkulturerbe-Stadt Olomouc / Olmütz, sagt Architekturhistoriker Biegel.
Das deutlichste Beispiel dafür, wie kommerzielle Interessen den Denkmalschutz regelrecht niederwalzen können, sei die nordböhmische Stadt Liberec / Reichenberg, sagt Jiří Křížek von der dortigen Außenstelle des Nationalen Denkmalamtes:
„Das ist die Denkmalschutzzone, die dem größten Druck ausgesetzt ist. Da kommt es zu einer harten Konfrontation zwischen historischer und zeitgenössischer Architektur. In jenem Stadtteil, den wir ‚Gartenstadt’ nennen, ein Villenviertel am Stadtrand, hat sich das ursprüngliche Ensemble bis heute weitgehend erhalten. Da war der Druck der Immobilieninvestoren nicht so groß, obwohl es auch dort einzelne Neubauten gibt und weitere Projekte in Planung sind. Aber noch steht die ursprüngliche Bebauung. Ganz im Gegensatz zum Stadtzentrum, das immer noch durch Neubauprojekte beeinträchtigt wird, die die Bebauung weiter verdichten.“
Die mittlerweile von den Bürgern abgewählten Kommunalpolitiker hätten in Sachen Stadtplanung jahrelang „komplett versagt“, sagt der Reichenberger Denkmalschützer Křížek. Man habe alles den Interessen der Immobilienhaie untergeordnet. Erst im Zuge der Wirtschaftskrise habe der Druck in jüngster Zeit ein wenig nachgelassen. Für das Kaufhaus Ještěd, ein bedeutendes Beispiel für die so genannte geometrische Architektur der Siebzigerjahre, sei die Krise aber leider zu spät gekommen, so der Experte. Der mehrstufige, mit orangefarbenen Kacheln verkleidete Bau im Zentrum von Liberec wurde trotz heftiger Proteste im Vorjahr abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.
„Liberec hatte einen großen Vorteil, an den es aber leider nicht anknüpfen konnte: Hier ist schon vor dem Jahr 1989 qualitativ hochwertige moderne Architektur entstanden. Gerade das Schicksal des Kaufhauses Ještěd hat dafür gesorgt, dass Liberec seinen guten Ruf endgültig verloren hat. Es waren übrigens die Denkmalschützer, die als erste auf die besondere architektonische Qualität dieses Gebäudes hingewiesen haben. Auch unter Architekten war der Wert des Baus lange umstritten. Aber aus denkmalpflegerischer Sicht handelt es sich – oder besser gesagt handelte es sich, ich muss leider in der Vergangenheit sprechen – um ein äußerst wertvolles Objekt, ein Symbol des modernen Liberec. Durch den massiven Druck der Immobilienlobby, die neue Freiflächen haben wollte, ist es leider zerstört worden.“ Doch das Kaufhaus Ještěd sei bei weitem nicht das einzige erhaltenswerte Bauwerk aus den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren gewesen, sagt der Denkmalschützer. Sogar einige Plattenbauten seien als Beispiele für moderne tschechoslowakische Architektur und die sozialistische Siedlungs- und Wohnbaupolitik durchaus schützenswert. Sich um deren Erhaltung zu kümmern, sei eine der zukünftigen Herausforderungen für die Denkmalpfleger, so der Leiter des Liberecer Denkmalamtes, Jiří Křížek.