Museumsexperte: Auch am 9. Mai 1945 fielen im Protektorat noch Bomben

Foto: ČT 24

Am 8. Mai 1945 hat die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapituliert. Seitdem wird dieser Tag in den Geschichtsbüchern als Ende des Zweiten Weltkriegs geführt. In Frankreich und einigen mitteleuropäischen Ländern wird er seitdem Tag der Befreiung vom Faschismus oder als Tag des Sieges begangen. Darunter neuerdings auch wieder in Tschechien und der Slowakei. In ihrer gemeinsamen kommunistischen Zeit aber haben beide Länder den 9. Mai 1945 als Kriegsende angesehen, und zwar deshalb, weil an diesem Tag die Rote Armee der Sowjetunion in Prag einmarschierte. Dieser Tage wiederum wurde öffentlich gemacht, das nach dem offiziellen Kriegsende im ehemaligen Protektorat Böhmen und Mähren sogar noch gebombt wurde.

In den tschechischen Geschichtsbüchern war es jahrelang zu lesen: Die Tschechoslowakei wurde durch die Rote Armee befreit. Nach der politischen Wende 1989 wurde offiziell hinzugefügt, das Westböhmen mit seiner größten Stadt Plzen / Pilsen von den Amerikanern befreit wurde. Zu lesen ist auch, dass vereinzelt sogar noch bis zum 11. Mai geschossen wurde, und zwar bei Milín in Mittelböhmen. Nun aber wurde publik, dass am 9. Mai 1945 in Böhmen und Mähren noch Bomben fielen und zwar Bomben, die aus russischen Flugzeugen abgeworfen wurden. Das berichtete der Kurator der Flugzeug-Sammlungen im Nationalen Technischen Museum, Michal Plavec, am Mittwoch im Tschechischen Fernsehen (ČT):

Michal Plavec  (Foto: Šárka Ševčíková,  Tschechischer Rundfunk)
„Am 9. Mai 1945 operierten im Luftraum über dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik drei Fliegerverbände der Roten Armee. Das war zum einem der zweite Fliegerverband. Er war Teil der ersten ukrainischen Front, deren Einheiten sich damals von Berlin nach Prag bewegten. Zum zweiten waren es Einheiten des achten Fliegerverbandes, die vor 67 Jahren um Olmütz operierten und es waren Einheiten des fünften Fliegerverbandes der Roten Armee, die seinerzeit gegen Siedlungen auf der Böhmisch-Mährischen Höhe eingesetzt wurden.“

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Auch wenn sich die Bombardierungen der Roten Armee am 9. Mai vor 67 Jahren vorwiegend gegen kleinere Ortschaften richteten, so haben sie dennoch etliche Leben gefordert:

„Es waren Dutzende Städte und Dörfer, die bombardiert wurden. Jener Luftangriff aber, der damals das meiste Leid hervorgerufen hatte, geschah in Mladá Boleslav, wo der zweite Fliegerverband im Einsatz war. Hier sind nachweislich rund 140 Menschen umgekommen, einige Historiker sprechen sogar von 500.“

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Plavec nannte aber auch noch weitere Orte, die von den russischen Luftangriffen am 9. Mai 1945 betroffen waren:

„Mělník, Roudnice nad Labem und Litoměřice. Im Rahmen der Luftangriffe, die der fünfte Fliegerverband durchführte, nahm die Bombardierung von Ždírec nad Doubravou und des benachbarten Krucemburk den tragischsten Verlauf.“

Sind diese Luftangriffe einfach in Vergessenheit geraten? Für Michal Plavec ist das nicht der Fall:

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„Es wurde darüber einfach geschwiegen. Teilweise wurde aber im Bewusstsein der Leute – auch durch den Einfluss der damaligen Propaganda – ein falscher Eindruck erweckt. Ein Eindruck, der hartnäckig aufrechterhalten wurde: Am 9. Mai 1945, dem ersten Tag des Friedens, können doch keine Flugzeuge der Roten Armee noch Bomben abgeworfen haben. Diese tragischen Ereignisse seien vielmehr auf das Konto der deutschen Luftwaffe oder der deutschen Artillerie gegangen.“

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Es sei aber eindeutig die Rote Armee gewesen, die dieses zusätzliche Leid verursacht habe, betonte Plavec. Für die Hinterbliebenen der damaligen Opfer aber ist auch das nur ein schwacher Trost. Für sie wird wohl immer erst der 10. Mai 1945 als der Tag in ihrer Erinnerung sein, an dem es keine kriegerische Handlung mehr gab.