Napoleonische Kriege, demografische Entwicklung und Gesellschaft

Der 200. Jahrestag der Schlacht von Austerlitz war nicht nur ein Anlass für verschiedene Gedenkveranstaltungen in der Region von Slavkov / Austerlitz, sondern auch das Thema einiger wissenschaftlichen Konferenzen, die in Prag, Brno / Brünn und in anderen tschechischen Städten veranstaltet wurden. Mit den Auswirkungen der Napoleonischen Kriege auf die weitere Entwicklung in Europa befasste sich eine Historikerkonferenz, die am Vorabend des Jahrestags der Schlacht in Prag abgehalten wurde. Mehr erfahren Sie von Martina Schneibergova in der Sendereihe "Kapitel aus der tschechischen Geschichte".

"Die Schlacht von Austerlitz als Signal für Änderungen in Europa?" war das Motto einer internationalen Konferenz, die tschechische Historiker gemeinsam mit dem Französischen Zentrum für Forschungen im Bereich der Sozialwissenschaften (CEFRES) Ende November in Prag veranstalteten. Die Teilnehmer konzentrierten sich während der Konferenz unter anderem auch auf die Auswirkungen der Schlacht von Austerlitz auf die Geschichte der böhmischen Länder. Dem Historiker Zdenek Benes von der philosophischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag zufolge, hatte das Ereignis eine große Bedeutung für die österreichische Innenpolitik sowie dafür, dass sich die k. u. k Monarchie ihrer eigenen Identität bewusst werden konnte.

Professor Eduard Maur von der philosophischen Fakultät der Karlsuniversität befasste sich in seinem Vortrag mit den demografischen Änderungen, die seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts in ganz Europa zu verzeichnen waren. Nach dem Vortrag fragte ich Professor Maur:

Brachten die Napoleonischen Kriege beziehungsweise schon die Französische Revolution wirklich eine solche gesellschaftliche Wende, die sich auf die Lage in Europa bis in das 20. Jahrhundert auswirkte?

Professor Eduard Maur  (Foto: Autorin)
"Ja, natürlich, aber sie waren nicht der einzige Grund aller dieser Änderungen. Sie haben jedenfalls Europa stark beeinflusst: Und zwar positiv, indem sie die Errungenschaften der Französischen Revolution in einige weitere Länder brachten, wie beispielsweise le Code Napoleon - also die neue Gesetzgebung. Aber andererseits haben sie eine große Erhebung Europas gegen Napoleon hervorgerufen und damit auch den Beginn oder den großen Aufschwung des europäischen Nationalismus und die Entstehung der Nationalbewegungen bewirkt."

Sie konzentrierten sich in Ihrem Vortrag auf den so genannten "demografischen Übergang", der um 1805 erst angefangen hat. Wodurch wurde er beeinflusst und wie waren die Voraussetzungen dafür?

"Der demografische Übergang war eine Erscheinung im Bereich der Reproduktion der Bevölkerung, das heißt ein Übergang von dem Tausend Jahre dauernden Modus der Reproduktion der Bevölkerung, der durch eine hohe Sterblichkeit und hohe Natalität charakterisiert wurde, zu einem neuen Typ der Reproduktion (manchmal intensiver und effektiver), das heißt mit niedriger Natalität und niedriger Mortalität, aber auch mit den Änderungen der demografischen Struktur. Die Ursachen dieser Veränderungen sind sehr unterschiedlich. Es gab eigentlich zwei Prozesse, die parallel verliefen und nicht mit demselben Tempo im jeden europäischen Land. Einerseits ging es um die Senkung der Mortalität, die Ursachen in mehreren Bereichen hatte: Beispielsweise die Verbesserung der Ernährung, der kommunalen Hygiene und schließlich am Ende des 19. Jahrhunderts die schnelle Entwicklung der modernen Medizin. Es gab noch andere Einflüsse. Im Bereich der Natalität war es die Frage des Willens der Menschen, die Zahl der Kinder zu regeln. Hier ist der Einfluss einer neuen Weltanschauung von Bedeutung. Dieser Einfluss hing mit allen diesen mentalen Änderungen zusammen, die mit anderen Prozessen der Modernisierung verbunden waren."

Jürgen Schlumbohm  (Foto: Autorin
Jürgen Schlumbohm vom Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen befasste sich auf der Konferenz mit den Änderungen der ländlichen Gesellschaften im 19. Jahrhundert. Er sagte gegenüber Radio Prag:

"Die klassische Sicht ist die, dass die ganze ländliche Gesellschaft und die agrarische Wirtschaft in der Zeit der Französischen Revolution und in der Zeit Napoleons sich fundamental änderten, indem das ganze alte Feudalsystem abgeschafft wurde, die Bauern befreit wurden, die Leibeigenschaft aufgehoben wurde, und die Bauern außerdem freie Eigentümer wurden. Ebenso klassisch ist die Sicht, dass diese Veränderungen den Bauern die Möglichkeit gaben, selbständige agrarische Unternehmer zu werden und damit das große Wachstum der agrarischen Wirtschaft des 19. Jahrhunderts auslösten. Allerdings sind neuere Forschungen doch zu durchaus differenzierterem Ergebnis gekommen. Zum einen wird darauf hingewiesen, dass das kein plötzlicher Bruch war, der durch die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege und die napoleonische Herrschaft ausgelöst wurde, sondern dass dieser Prozess schon längst im 18. Jahrhundert begonnen hat. Auf der anderen Seite hat es aber bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gedauert, indem die Reformen nicht überall wie in Preußen wirklich in der Zeit Napoleons schon gestartet haben, sondern oft erst viel später nach den Revolutionen von 1830 oder 1848. Auf der anderen Seite wird auch darauf hingewiesen, dass nicht erst diese agrarischen Reformen den Bauern erstmals die Möglichkeit gegeben haben, auf die Märkte und auf die große Nachfrage der Städte zu reagieren, sondern dass sich dafür Anzeichen auch schon im 18. Jahrhundert finden. Und schließlich sehen neuere Spezialisten es so, dass zum Beispiel die kollektiven Züge der alten Landwirtschaft, die so genannten ´Gemeinheiten`, also das Land, das den Bauern eines Dorfes gemeinsam gehörte, und die gemeinsamen Nutzungsrechte nicht unbedingt einer Modernisierung im Wege gestanden haben, sondern dass es durchaus Möglichkeiten gab, dass ein solcher gemeinsamer Besitz und solche gemeinsame Rechte effektiv verwaltet wurden und insofern agrarischen Innovationen nicht unbedingt entgegen standen."

Napoleon
Unterschied sich dieser Prozess grundlegend vom Land zu Land, von Region zur Region, beziehungsweise wodurch?

"Im Einzelnen sind die Unterschiede enorm - je nach Region, je nach Land - nicht nur in der Frage, wann solche Reformen durchgeführt wurden, sondern auch in welcher Form sie durchgeführt wurden und zu welchen Bedingungen: Mit wem, für wen diese Reformen besonders positive und für wen besonders negative Aspekte hatten. Etwa in Frankreich wurden ja die Feudalrechte durch die Revolution bedingungslos abgeschafft, während in den meisten Ländern Mittel- und Ostemitteleuropas die Rechte der Herren gegen Entschädigung aufgehoben wurden, das heißt die Bauern mussten eine erhebliche Entschädigungssumme bezahlen. Und so haben viele kritische Historiker die These vertreten, dass etwa in den östlichen Teilen Preußens die Bauern enorm viel Land dadurch verloren haben, dass sie den Herren als Entschädigung für die Feudalrechte Land geben mussten und dass auf der anderen Seite eine große Masse von mehr oder weniger proletarischen Landarbeitern entstanden ist, die dann auf den großen Gütern gearbeitet haben. Während in Frankreich die Position der kleinen und mittleren Bauern sehr gestärkt wurde, und zwar durch diese kostenlose Aufhebung der Feudalrechte."

Soweit Jürgen Schlumbohm vom Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen.