Nach Proben in Südböhmen zum Konzert in Berlin: Ševčík Academy Orchestra bei Young Euro Classic

Ševčík Academy

Die besten Jugendorchester der Welt kommen im August zum 25. Mal beim Festival Young Euro Classic in Berlin zusammen. Im Jahr der Tschechischen Musik 2024 ist das Ševčík Academy Orchestra mit dabei. Was verbirgt sich hinter der Ševčík-Akademie? Wer war Otakar Ševčík, dessen Namen sie trägt? Und welches Werk wird im Konzerthaus am Gendarmenmarkt seine deutsche Erstaufführung feiern?

Die Sommerferien bieten jungen Musikern nicht nur Freizeit und Entspannung, sondern auch die Gelegenheit, eine oder zwei Wochen bei einem Musikkurs zu verbringen. Ein solcher ist die sogenannte Ševčík-Akademie, die an diesem Sonntag in der malerischen Kleinstadt am Fuße des Böhmerwaldes Horažďovice / Horaschdowitz beginnt. Mehrere Dutzend junge Geiger, Bratscher, Cellisten und Kontrabassisten aus Tschechien und dem Ausland nehmen daran teil, um ihre Spielkunst unter der Anleitung von Spitzenlehrern und -künstlern zu verbessern. Gründer und künstlerischer Leiter der Akademie ist der international renommierte und in Berlin lebende tschechische Violoncellist Tomáš Jamník:

Tomáš Jamník | Foto: Tomáš Vodňanský,  Archiv des Tschechischen Rundfunks

„Ich bin mir sicher, wenn die Zuhörer zu unseren Konzerten in Berlin kommen, sehen sie einfach eine sehr freundliche Gruppe von tschechischen, deutschen, französischen, amerikanischen und asiatischen Studenten, die zwei Wochen zusammen verbracht haben. Wir haben individuelle Meisterkurse und Seminare, wir machen aber auch viel Sport, spielen Fußball und Tischtennis. Zudem veranstalten wir viele Konzerte in Horažďovice. Es gibt ein sehr buntes Programm, aber ich selbst setze eigentlich den Akzent auf die Freundschaft. Ich glaube, wir müssen uns treffen und uns einfach besser kennenzulernen. Denn es ist Sommer, es sind Ferien. Und man kann dann auf der Bühne sehen, dass alle Freunde sind.“

Die Sommerferien mit Musik

Im Andenken an den Geigenspieler Otakar Ševčík ist die Akademie in Horažďovice für Musiker an Streichinstrumenten gedacht. Jamník hat den Kurs 2019 ins Leben gerufen:

„Die Idee kam eigentlich in Berlin. Ich war Stipendiat der Karajan-Akademie. Meine Kollegen dort haben mich immer gefragt, was die Ševčík-Methode ist. Ich hatte keine Antwort und habe mir gedacht, es wäre gut, ein Institut zu gründen, das sich damit beschäftigen wurde. Die Idee dieser Akademie ist also, nicht nur zu spielen, sondern auch zu Ševčík zu recherchieren.“

Otakar Ševčík, geboren 1852 eben in Horažďovice, war ein tschechischer Violinist und einer der gefragtesten Geigenlehrer seiner Zeit. Er war unter anderem als Konzertmeister am Salzburger Mozarteum tätig, später dann in Wien, Polen und in Kiew. Nachdem er seine Konzerttätigkeit beendet hatte, lehrte er an der zaristischen Musikschule in Kiew, am Prager Konservatorium und an der Wiener Musikakademie. Nach 1920 wurde er zu längeren pädagogischen Aufenthalten in die USA eingeladen, unter anderem nach Boston, Chicago und New York. Ševčík ist der Autor der ersten wirklich umfassenden Methodik für das Violinspiel. Tomáš Jamník:

„Die Methode ist auch heutzutage sehr interessant. Wenn man versteht, wie sie funktioniert, kann man besser üben. Generell hat Ševčík ein System entwickelt, wie man alle technischen Probleme im Training umsetzen kann. Deswegen hat er Tausende Übungen geschrieben. Viele Menschen denken, dass die Ševčík-Methode nur Wiederholung und Drill ist und keine Musik. Das ist nicht wahr, die Ševčík-Methode ist sehr musikalisch. Er war selbst ein Sänger, Klavierspieler, Geiger und Dirigent und dabei sehr erfolgreich. Seine Methode ist ein Phänomen, muss ich sagen.“

Violinist und Geigenlehrer Otakar Ševčík

Ševčíks Studien und -Methoden zählen noch heute zu den wichtigsten Unterrichtswerken für Geigenschüler. Jamník hat etwa im vergangen Jahr mehrere Monate lang in New York das amerikanische Erbe von Ševčík erforscht:

Otakar Ševčík | Foto: public domain

„Ich habe in den USA gesehen, dass viele Schüler die Ševčík-Methode nutzen. Sie wird weltweit verwendet, auch in Asien. Meistens für die rechte Hand, was auch Cellisten und Kontrabassisten nutzen können. Es gibt aber auch die Übungen für die linke Hand, für den Lagenwechsel und für die Stärke der Finger. Interessant ist, dass nicht alle Übungen bisher gefunden werden konnten, mehrere fehlen noch. Es ist jetzt meine Arbeit, diese zu finden.“

Die Ševčík-Akademie wird mit zwei Ensembles bei Young Euro Classic in Berlin vertreten sein. Der Hauptrepräsentant ist das Ševčík Academy Orchestra, das am 17. August auftritt:

„Es ist ein Festivalorchester, also kein festes Ensemble. Die Musiker in der Streicherabteilung sind Teilnehmer der Ševčík-Akademie, sie wurden auf Grund von Tonaufnahmen in den Kurs aufgenommen. Dazu haben wir die Bläser als Gäste eingeladen, zudem sind viele Perkussionisten und auch Klavier dabei. Die Studenten machen das gerne. Aber das Spielen im Orchester ist nur ein Teil ihrer Ausbildung an der Ševčík-Akademie.“

Das Programm, das das Orchester der Ševčík-Akademie unter der Leitung der jungen Dirigentin Alena Hron mit nach Berlin bringt, kombiniert wohlbekannte Melodien mit selten gespielten Stücken. Da 2024 als Jahr der tschechischen Musik begangen werde, seien es ausschließlich entsprechende Werke, sagt Tomáš Jamník:

„Natürlich gibt es Dvořák, und zwar eine Romanze für Violine und Orchester und einen seiner Slawischen Tänze. Aber dazu spielen wir zum Beispiel die Ouvertüre von Bohuslav Martinů und die ‚Suita Rustica‘ von Vítězslava Kaprálová. In der ersten Programmhälfte spiele ich selbst als Solist ein Cellokonzert von Jiří Teml, es ist die Weltpremiere einer neuen Fassung des Konzerts aus diesem Jahr. Und am Anfang spielen wir natürlich Bedřich Smetanas ‚Die Moldau‘, das muss man spielen.“

Ševčík Academy Orchestra und Ševčík Junior Orchestra in Berlin

Neben dem Akademie-Orchester stellt sich auch das Ševčík Junior Orchestra am Gendarmenmarkt vor. Und zwar am 18. August, im Rahmen „Eines Konzerts von Kindern für Kinder“. Tomáš Jamník fährt fort:

„Die Ševčík-Akademie bilden nicht nur Universitätsstudenten, sondern wir haben auch Kinder und Jugendliche. Im Junior-Orchester spielen Kinder von vier bis siebzehn Jahren. Dieses zweite Konzert heißt ‚Für Kinder‘. Wir erwarten also, dass viele Kinder in den Saal kommen. Dabei spielen wir verschiedene Stücke mit Melodien und Rhythmus, wir tanzen, und wir singen. Ich glaube, es wird ein sehr schönes, buntes Programm sein.“

Jakub Hrůša | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Diese sogenannte „Juniorakademie Deutschland – Frankreich – Tschechien“ wird von dem jungen Dirigenten Jan Sedláček geleitet. Im vergangen Jahr war er als Assistent des Dirigenten Jakub Hrůša in Horažďovice tätig. Nun kann er an diese Arbeit anknüpfen:

„Ich freue mich sehr darauf, es wird eine neue Erfahrung für mich sein. Denn vierjährige Kinder sind wirklich sehr klein. Den Kern des Orchesters bilden Kinder im Alter von zehn bis 16 Jahren, die Jüngeren bekommen Schlaginstrumente. Wir werden die Kindersinfonie Nummer 2 von Jiří Kabát spielen, die für diesen Anlass komponiert wurde. Ich bin auf die Zusammenarbeit sehr gespannt. Ich hoffe, dass ich auf meine Erfahrungen aus der Arbeit mit Laienspielern zurückgreifen kann. Zudem habe ich gerade mein erstes Jahr als Lehrer an einer Musikgrundschule hinter mir, wo ich Cellospiel unterrichte.“

Als Dirigent des Kammerorchesters der Dvořák-Region, in dem überwiegend Laienspieler mitwirken, weiß Sedláček bereits, wie die Arbeit mit einem nichtprofessionellen Ensemble aussieht:

„Die Laienmusiker verfügen selbstverständlich über weniger Erfahrungen und eine geringere technische Ausstattung als die Profispieler. Dennoch habe ich unlängst mit dem Dirigenten Paavo Järvi gesprochen, der mir empfahl, ich solle mit Studenten und Laienspielern nie anders arbeiten als mit Berufsmusikern. Ich solle immer das höchste Niveau anstreben, als ob ich etwa die Berliner Philharmoniker dirigiert hätte, und erst von diesem Ansatz eventuell nachgeben. Natürlich ist die Arbeit mit den Laienspielern doch etwas anders, man muss letztlich seine Ansprüche mildern. Aber andererseits gibt es da immer die Freude über das Spielen. Wenn man zur Probe kommt und die Begeisterung sieht, ist es immer inspirierend. Die Nachteilte in der Spieltechnik werden auf anderem Wege aufgeholt.“

Jiří Kabát ist Bratschenspieler und Komponist. Schon zum dritten Mal leitet er in diesem Jahr eine Bratsche-Klasse in Horažďovice.

„Wir haben Unterrichtsstunden oder widmen uns Problemen, mit denen die Schüler zu mir kommen. Für mich ist es eine große Freude und Anregung. Denn ich unterrichte dort Hochschulstudenten, etwa von der Universität in Wien. Mit ihnen läuft die Arbeit auf einem anderen Niveau als mit Schülern am Konservatorium oder an einer Musikgrundschule. Zudem werden Konzerte im Rahmen des Ševčík-Festivals veranstaltet, an denen ich mich auch beteilige.“

Ševčík Academy | Foto: Ševčík Academy

Kindersinfonie Nr. 2

Eigens für die Akademie hat Kabát die bereits erwähnte Kindersinfonie Nr. 2 komponiert:

„Es ist schon das zweite Stück, das ich für sie geschrieben habe. Im vergangenen Jahr wurde ich gebeten, eine Komposition für ein Kinderorchester zu schreiben, in dem die jüngeren Streicherspieler und die kleinsten Kinder aus der Gruppe Otakárek zusammenkommen. Auch meine eigenen Kinder machten letztes Jahr mit. Die Kleinsten spielen verschiedene Orff-Instrumente, womit an die ‚Kindersinfonie‘ von Leopold Mozart angespielt wird. In diesem Jahr habe ich konkretere Hinweise bekommen, wie die Komposition sein sollte. Es war für mich große Ehre, sie zu schreiben.“

Jiří Kabát | Foto: Milan Kopecký,  Tschechischer Rundfunk

Die Kindersinfonie dauert etwa 15 Minuten. Das Streichorchester wird durch vier Gruppen aus elementaren Kindermusikinstrumenten ergänzt. Beim Komponieren habe er sich bemüht, zwei Ansätze zusammenzufügen, sagt Kabát:

„Ich wollte, dass die Musik schön ist, sozusagen erwachsen und gleichzeitig auch instruktiv. Bei der Instrumentierung habe ich konkrete Instrumentengruppen auf einem bestimmten Spielniveau in Betracht gezogen. Ich habe die Partien den Fähigkeiten der Kinder angepasst, damit wirklich jeder mitspielen kann. Tomáš Jamník wollte, dass die Komposition die tschechische, die französische und die deutsche Kultur reflektiert, denn aus diesen drei Ländern kommen die meisten Teilnehmer. Daher habe ich aus der Folklore und Volksmusik geschöpft. Zudem ist jeder der drei Sätze mit einer anderen musikalischen Terminologie gekennzeichnet. Die Hinweise für die Spieler sind in einem Satz auf Französisch, in einem auf Deutsch und im letzten auf Tschechisch.“

Das Komponieren für die Ševčík-Akademie sei etwas anders, als wenn er sonst mit Kindern arbeite, betont Kabát:

Ševčík Academy | Foto: Ševčík Academy

„Denn die Kinder sind bereit, in den Ferien nach Horažďovice zu kommen und dort zwar eine tolle Zeit zu genießen, aber auch intensiv zu arbeiten. Sie haben schon eine andere Beziehung zur Musik als die normalen Kinder an Musikgrundschulen. Es ist wohl etwas einfacher, weil sie im Wahrnehmen der Musik etwas erfahrener sind. Ich leite normalerweise ein Schulorchester. Dabei finde ich es am wichtigsten, die Stücke gut zu arrangieren, maßgeschneidert für die Spieler, damit sie sich nicht quälen oder umgekehrt langweilen. Man muss die Kinder motivieren, damit es ihnen Spaß macht.“

Die Proben bei der Sommerakademie in Horažďovice finden jeden Tag statt. Es gibt getrennte Proben für einzelne Instrumentengruppen, auf die später vier große Proben des gesamten Orchesters folgen werden. Neben der Kindersinfonie von Jiří Kabát wird das Junior-Orchester auch die Erste Sinfonie Wolfgang Amadeus Mozarts in Berlin spielen. Diese Auswahl sei symbolisch, sagt Dirigent Jan Sedláček:

„Wie bekannt ist, schuf Mozart 41 Sinfonien. Von ihnen sind die letzten, die er schon als sehr erfahrener Komponist schrieb, am berühmtesten. Seine Erste Sinfonie komponierte er im Alter von acht Jahren, und sie markiert den Anfang seines glorreichen Wegs als Komponist. Wir glauben, dass auch dieses Projekt und diese Akademie am Anfang der Karriere einiger Spieler stehen können. Manche dieser Kinder werden wohl einmal angesehene Musiker sein.“

Ševčík Academy | Foto: Ševčík Academy

Die Konzerte der beiden Ensembles der Ševčík-Akademie im Rahmen des Festivals Young Euro Classic finden am 17. und am 18. August im Großen Saal des Konzerthauses in Berlin statt. Der erste der Auftritte wird von Deutschlandfunk Kultur aufgezeichnet und am Donnerstag, den 22. August in der Sendung „Konzert” ausgestrahlt. Mehr zum Programm finden Sie unter https://young-euro-classic.de.