Neue Straßen: Entlastung oder Verkehrserreger?

Neue Straßen erzeugen noch mehr Verkehr. Dieses Argument bringen Umweltschützer und Grüne gerne gegen den weiteren Ausbau des Straßennetzes vor. Und dieses Argument erzürnt regelmäßig die Spediteurslobby, Autofahrerklubs und konservative Politiker, die sich von neuen Straßen Vorteile für die Wirtschaft und eine Befreiung der Stadtzentren vom Durchgangsverkehr versprechen. In Prag kann man seit der Eröffnung eines weiteren Teilstückes des Autobahnringes diese konträren Argumente gut auf die Probe stellen.

Einen regelrechten Countdown hatten die heimischen Medien veranstaltet, als Mitte September die Fertigstellung eines weiteren Teilstücks des Prager Autobahnringes unmittelbar bevorstand. Mit der Verbindung der Autobahnen D1 und D5 und der anschließenden Verbannung des Lkw-Transits vom innerstädtischen Straßennetz sei ein Großteil der Verkehrsprobleme gelöst, tönte es auch aus dem Rathaus. Die bislang notorisch verstopfte sogenannte Süddtangente gehöre nun ganz dem Pkw-Verkehr und den Bussen der neu eingerichteten Expresslinie 125, versprachen die Politiker.

Foto: Europäische Kommission
So weit, so gut. Doch bei meiner täglichen, gut zwanzigminütigen Straßenbahnfahrt ins Büro und wieder zurück bietet sich mir ein anderes Bild: Im weiteren Umkreis der viel gepriesenen Südttangente wälzen sich seither endlose Autoschlangen in Richtung der Autobahn-Auffahrten, mittendrin im Mega-Stau steht oft ein gutes Dutzend städtischer Linienbusse. Wie gut, dass wenigstens die Straßenbahn auf ihrem eigenen Gleiskörper an der Kolonne vorbeirauschen kann. Somit lässt mich der Stau zumeist kalt und wenn ich aus dem Fenster schaue frage ich mich, ob diese Leute tatsächlich so viel Zeit haben, um sich täglich in den Stau zu stellen. Und ob ihnen dabei nicht schrecklich langweilig ist, ganz alleine hinter dem Lenkrad.

Mir wird in der Bahn jedenfalls nicht langweilig, im Gegenteil, ich freue mich über die Zeit, die ich für mein Buch oder meine Zeitung habe. In dieser Woche habe ich mir am Kiosk an der Haltestelle die neueste Ausgabe eines als seriös geltenden politischen Wochenmagazins gekauft. Beim Durchblättern des Heftes bin ich bei einem Artikel über die Haushaltspolitik der Hauptstadt Prag hängengeblieben. In dem kritischen Artikel über die zahlreichen fragwürdigen und oft von Korruptionsvorwürfen begleiteten Investitionen der Stadtverwaltung wettert das Blatt auch gegen die hohen Subventionen für den Prager Verkehrsbetrieb, der als Fass ohne Boden gebrandmarkt wird.

Wirft der kommunale Betrieb und größte Arbeitgeber Prags also tatsächlich bündelweise Geld aus dem Fenster? Oder ist das nur der angemessene Preis für eines der besten Nahverkehrssysteme Europas, das kürzlich in einer Studie ganz vorne gelandet ist? Öffentlicher Personenverkehr, so wie es ihn in seiner derzeitigen Form seit rund 170 Jahren gibt, war nie gewinnbringend. Und wird es wohl auch nie sein. Und trotzdem ist er aus einem fortschrittlichen Land und einer modernen Großstadt nicht wegzudenken. Der Beweis dafür staut sich gerade neben meiner Straßenbahn Stoßstange an Stoßstange und hält auch die Busse des angeblich so verschwenderischen Verkehrsbetriebs gefangen. Wie viele zehntausend Liter Diesel im Jahr man wohl einsparen könnte, hätten die Busse freie Fahrt, wie viele teure Fahrer und Busse würde man weniger benötigen? Vielleicht macht sich ja im Rathaus einmal jemand die Mühe und stellt diese Rechnung an. Ich bin mir sicher, die Summe wäre enorm.

Manche Politiker scheinen indes endlich erkannt zu haben, dass ihre Wähler nicht nur im Auto, sondern auch und vor allem in den dahinschleichenden Bussen sitzen und sind mit dem Slogan „Mehr ÖPNV, weniger Kolonnen“ in die Kommunalwahl gezogen. Dass diese Partei nun gute Chancen hat, in den kommenden Jahren in Prag mitzuentscheiden, stimmt mich vorsichtig optimistisch.