Nach der Razzia im Tschechischen Fernsehen: Ist die Pressefreiheit in Gefahr?

Foto: ČTK

Die tschechischen Fernsehzuschauer staunten nicht schlecht, als sie vergangenen Freitag während die Hauptnachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens verfolgten: Praktisch live konnten sie dort einen Einsatz eines bewaffneten Kommandos der Militärpolizei in den Redaktionsräumen des Fernsehens mitverfolgen. Die Polizisten drangen in das Büro des Journalisten Karel Rožánek ein, der sich seit langem mit der angespannten Situation im Verteidigungsministerium beschäftigt. Sie suchten ein geheimes Dokument, das zuvor aus dem Ministerium verschwunden war und dem Redakteur Rožánek zugespielt wurde. Dazu nun ein Gespräch mit dem Politologen und Radio-Prag-Mitarbeiter Robert Schuster.

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Robert, ein bis an die Zähne bewaffnetes Polizeikommando in den Redaktionsräumen des Tschechischen Fernsehens – gab es das schon irgendwann in der Vergangenheit? Was soll man davon halten?

„Das gab es tatsächlich noch nie in der jüngsten tschechischen Geschichte. Wenn man sich die Reaktionen der Politiker und der breiten Öffentlichkeit anschaut, dann wird sich so etwas auch nicht mehr so schnell wiederholen. Der Aufschrei war wirklich groß und man war sehr überrascht über die Heftigkeit des Einsatzes im Gebäude des Tschechischen Fernsehens. Ich denke, Verteidigungsminister Alexandr Vondra, der oberste Dienstherr der Militärpolizei, hat die Konsequenzen schon gezogen, indem er nicht nur den Chef dieses Einsatzes Vororts, sondern auch den Chef der ganzen Militärpolizei beurlaubt und eine Untersuchung angekündigt hat. Insofern denke ich, dass hier die Mechanismen funktioniert haben und dass man in naher Zukunft eine Wiederholung nicht fürchten muss.“

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Das Verteidigungsministerium gehört zu jenen Ressorts, die insbesondere wegen der Korruption immer wieder Gegenstand der Medienberichterstattung sind. Zu Recht?

„Das kann man wohl sagen. Man muss natürlich auch die Zusammenhänge sehen. Das Verteidigungsministerium, oder generell die tschechische Armee, ist eine Institution, die in den vergangenen 20 Jahren eine sehr große, tiefe Veränderung durchgemacht hat. Nicht nur, dass die Zahl der Soldaten reduziert wurde und die Restbestände verkauft wurden. Es wurden auch neue Militärsysteme angeschafft. Das hat natürlich Raum für Machenschaften und korruptes Verhalten geschaffen sowie für das Ausschreiben von öffentlichen Aufträgen, die maßgeschneidert waren. Das heißt mit dem Ziel, einen konkreten, vorher ausgewählten Bewerber oder Interessenten zu bedienen. Das Tschechische Fernsehen oder generell die Medien in Tschechien haben sicherlich durch ihre Berichterstattung dazu beigetragen, dass diese Fälle publik wurden. Es wurde deswegen auch eine gewisse Sensibilisierung hergestellt. Insofern kann man die bisherige Tätigkeit des Tschechischen Fernsehen und anderer Medien nur begrüßen. Natürlich muss man sich die Frage stellen, ob jetzt die Ereignisse vom vergangenen Wochenende auch nicht irgendwelche tiefere Wurzeln oder Motive haben. Man darf nicht vergessen, dass der jetzige Verteidigungsminister Alexander Vondra ja jemand ist, der nach seinem Amtsantritt sehr massiv versucht hat, eben Altlasten des Verteidigungsministeriums loszuwerden. Er hat viele hohe Beamte wegen des Verdachts auf Korruption entlassen. Die meisten öffentlichen Aufträge im Rahmen seines Resorts werden jetzt neu bewertet. Und natürlich schafft sich jemand Feinde, der so massiv in die bestehenden Strukturen eingreift. Ich bin zwar kein Anhänger irgendwelcher Verschwörungstheorien, aber ich frage mich, ob der Einsatz nicht letztlich auch zur Beschädigung von Verteidigungsminister Vondra dienen soll.“

Miroslav Kalousek
Interessanterweise hat einige Tage zuvor Finanzminister Miroslav Kalousek versucht, auf die Chefredakteure zweier wichtiger Zeitungen Druck auszuüben. Kalousek warnte sie telefonisch, ein angeblich geheim mitgeschnittenes Video zu veröffentlichen. Auf dem Video sollte der Verlauf einer Besprechung der Chefredakteure aller wichtigen Tages- und Wochenzeitungen zu sehen sein, die über eine mögliche Strategie gegen die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer berieten. Obwohl Kalousek später erklärte, dass er nur geblufft hatte: Können diese beiden Ereignisse als Versuche gewertet werden, die freie Berichterstattung in Tschechien zu beeinträchtigen?

„Ich bin mir nicht sicher, ob man das tatsächlich, vor allem in diesem Zusammenhang, so sehen kann. Zum Beispiel Adam Černý, der Chef des tschechischen Journalistenverbandes, hat diesen Zusammenhang hergestellt. Aber Tatsache ist, dass viele Politiker in Tschechien in den Medien nicht mehr nur Partner sehen, mit deren Hilfe sie ihre Botschaften ans Volk bringen können, sondern in gewisser Weise auch Gegner und vielleicht Feinde. Was noch schlimmer ist: Sie versuchen die Medien für ihre politischen Ziele einzuspannen. Und das ist natürlich ein Problem, sicherlich nicht nur in der tschechischen Gesellschaft, sondern generell. Die Medien sind dann verletzlich. Und wenn man die Entwicklung in den vergangenen zehn oder fünfzehn Jahren betrachtet, dann sieht man, dass dies nicht nur auf Tschechien, sondern generell zutrifft. Gerade die Printmedien werden ja immer wieder oder immer stärker vom Internet oder von modernen sozialen Netzwerken beeinträchtigt und beeinflusst. Das gibt natürlich Politikern die Möglichkeit, zum Beispiel mittels Steuererhöhungen oder auch gezielter Regulierungen die Medien zu beeinflussen und sie irgendwie auch für ihre politischen Ziele einzuspannen. Vielleicht führen diese beiden jüngsten Ereignisse in Tschechien, das heißt nicht nur dieser ominöse Telefonanruf Kalouseks bei den tschechischen Chefredakteuren, aber auch diese Aktion der Militärpolizei im Tschechischen Fernsehen, dazu, dass die Medien wachsamer werden gegenüber dieser Einflüsse und sie sich wirklich zu unabhängigen Hütern der Demokratie entwickeln.“