Politische Krise in der Ukraine. Situation der tschechischen Sozialdemokraten
In unserer heutigen Ausgabe der Sendereihe "Im Spiegel der Medien" hat Oliver Engelhardt für Sie Kommentare und Meinungen aus den tschechischen Medien zusammengestellt. Unter anderem über die politische Situation in der Ukraine.
"Bereits jetzt ist klar, dass der Urteilsspruch kein Signal zur Beendigung der innerpolitischen Krise sein muss. Das Gericht ist nicht berechtigt, eine neue Abstimmung anzuordnen. Egal wie das Gericht entscheidet, es wird ein politisches Urteil sein. Das ukrainische politische System sieht ähnlich wie das benachbarte russische einen starken Präsidenten vor. Am wahrscheinlichsten ist also, dass das Zünglein an der Waage der scheidende Präsident Kutschma sein wird, dem das Gesetz den rechtlichen Rahmen zugesteht, eine Wiederholung der zweiten Runde dieser Präsidentschaftswahlen auszurufen. Gehen wir davon aus, dass es gelingt, die zweite Runde der Wahlen so zu wiederholen, wie der Oppositionsführer Viktor Juschtschenko vorschlägt, also am 12. oder 19. Dezember. Bereits jetzt kann man ziemlich klar vorhersagen, dass unter massiver internationaler Beobachtung die Wahlen so ausgehen, wie sie offensichtlich schon zum regulären Termin ausgegangen sind - mit einem Sieg von ein paar Prozent für Juschtschenko."
Auch die auflagenstarke Tageszeitung Mladá fronta DNES widmete sich unermüdlich dem Geschehen in der Ukraine. Der Kommentator Martin Vrba macht sich in der Ausgabe vom 30. November Gedanken zu einem möglichen Zerfall der Ukraine:"Kann ein noch so guter Vermittler einen Bürgerkrieg verhindern und zugleich die Einheit des Landes erhalten? Gerade die noch frische Erfahrung der Tschechen und Slowaken könnte beiden Seiten der geteilten Ukraine zeigen, welch gute Nachbarn zwei Nationen werden können, sofern nicht eine Seite gezwungen ist, sich einer Regierung unterzuordnen, die sie nicht als die eigene anerkennt. Man muss jedoch betonen, dass die elegante tschechisch-slowakische Scheidung nicht durch die außerordentliche Kultiviertheit der Tschechen und Slowaken, sondern durch die Existenz einer guten Grenze ermöglicht wurde. Die aktuelle russisch-ukrainische Grenze ist sehr leger festgelegt und kann in Zukunft kaum Garantie einer guten Nachbarschaft werden. Zu einer ernsthaften Tragödie könnte es kommen, wenn die pro-europäischen Ukrainer die Gesamtheit des jetzigen ukrainischen Territoriums mit dem vorgeschobenen Argument verteidigen würden, dass der Westen des Landes ohne den reicheren Osten wirtschaftlich nicht überleben könnte. In einer zivilisierten Welt gibt es keinen autarken Menschen, keine autarke Stadt oder Region; Staatsgrenzen bedeuten kein unüberwindliches Handelshindernis, aber eine zahlenmäßig starke Minderheit, die der Regierung gegenüber keine Loyalität empfindet, kann ein unüberwindliches Hindernis für den Frieden sein."
Kommen wir zur innenpolitischen Situation in Tschechien: Die sozialdemokratische Partei CSSD von Regierungschef Stanislav Gross erlebt momentan eine Schwäche und auch Gross ist auf der Beliebtheitsskala zuletzt stark zurückgefallen, die er vorher längere Zeit unangefochten angeführt hatte. Die Tageszeitung Lidove noviny vom 1. Dezember 2004 schreibt:
"Die Koalition hat sich gestern auf große Einschnitte im Staatshaushalt geeinigt. In den Jahren 2006 und 2007 sollen 70 Milliarden Kronen (2,25 Milliarden Euro) gespart werden. Aber im Jahr 2006 sind Parlamentswahlen und die stärkste Koalitionspartei - die CSSD - ist gewohnt ihr Programm vor den Wahlen mit großzügigem Verteilen zu "düngen". Die CSSD kann sich also aussuchen, ob sie entweder noch ein Jahr populär sein will und versucht, die Wahlen damit zu gewinnen, dass sie alle Versprechen in den Wind schlägt und die Verpflichtungen der Tschechischen Republik irgendwie erfüllt - was sehr unwahrscheinlich ist - oder ob sie sparen will und die Möglichkeit in Betracht zieht, die Wahlen in zwei Jahren zu verlieren. Spätestens der Parteitag der CSSD im März nächsten Jahres wird zeigen, wie es die CSSD mit den Interessen des Landes meint."
Die Sozialdemokratische Partei CSSD hatte bei den jüngsten Senats- und Regionalwahlen haushoch gegen ihre Hauptkonkurrentin, die demokratische Bürgerpartei ODS verloren. Der Vorsitzende der CSSD, Premier Stanislav Gross hatte daraufhin laut darüber nachgedacht, ob es nicht besser sei, den Senat, die zweite Kammer des Parlaments aufzulösen. Natürlich war die Wahlbeteiligung bei den Senatswahlen nicht besonders hoch gewesen. Direkt nach dem schlechten Abschneiden der eigenen Partei wirkte diese Überlegung doch etwas vorschnell. Die Tageszeitung PRAVO bringt in ihrer heutigen Ausgabe einen Kommentar des Politologen Jiri Pehe unter dem Titel "Wie man den Senat auflöst". Darin vergleicht er, wie in anderen Ländern bei der Auflösung einer ähnlichen politischen Einrichtung vorgegangen wurde und kommt zu dem Schluss:
"Es scheint also, dass der Senat nur in dem Falle aufgelöst werden kann, wenn den Senatoren ein anderer Gegenwert angeboten wird. Die eleganteste Lösung ist die Verbindung von Senat und Abgeordnetenhaus so, dass das Abgeordnetenhaus nach der Reform 281 Mitglieder hätte. Also eine Lösung, mit der zwar der Senat als Institution aufgelöst würde, aber die Position der Senatoren als Gesetzgeber bliebe erhalten und würde sogar aufgewertet. Die Harmonisierung der verschiedenen Mandatszeiten der Senatoren und der Abgeordneten des Unterhauses ließe sich sicherlich finden.Diese Art der 'Auflösung' des Senats wäre mit einer Veränderung des Wahlrechts für das Abgeordnetenhaus verbunden so, dass man auf Grundlage einer Mehrheitswahl zwei Wahlgängen durchführt (so wie jetzt bei der Senatswahl), oder dass grob die Hälfte der Abgeordneten durch eine Verhältniswahl und die andere Hälfte durch eine Mehrheitswahl in zwei Wahlgängen gewählt würde.
In beiden Fällen wäre das Ergebnis, dass viel weniger Kommunisten beteiligt wären, denn eine Mehrheitswahl mit zwei Wahlgängen ist ungünstig für extreme Parteien. Nach den letzten Senatswahlen wird die kommunistische Partei KSCM jedoch zwei Vertreter im Senat haben. Ihren Platz würde in einem solchen Wahlsystem auch die Sozialdemokratische Partei finden, die wegen des Mangels an profilierten Persönlichkeiten im Senat momentan sehr schlecht da steht."