Neue Wege des „weißen Goldes“: die Porzellanstraße Böhmens
Wer von „weißem Gold“ spricht, meint Salz, Elfenbein, Schnee - oder auch Porzellan. Einst exklusives Statussymbol, wurde das Porzellan später zur Massenware und zum beliebtesten Werkstoff für Essgeschirr. Seit genau 300 Jahren wird Porzellan in Europa hergestellt. Die erste europäische Porzellanmanufaktur entstand 1710 im sächsischen Meißen. Acht Jahrzehnte darauf fasste das weiße Gold auch im gar nicht fernen Böhmen Fuß. Der älteste Standort hierzulande war Horní Slavkov / Schlaggenwald. Noch heute gibt es in der westböhmischen Kleinstadt eine Porzellanfabrik. Sie hat vor kurzem die Porzellanstraße Böhmens und die internationale, bayerisch-böhmische Porzellanstraße mitinitiiert.
Er ist der Direktor der Porzellanfabrik Haas & Czjzek in Horní Slavkov. Das mittelständische Unternehmen entstand nach der Samtenen Revolution, als das staatliche Porzellanimperium zerfiel. 1792 war in Horní Slavkov die erste Porzellanmanufaktur Böhmens gegründet worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie verstaatlicht, und genau zwei Jahrhunderte nach der Gründung übernahm 1992 wieder ein Privatbesitzer den traditionsreichen Betrieb. Die neue Privatfirma knüpfte an die Geschichte des Unternehmens an. Sie griff den früheren Firmennamen Haas & Czjzek wieder auf und verkauft ihre Produkte auch unter dieser Marke. Zdeněk Uhlíř findet, dass die Verbraucher heutzutage die besonderen Qualitäten des Porzellans oft nicht mehr zu schätzen wüssten. Um dies zu ändern, setzt er sich für die Porzellanstraße Böhmens ein.
„Das runde Jubiläum des europäischen Porzellans bedeutet eine enorme Inspiration für uns. Es hilft uns, das Porzellan wieder populärer zu machen. Dabei spielt das Projekt der Porzellanstraße eine wichtige Rolle. Wir hoffen, dass auch das Schloss Mostov an der Porzellanstraße eine neue Funktion erlangt.“Die Porzellanstraße Böhmens ist eine thematische Fremdenverkehrsroute. Sie zieht sich durch das gesamte Gebiet der westböhmischen Porzellanindustrie. Sieben Standorte von einstigen und jetzigen Porzellanfabriken sind bislang darin vereinigt. Das Schloss Mostov / Mostau unweit von Cheb / Eger bildet die westlichste Station. Es ist mit der ältesten böhmischen Porzellanmanufaktur verbunden. Im Erdgeschoss des Schlosses ist eine historische Ausstellung von Porzellan der Marke Haas & Czjzek zu sehen. Jeden Sommer stellen außerdem Nachwuchsdesigner und junge bildende Künstler im Schlosspark ihre neuen Porzellanskulpturen aus.
Weitere Stationen auf der Porzellanstraße Böhmens sind Karlovy Vary / Karlsbad oder Dubí / Eichwald. Im Osten endet die Straße bei Klášterec nad Ohří / Klösterle an der Eger nordöstlich von Karlsbad. Gemeinsam ist allen Orten, dass dort die Geschichte und Gegenwart des Porzellans in öffentlichen Ausstellungen und diversen Kulturveranstaltungen dokumentiert ist.
Das trifft auch auf Ostrov zu. Früher hieß die Kleinstadt nördlich von Karlsbad Schlackenwerth, und es gab hier eine Porzellanfabrik. Das Kulturhaus Ostrov ist die zweite tragende Säule der Porzellanstraße Böhmens neben der Firma Haas & Czjzek. Kulturhaus-Leiter Marek Poledníček erklärt, warum ihm die Porzellanstraße am Herzen liegt:
„Dem Kulturhaus untersteht das Kloster Ostrov. Und im Kloster ist eine historische Porzellansammlung der Firma Pfeiffer & Löwenstein zu sehen. Wir sehen die Porzellanstraße als Chance, mehr Besucher nach Ostrov zu locken.“
Die Firma Pfeiffer & Löwenstein produzierte bis 1948 in Ostrov Porzellan, dann wurde die Fabrik geschlossen. Poledníček ist Koautor einer Denkschrift, mit dem die Porzellanstraße Böhmens Ende Januar bei einem bilateralen, tschechisch-bayerischen Workshop im Schloss Mostov offiziell ins Leben gerufen wurde. Das Memorandum enthält die Absichtserklärung, die Porzellanstraße mit vereinten Kräften auszubauen. Brach liegende historische Bauobjekte von früheren Porzellanherstellern sollen renoviert und zu Denkmälern der Porzellanindustrie ausgestaltet werden. Dabei will man auch europäische Förderprogramme nutzen. Der zündende Funke für den Zusammenschluss der sieben westböhmischen Orte zur Porzellanstraße Böhmens kam von jenseits der Grenze, aus dem oberfränkischen Selb. Dort gibt es das Porzellanikon, einen Museumskomplex, der die Keramik- und Porzellanindustrie allseitig darstellt. Nicht nur Geschirr und Ziergegenstände, sondern auch technische Keramik wird im Porzellanikon dokumentiert. Die Porzellanstraße im Nachbarland heißt man in Selb willkommen. Sie eröffne Chancen, den eigenen Aktivitäten zur Förderung des Porzellans auf bayerischer Seite neue Impulse zu geben, so der Tenor der dortigen Leitung.In Bayern gibt es bereits seit über zehn Jahren eine Porzellanstraße. Betreut wird sie vom Verein Porzellanstraße Bayerns e. V. Dieser hat seinen Sitz im Porzellanikon in Selb. Jana Gobel ist Mitglied des Vereins. Sie hat an der Organisation der Porzellanstraße Bayerns mitgewirkt. Gobel hofft, dass der Zusammenschluss der beiden Porzellanstraßen zur internationalen Porzellanstraße einen positiven Effekt auf die Besucherzahlen haben wird:
„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Leute an der Grenze kehrt machen. Es gibt aber auf beiden Seiten der deutsch-tschechischen Grenze viel Schönes zu entdecken. Wir wollen erreichen, dass die Leute aus Bayern weiter nach Tschechien hineinfahren, und wir möchten auch, dass die Tschechen zu uns nach Bayern kommen.“Der Verein hat die Entstehung der internationalen Porzellanstraße von langer Hand in die Wege geleitet. Vergangenen Herbst gab es einen vorbereitenden, bayerisch-tschechischen Workshop in Selb. Außerdem hat der Verein Daten von über 170 Porzellanfabriken zusammengetragen. Sie sollen als wissenschaftliche Grundlage für Gemeinschaftsprojekte dienen, erklärt Jana Gobel. Beim Anlegen der Datenbank wurde bereits einiges Neues entdeckt:
„Dabei haben sich neue Erkenntnisse über die Bezüge zwischen den Porzellanindustrien in Bayern, Sachsen und Böhmen ergeben. Es hat sich herausgestellt, dass ein sehr enges Geflecht vorhanden ist. Gründer und Besitzer von Porzellanbetrieben sind aus Sachsen nach Böhmen gegangen und später nach Bayern ausgewandert. Es gab also schon früher viele Kontakte zwischen den Porzellanfabriken. Manche Firmenbesitzer, die Betriebe in Böhmen hatten, waren aber auch in Sachsen und in Bayern tätig.“
Diese verschlungenen Wege des Porzellans will die internationale Porzellanstraße nun wieder ins Licht stellen. Die beiden Porzellanstraßen Bayerns und Böhmens unterstreichen ihre Kooperation durch einheitliche Symbole. Sie verwenden beide dasselbe Logo – eine Teekanne und Tasse – sowie das gleiche Motto: „Schönes erfahren“. Die offizielle Besiegelung der Kooperation im Januar in Mostov öffnet nun das Tor für weitere Gemeinschaftsprojekte.Angedacht ist ein grenzüberschreitender Reiseführer, der alle Orte der beiden Porzellanstraßen enthalten und auf Tschechisch und Deutsch erscheinen soll. Und auch bei einer großen Ausstellung zum 300. Jubiläum des europäischen Porzellans, die im April in Selb eröffnet wird, werden die tschechischen Partner präsent sein. Das Porzellanikon hat die Jubiläumsausstellung in zweijähriger Arbeit vorbereitet. Die Ausstellung dokumentiert unter dem Titel „Königstraum und Massenware“ die Geschichte - und die Geschichten - des Porzellans. Sie wird an zwei oberfränkischen Standorten der Porzellanindustrie gezeigt, in Hohenberg und Selb. Der Leiter des Porzellanikons, Wilhelm Siemen:
„Wir zeigen die gesamte Tradition des Porzellans, von den Vorläufern des Hartporzellans, etwa dem Medici-Porzellan, über Rouen und selbstverständlich Meißen bis in die Zeit des Art déco. Des Weiteren beschäftigen wir uns mit dem Thema Lifestyle und mit neuen Entwicklungen, wo auch Tschechien vertreten ist. Also die Ausstellung ist ein ganz breiter Strauß von verschiedenen Aspekten rund ums Porzellan. Wir haben rund 100 leihgebende Institutionen aus ganz Europa und auch Übersee.“Damit die internationale Porzellanstraße auch bei der Jubiläumsausstellung auflebt, haben sich die Partner ein besonderes Bonbon ausgedacht: Wer mit einer Eintrittskarte der Jubiläumsausstellung im Selber Porzellanikon ins Schloss Mostov kommt, erhält hier einen Preisnachlass.