Negrelli-Viadukt: die längste Brücke in Prag

Negrelli-Brücke (Foto: www.wikimedia.org)

Sie war die erste Eisenbahnbrücke über die Moldau und die zweitälteste erhaltene Moldaubrücke in Prag, älter ist nur noch die Karlsbrücke. Mit 1110 Metern ist sie die längste Brücke in der tschechischen Hauptstadt. Die Rede ist von der Negrelli-Brücke oder - wie sie die Prager nennen – dem Negrelli- oder auch Karlín-Viadukt. Der erste Zug fuhr am 1. Juni 1850 über die Brücke.

Negrelli-Brücke in 1854
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war es nicht so leicht, die Moldau zu überqueren wie heute. So gab es zum Beispiel in Prag nur zwei Brücken über den Fluss: Neben der Karlsbrücke wurde im November 1841 die Franzensbrücke eröffnet, benannt nach Franz I. Diese Hängebrücke wurde Ende des Jahrhunderts durch die Brücke der Legionen ersetzt.

Erst 1842 wurde über den Bau der ersten Eisenbahnbrücke entschieden. Die Nordbahn führte aus Dresden nach Prag sollte damit nach Süden verlängert werden. Der zuständige Vertrag zwischen Österreich und Sachsen wurde Ende 1842 unterzeichnet. Kanzler Metternich soll dies mit Worten kommentiert haben, dass die neue Errungenschaft – also die Verlängerung der Bahnlinie – vor allem allen Gaunern und Revolutionären nutzen würden, um ihre Tätigkeit in entfernte Ecken Europas zu exportieren.

Negrelli-Brücke  (Foto: www.wikimedia.org)
Mit dem Bau der Eisenbahnbrücke sollte eigentlich der Ingenieur Jan Perner beauftragt werden. Er hatte bereits die Arbeiten an der Eisenbahnstrecke zwischen Olmütz und Prag geleitet. Doch Perner starb 1845 – er erlag seinen Verletzungen, die er bei der Fahrt durch den Tunnel bei Choceň erlitten hatte. An seiner statt wurde der Ingenieur Alois Negrelli aus Südtirol mit dem Bau beauftragt. Negrelli hatte zuvor Bahnstrecken in den österreichischen und bayerischen Alpen gebaut. Berühmt geworden ist er durch die Pläne für den Suez-Kanal.

Negrelli-Brücke  (Foto: Jan Suchý,  Creative Commons 3.0)
Der Bau des Viadukts begann 1846. Die Arbeiten führten die Firmen der Gebrüder Klein und von Vojtěch Lanna durch. Kostenpunkt: anderthalb Million Gulden. Zu dieser Zeit war es der größte Eisenbahnbau in Europa. Bis zu 3000 Arbeiter wurden eingesetzt. Als Baumaterial wurde Granit aus dem Schwarzenbergschen Steinbruch benutzt, der später im Stausee Orlík verschwand. Der Granit wurde auf Schiffen auf der Moldau zur Baustelle transportiert und dort dann bearbeitet. Die Bögen des Viadukts wurden mit Sandstein verkleidet. Acht der insgesamt 87 Bögen standen direkt in der Moldau. Als der Bau beendet wurde, sorgte der Viadukt für Aufsehen. Er erinnerte an seine großartigen Vorgänger im antiken Rom. Wegen der strategischen Bedeutung der Brücke, wurde ein Sicherheitselement eingebaut, erzählt der Eisenbahnhistoriker Pavel Schreier:

Pavel Schreier
„Die Bedingung der Militärbehörden für die Bewilligung des Bauplans bestand darin, dass die Brücke im heutigen Stadtteil Bubny zwei Minenkammern haben musste. In jeder davon konnten etwa 130 Kilo Sprengstoff gelagert werden. Dies war für den Fall, dass ein Feind die Brücke hätte nutzen wollen. Zum Glück hat sich daran niemand während des Österreichisch-Preußischen Kriegs im Jahr 1866 erinnert. Es kann sein, dass die Negrelli-Brücke dann heute längst verschwunden wäre.“

Dennoch war die Brücke mehrfach gefährdet, und dies nicht nur während der Kriege. Im 20. Jahrhundert wurden einige der Bögen eingemauert und in Lagerräume verwandelt. In den 1950er Jahren sollte die Brücke sogar einer Allee des kommunistischen Aufbaus weichen. In den 1970er Jahren gab es Überlegungen, die Brücke für die C-Linie der Metro zu nutzen. Heutzutage fahren täglich rund 160 Züge über die Negrelli-Brücke. Und ihre Ära geht noch nicht zu Ende, auch wenn es inzwischen eine neue Eisenbahnverbindung Richtung Dresden gibt, sagt Tomáš Drvota von der staatlichen Schienennetzverwaltung:

Alois Negrelli
„Wir bereiten eine Renovierung des Negrelli-Viadukts vor, die mit dem Umbau der Bahnstrecke Prag–Kladno zusammenhängt. Nach der Modernisierung des Bahnabschnitts Prag–Kladno rechnen wir damit, dass auf der Strecke etwa zwölf Paare von Zügen innerhalb einer Stunde fahren werden.“

Wenn man den heutigen Viadukt und seine Umgebung mit den historischen Abbildungen vergleicht, sieht man zwei bedeutende Unterschiede: Vor 160 Jahren führte er durch eine fast freie, unbebaute Landschaft. Heutzutage befindet sich die Brücke inmitten der Stadt. Zudem sind fast alle freien Bögen verschwunden. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts fingen verschiedene Gewerbetreibende an, die Grundstücke unter den einzelnen Brückenbögen zu nutzen. Sie richteten dort ihre kleinen Läden oder Werkstätten ein. Die sechs bis elf Meter langen Brückenbögen sind auch heutzutage noch zum Teil verbaut. In einem der Bögen bei der Ausfahrt aus dem Busbahnhof Florenc befindet sich sogar eine Kneipe: die Bierstube „Bei Fanda“. Ansonsten wurden Lager und Garagen in die Bögen gebaut. Eisenbahnhistoriker Pavel Schreier kritisiert dies:

Negrelli-Brücke mit dem Bürohaus Danube  (Foto: www.wikimedia.org)
„Die Mieter sollen es mir nicht übel nehmen, aber eine Art Trödelladen oder ein Depot einer Spediteurfirma haben in einem nationalen technischen Baudenkmal nichts zu suchen.“

Ob die meist verunstalteten und zugemauerten Bögen irgendwann einmal auch instand gesetzt werden, bleibt abzuwarten. Denn mit den Grundstücken, die sich unterhalb der Brücke befinden, ist es gar nicht so einfach, sagt Jan Skalický von den Tschechischen Bahnen:

„Die Eigentumsverhältnisse der Grundstücke sind bislang nicht vollständig geklärt. Nur ein Teil der Grundstücke gehört den Tschechischen Bahnen. Einen Teil besitzt wiederum die Hauptstadt Prag und ein weiterer Teil – sowie das Flussbett der Moldau – gehört sogar dem Staat.“

Vor der bevorstehenden Renovierung der Negrelli-Brücke werden Skalický zufolge die einzelnen Mietverträge überprüft. Es kann sein, dass die Bögen wieder in ihre ursprüngliche Form zurückversetzt werden.

Die Brücke führt auch über die Insel Štvanice. In den 1970er Jahren waren die Tribünen des dortigen Tennisstadions bedeutend niedriger als heutzutage. Die vorbeifahrenden Passagiere konnten somit zum Beispiel das tschechische Davis-Cup-Team direkt aus dem Zug heraus anfeuern. Zeitzeugen erinnern sich an die Worte, die der damals bekannte spanische Tennisspieler Manuel Orantes auf dem Centercourt in Štvanice verlauten ließ: Er habe schon an den verschiedensten Orten gespielt, aber noch nie auf einem Bahnhof.


Dieser Beitrag wurde am 17. Juli 2010 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.