Neandertaler in Nordböhmen: Archäologen entdecken Überreste von Feuerstellen und Behausungen

Fund eines Jaspis-Kratzers aus dem untersuchten Gebiet.

Archäologen haben in Turnov / Turnau im Norden Tschechiens einzigartige Beweise für die Besiedlung durch Neandertaler gefunden. Bei Bauarbeiten stießen sie auf Hinweise einer Siedlung, die zwischen 126.000 und 115.000 Jahren vor Christus datiert wird.

Die Neandertaler lebten viele Jahrtausende lang in Europa, das Gebiet des heutigen Tschechiens eingeschlossen. Direkte Beweise, das heißt Skelettreste von Neandertalern selbst, sind hierzulande jedoch sehr selten. Allerdings gibt es viele indirekte, aber hinreichend aussagekräftige Beweise in Form von Steinwerkzeugen oder Resten von Behausungen.

Blick auf das untersuchte Gebiet mit einer Schotter-Sand-Terrasse,  auf der sich die Jäger- und Sammlerstation befand | Foto: Muzeum Českého ráje v Turnově

Über eine neue Entdeckung dieser Art haben jüngst Archäologen des Museums des Böhmischen Paradieses in Turnov berichtet: Bei Untersuchungsarbeiten während des Baus eines Rettungszentrums im Turnauer Ortsteil Vesecko seien im Herbst letzten Jahres rund vierzig Gegenstände freigelegt worden, die auf eine Neandertalersiedlung hindeuteten, hieß es. Roman Sirovátka vom Museum nennt weitere Einzelheiten:

„Es handelt sich um Feuerstellen, das heißt Gruben, die mit Holzkohle und verbrannter Erde gefüllt sind. Weitere Teile der Fundstelle können als Überreste oberirdischer Strukturen interpretiert werden. Dort wurden auch Steinwerkzeuge gefunden. Wir haben Bodenproben entnommen und einer naturwissenschaftlichen Analyse unterzogen. Anhand dieser lässt sich die Umgebung des Fundortes rekonstruieren.“

Nach Angaben von Sirovátka handelt es sich bei der Fundstelle vermutlich um eine von Neandertalern genutzte Jäger- und Sammlerstation. Die Datierung wird durch die Entdeckung von Werkzeugen, wie zum Beispiel einem Jaspisschaber, gestützt:

Erkundung eines der gefundenen Objekte mit Hilfe einer Sonde. | Foto: Muzeum Českého ráje v Turnově

„Die Fundstelle lag unter einer Lössschicht, die sich während der letzten Eiszeit gebildet hat. Deshalb sind wir uns fast sicher, dass der Fund aus dem Mittelpaläolithikum stammt. Spätestens vor 110.000 Jahren muss die Siedlung dort gewesen sein.“

Dem Archäologen zufolge ist der Fund nicht nur im Böhmischen Paradies einzigartig, also der Felsenlandschaft in der Region von Turnov, sondern sogar im Kontext von ganz Mitteleuropa. Alle bisher bekannten Fundstellen aus dem Mittelpaläolithikum habe es in Höhlen gegeben, doch in diesem Fall handle es sich um eine offene Landschaft, betont Sirovátka.

Die Funde verraten nur wenige Details über ihre Besitzer. Trotzdem können sich Archäologen anhand des vorhandenen Wissens ein Bild davon machen, wie diese Neandertaler gelebt haben:

„Sie waren Jäger und Sammler, genauso wie der spätere moderne Mensch Homo sapiens. Was haben sie dort gemacht? Sie hatten dort eine Siedlung und zogen in der Umgebung umher. Sie jagten Tiere und sammelten Beeren und Kräuter. Wir wissen nicht, ob es sich um eine dauerhafte oder vorübergehende Siedlung handelte. Ich denke, dass es zu jener Zeit einen Urwald dort gab, der während der Eiszeit verschwunden ist.“

Die Fundstücke und Sedimente werden nun Tests und Radiokarbondatierungen unterzogen, um ihr genaues Alter zu bestimmen. Die Proben werden an spezialisierte Labors in Amerika und in Polen geschickt, und bis Ende 2025 sollen die Details vorliegen.

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