Neue Gratiszeitung des Ringier-Verlags "24 Stunden"
Mit der Präsentation ihres Wahlprogramms hat die Demokratische Bürgerpartei (ODS), größte Oppositionspartei im tschechischen Abgeordnetenhaus, am vergangenen Wochenende auf ihrem Parteikongress den Wahlkampf für die Parlamentswahlen im kommenden Juni eingeleitet und zugleich eine ganze Welle von Kommentaren in den Medien ausgelöst.
Zum ersten Mal nach der Wende wird die ODS ohne ihren langjährigen Vorsitzenden, den heutigen tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus an der Spitze in den Wahlkampf ziehen. Nachdem die Partei in Meinungsumfragen noch vor einem Jahr einen haushohen Vorsprung von über zwanzig Prozent vor den Sozialdemokraten hatte, droht ihr jetzt ein Kopf- an Kopf-Rennen. Auf welche Pferde die ODS unter ihrem Vorsitzenden Mirek Topolanek dabei setzt, erfuhren die tschechischen Wählerinnen und Wähler erstmals am Wochenende, als die ODS ihr Wahlprogramm präsentierte. Eine gewisse Schizophrenie sei darin nicht zu übersehen, meint der Politologe Jiri Pehe in einem Kommentar für die Zeitung Pravo vom Dienstag:
"In der neuen ODS findet jeder etwas für sich. Die stärkste Rechtspartei will auch zur stärksten Linkspartei werden. Sie will aufgeschlossen sein, aber auch kompromisslos. Sie will die EU nicht mehr kritisieren, aber gleichzeitig nicht von der Kritik ablassen, insbesondere nach den Wahlen. Alle angekündigten Veränderungen will sie mit der bisherigen Führungsspitze erreichen, die sich bislang durch antieuropäisches Gemurre hervorgetan hat. Das ist ungefähr so, als wenn der kommunistische Präsident Antonin Novotny im Jahr 1968 selbst einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz hätte aufbauen wollen und den Reformer Alexander Dubcek in der Regionalpolitik gelassen hätte."
Es ist vor allem eine entscheidende Veränderung in der Strategie der ODS, die von den Medien in den letzten Tagen kommentiert wurde und auf die auch der Politologe Pehe hinweist:"Vor dem ODS-Kongress wussten wird, dass die ODS eine rechte, konservativ-liberale Partei, die die Europäische Union kritisiert und sich entschieden für die nationalen Interessen einsetzt. Jetzt ist eine soziale Dimension hinzugekommen, ja im Grunde ist eine neue Sozialdemokratische Partei entstanden. Von den alten Sozialdemokraten unterscheidet sie sich in erster Linie dadurch, dass sie um keinen Preis mit den Kommunisten zusammenarbeiten will. Die ODS hat einen gewagten "dritten Weg" eingeschlagen."
Die sozialstaatliche Komponente im ODS-Wahlprogramm kommentiert auch die Zeitung Mlada fronta dnes in ihrer Dienstagsausgabe:
"Das alte Denkschema der Sozialdemokraten - wir haben den Sozialstaat, ihr den Staat für die Reichen - ist veraltet. Den Sozialstaat reklamieren heute alle politischen Parteien für sich. Sozialstaat, soziales Netz, Gesundheitswesen, Renten - das werden die Hauptthemen im Wahlkampf sein. Das ganze reiche Europa will den Sozialstaat, der Streit dreht sich lediglich um das unterschiedliche Verständnis davon. Mindestens zwei verschiedene Sozialstaatmodelle werden im tschechischen Wahlkampf propagiert - das sozialdemokratische und das der ODS. Die entscheidende Frage wird sein, in welchem Maße sich die künftige Regierung für die soziale Absicherung ihrer Bürger einsetzt und für welches Geld. Wird der Kunde, also der Bürger, in ihm König sein oder wird er mit Almosen abgespeist?"Die Zeitschrift Respekt macht sich Gedanken über mögliche politische Konstellationen nach den Parlamentswahlen im kommenden Juni und blickt dabei auf die Nachbarländer Deutschland und Polen.
"Es wird immer offensichtlicher, dass uns nach den Wahlen eine Pattsituation erwartet. Das kann entweder eine "polnische" Variante nach sich ziehen, also ein Minderheitskabinett, das auf die Unterstützung von Extremisten angewiesen ist, oder aber eine "deutsche" Variante mit einer großen Koalition. Keine der beiden Optionen bietet Grund zur Freude. Eine sozialdemokratische Minderheitsregierung müsste sich auf die Kommunisten stützen. Und die haben bereits angedeutet, was sie dafür fordern: eine Aufhebung des Lustrationsgesetzes und weiterer Paragraphen, die die Propaganda für diese verbrecherische Partei verbieten. Eine große Koalition von Sozialdemokraten und der ODS wäre sicherlich eine bessere Lösung, mit einigen Vorbehalten allerdings. Und dann gibt es noch eine große Chance, dass es zu einer Mehrheitsregierung aus Bürger- und Christdemokraten oder aus Sozial- und Christdemokraten kommt. Und ganz sicher wäre es auch gut, wenn noch eine weitere demokratische Partei ins Abgeordnetenhaus einziehen würde. Momentan hätten die Grünen die größten Chancen dazu."
Seit Anfang der Woche erscheint in Prag eine neue Gratiszeitung: "24hodin" (24 Stunden). Herausgegeben wird sie vom Schweizer Ringier-Verlag, der sich damit auf einen ganz neuen Markt begibt. Chefredakteur von 24hodin ist der deutsche Journalist Georg Altrogge. Er hat zuvor u.a. bei der BILD-Zeitung, beim SPIEGEL und der Hamburger Morgenpost gearbeitet. Über sein neues Prager Projekt habe ich mich vor dieser Sendung mit ihm unterhalten.
Herr Altrogge, der Ringier-Verlag mit der Herausgabe seiner ersten Gratiszeitung überhaupt ein Experiment gewagt und sich auf einen ganz neuen Markt begeben. Was macht diesen Markt eigentlich so attraktiv?
"Der Markt ist eigentlich in ganz Europa attraktiv, man kann fast sagen, auf der ganzen Welt. Weil wir die Tendenz feststellen, dass sich immer mehr jüngere Leute vorwiegend über frei zugängliche Quellen wie das Internet informieren und seltener bereit sind, größere Beträge für Zeitungen auszugeben. Das ist, glaube ich, eine Entwicklung, die kaum noch aufzuhalten ist. Und dann ist immer die Frage, ob man diese Entwicklung so lang wie möglich bekämpfen will oder irgendwann auch die eigenen Chancen sieht und sich daran beteiligt."
Es gibt in Prag ja schon eine sehr erfolgreiche Gratiszeitung - "Metro", ein internationales Projekt. Haben Sie keine Angst vor der Konkurrenz?
"Ja, Angst ist eigentlich immer ein schlechter Berater. Wir haben den Markt analysiert, auch hier in Prag. Wir haben uns "Metro" angesehen und waren nach der Analyse überzeugt, dass wir hier eine Chance haben. Wenn wir die nicht gesehen hätten, hätten wir dieses Experiment nicht gewagt. Denn die Maxime im Osteuropa-Geschäft wie auch anderswo ist natürlich immer, dass der Markt, den man betritt, auch so sein soll, dass man es schafft, Marktführer zu werden. Das ist unser Ziel auch hier."
Worin wollen Sie sich jetzt von "Metro" unterscheiden?
"Das beginnt beim Format, das nach unserer Auffassung einfach deutlich nahverkehrstauglicher ist, man kann die Zeitung im Zug auch lesen, ohne den Nachbarn zu stören. Und wir haben auch vom Konzept versucht, nicht zu sehr auf Agenturberichte zu vertrauen, sondern auch eigene Geschichten zu machen in Bereichen, die von den klassischen Zeitungen nicht so sehr abgedeckt werden."
Wen wollen Sie mit "24 Stunden" ansprechen?
"Die Zielgruppe beginnt bei den 15 Jährigen und geht etwa bis zu den 35jährigen. Das sind flexible, konsumorientierte, kritische junge Menschen, die zu einer Gruppe gehören, die heute gar nicht mehr regelmäßig Zeitungen kauft."Warum startet dieses Experiment überhaupt in Prag und nicht etwa in einer anderen europäischen Stadt?
"Irgendwo muss man ja mal anfangen. Und ich glaube, dass Prag eine hervorragende Stadt dafür ist, eine Weltstadt und ein Markt, der von der Größe her mit vielen anderen europäischen Städten vergleichbar ist. Wenn es hier funktioniert, sind wir sehr zuversichtlich, dass es auch auf anderen Märkten funktioniert."
Glauben Sie nicht, dass sich Ringier hier möglicherweise auch selbst ein Bein stellt und durch die Herausgabe einer Gratiszeitung das Interesse an den übrigen, käuflichen Titeln sinkt?
"Ich glaube, das ist eine Grundsatzentscheidung. Entweder man sagt, der Gratismarkt hat eine Zukunft. Und davon bin zumindest ich überzeugt. Dann müssen Sie sich im Prinzip auf diese Entwicklung einstellen. Das ist in anderen Bereichen ja auch so. Wenn ich sehe, dass sich die Fotographie auf die digitale Technik zu bewegt, dann muss ich irgendwann aufhören, analoge Filmrollen zu produzieren. Ansonsten wird es mir auf Dauer schlecht ergehen."
Warum hat eine Zeitung, die zu einem großen Teil auch über das Geschehen in Prag berichtet und für sich beansprucht, die Interessen der jungen Generation in Tschechien zu kennen und vertreten zu wollen, warum hat eine solche Zeitung einen deutschen Chefredakteur?
"Ich verstehe mich im Grunde genommen als Chefredakteur auf Zeit, als jemand, der relativ viel Erfahrung mit der Produktion solcher Zeitungen hat. Das heißt, ich versuche, ein Produkt an den Start zu bringen und zu etablieren, das dann natürlich aus eigener Kraft und mit einem eigenen Team hervorragend bestehen kann. Meine Erfahrungen hier sind, dass ich mit sehr engagierten Kollegen zusammenarbeite und die Neugier und Bereitschaft, hier ein solches neues Produkt auf den Weg zu bringen, doch sehr groß gewesen sind. Aber natürlich streben wir an, dass der Chefredakteur, der das mittel- und langfristig machen soll, hier in Prag und in Tschechien verwurzelt ist."
Vielen Dank für das Gespräch.