Neue Stasi-Enthüllungen: Sensation oder Aufarbeitung?
Der tschechische Interpol-Chef Pavol Mihal, der populäre Liedermacher Jarek Nohavica und zuletzt Ex-Premier Josef Tosovsky - in immer kürzeren Abständen geraten in letzter Zeit in Tschechien prominente Namen wegen Kontakten zu der kommunistischen Staatssicherheit StB in die Schlagzeilen. Die Informationen stammen aus den Stasi-Akten. Die sind seit Jahren zugänglich, bislang aber nur wenig bearbeitet. Thomas Kirscher über Vergangenheitsbewältigung in Tschechien.
Enthüllungen von prominenten Stasi-Mitarbeitern sind in Tschechien immer noch eine Schlagzeile wert, das haben die letzten Wochen wiederholt gezeigt. Historiker Vit Smetana vom Prager Institut für Zeitgeschichte ist aber skeptisch:
"Ich weiß nicht, ob diese Form der Forschung wirklich zu einer Aufarbeitung der Vergangenheit beiträgt. Daraus entstehen natürlich interessante Fälle für die Medien, aber zu wissen, ob Ex-Premier Tosovsky oder Liedermacher Jarek Nohavica nun StB-Agenten waren oder nicht, das ist für ein Verständnis des Systems letztlich egal. Es muss vielmehr darum gehen, die Geschichte des kommunistischen Regimes in der Breite zu erforschen."
Oder sie gleich ganz zu vergessen: Aufgearbeitet sind nach Schätzungen erst etwa drei Prozent der tschechischen Stasi-Akten. Die Kommunisten fordern einen Schlussstrich, so etwa die Abgeordnete Zuzka Bebarová Rujbrová:"Ich meine, wir dürfen hier niemanden in welcher Form auch immer diskriminieren. Das Strafen sollten wir den Gerichten überlassen. Wir haben in Tschechien nicht so viele gute Ökonomen, Polizisten, Sänger und Premierminister, dass wir uns erlauben können, hier jemanden in ein Ghetto zu sperren."
Dass sich ausgerechnet die Kommunisten gegen die vorgebliche Ausgrenzung Andersdenkender einsetzen, das ist nicht nur für die prominente Soziologin und Ex-Dissidentin Jirina Siklova allzu durchsichtig. Auch sie befürwortet einen Ausgleich, aber unter anderen Vorzeichen:
"Der Mensch hat das Recht darauf, in solch einem System auch zu versagen, und dass ihm dieses Versagen auch verziehen wird. Wir reden darüber, dass wir Christen sind, aber der Aspekt des Verzeihens kommt immer zu kurz."
Ein Verzeihen, dass aber einhergehen müsse mit einer wirklichen Aufarbeitung des Systems der kommunistischen Diktatur. Sonst, so warnt Siklova, werde es über die hinterlassenen Akten auch weiterhin die Stasi sein, die Blick auf die Vergangenheit bestimmt.