Streit um die tschechische Nationalbank
Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüssen Sie Martina Schneibergova und Rudolf Hermann. Vergangene Woche haben wir an dieser Stelle den neuen tschechischen Nationalbankgouverneur Zdenek Tuma vorgestellt, und etwas unplanmässig ist heute die Nationalbank schon wieder Gegenstand unserer Sendung. Denn die Ernennung Tumas bedeutete nicht das Ende des Gerangels darum, wer an der Spitze der Notenbank stehen würde, sondern im Gegenteil den Anfang. Die Regierung geriet sich nämlich mit dem Präsidenten in die Haare darüber, wer denn eigentlich berechtigt sei, bei der Besetzung dieser für die Wirtschaft wichtigen Funktion mitzureden. Präsident Havel meint, das sei seine ausschliessliche Kompetenz, die Regierung hingegen verlangt ein Recht auf Gegenzeichnung. Mehr über diesen Streit in den folgenden Minuten, zu denen wir guten Empfang wünschen.
Als Präsident Vaclav Havel am Mittwoch letzter Woche im Schloss Zdenek Tuma zum neuen Gouverneur der tschechischen Nationalbank und Ludek Niedermayer zu einem Vizegouverneur ernannte, wusste er schon, dass diese Ernennungen möglicherweise von Problemen begleitet sein würden. Denn in einer geheimen Sitzung am Dienstag Abend hatte das Kabinett von Milos Zeman beschlossen, Havel die Anfechtung der Ernennung Tumas vor dem Verfassungsgericht in Aussicht zu stellen. Die Regierung steht auf dem Standpunkt, dass für die rechtsgültige Besetzung des Postens des Nationalbankgouverneurs die sogenannte Kontrasignation der Ernennung durch den Regierungschef nötig sei. Nun sind allerdings bisher alle Besetzungen von Gouverneurs- und Vizegouverneursposten seit der Entstehung der Tschechischen Republik ohne Gegenzeichnung erfolgt - der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass es eine einzige, auf Grund eines Irrtums entstandene Ausnahme gab - und niemand hatte sich bisher darüber aufgehalten.
Laut Äusserungen verschiedener Juristen, Staats- und Verfassungsrechtler erlaubt das tschechische Grundgesetz allerdings tatsächlich unterschiedliche Auslegungen der prozeduralen Vorschriften zur Ernennung des Nationalbankgouverneurs und der Vizegouverneure. Ausdrücklich in der Kompetenz des Präsidenten liegt zwar die Ernennung des Bankrates, aus dessen Mitgliedern die Führungsspitzen der Bank dann hervorgehen, doch wie es sich konkret mit den Funktionen Gouverneur und Vizegouverneur verhält, ist strittig. Die eine Auslegung besagt, dass die leitenden Mitglieder des Bankrates in erster Linie Ratsangehörige seien, die allein der Präsident ernenne, die zweite, dass es sich um spezielle Funktionen handle, die deshalb dem entsprechenden, in der Verfassung allerdings lediglich implizit formulierten Prozedere der Besetzung unterlägen. Eher in Havels Richtung der Auslegung deutet jedoch, dass Tuma nicht für eine sechsjährige Amtszeit ernannt wurde, sondern bis zum Ende seiner Funktionsperiode als Ratsmitglied im Jahr 2005, und Gleiches gilt für den Vizegouverneur Ludek Niedermayer, der dieses Amt nur bis 2002 ausüben wird und dann neu in den Rat ernannt werden muss.
Das Problem liegt aber ohnehin mehr auf der politischen Ebene. Sogar schon zur Regierungszeit Zemans, von früheren Regierungen ganz zu schweigen, hatte es Umbesetzungen auf den entsprechenden Posten der Nationalbank gegeben - darunter die Ernennung Tumas zum Ratsmitglied und Vizegouverneur im Jahr 1999 -, ohne dass die Regierung ein Mitspracherecht geltend gemacht hätte. Dass ein neuer Gouverneur bestimmt würde, war seit Wochen klar, und seit vergangenem Freitag wusste man auch, wer es sein würde. Wenn die Regierung erst in der Nacht vor der Ernennung in geheimer Sitzung über eine Verfassungsklage nachdenkt, dann müssen die Gründe wohl andernorts zu suchen sein. Warum dabei Tuma der Regierung nicht passt, ist nicht schwer herauszufinden. Tuma hatte mit seiner Ansicht nie hinter dem Berg gehalten, dass ihm die Wahrung der Preisstabilität, das heisst die Begrenzung der Inflation auf ein tiefes Niveau, ein sehr wichtiges Anliegen ist - wie es ja der Aufgabe der Nationalbank entspricht. Sollte die Inflation anziehen, wo würde Tuma sich wohl dazu gezwungen sehen, mit dem Bankrat eine Erhöhung der Leitzinsen zu vereinbaren. Genau das aber will die Regierung vermeiden. Denn eine Zinserhöhung bedeutet, dass das Geld teurer wird und deshalb die Unternehmen, die zu ihrer Entwicklung und Expansion Geld aufnehmen müssen, mehr Zinskosten zu tragen haben werden. Dies wiederum heisst, dass die Unternehmen weniger expandieren können und damit das Wirtschaftswachstum gebremst wird. Wirtschftswachstum ist aber genau das, was die Regierung dem Wahlvolk in Aussicht gestellt hat. Nach dem Fiasko der Sozialdemokraten in den Regional- und den Senatsergänzungswahlen von Mitte November ist das Erreichen eines spürbaren Wirtschaftswachstums für diese Partei im Hinblick auf die nächsten Parlamentswahlen vom Sommer 2002 zu einer Überlebensfrage geworden.
In einem Zeitungsartikel argumentierte Ministerpräsident Zeman, eine Zinserhöhung sei in der Tschechischen Republik nicht am Platz, weil das Land im Vergleich etwa zu den Nachbarn Polen und Ungarn über eine deutlich tiefere Inflationsrate, dafür aber einen gewissen Wachstumsrückstand verfüge. Eine erhöhte Inflationserwartung sei darüber hinaus namentlich externen Faktoren zuzuschreiben, etwa dem steigenden Ölpreis, und solchen Faktoren könne sich die Tschechische Republik schlecht entgegenstemmen. Diese Argumentation ist zwar nicht falsch, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Wenn die Zentralbank Befürchtungen über eine Inflationszunahme hegt, dann nämlich auch deshalb, weil die sozialdemokratische Regierung die Budgetdisziplin nicht sehr ernst nimmt. Dass die Staatsausgaben bald aus dem Ruder laufen könnten, davor warnt im übrigen sogar das Finanzministerium selbst. Gelangt allerdings mehr Geld in Umlauf, so wirkt dies generell inflationstreibend - daher wohl die Vorsicht von Nationalbankgouverneur Tuma.möchten. Der Streit zwischen Regierung und Präsident, in wessen Kompetenz die Ernennung des Nationalbankgouverneurs und der Vizegouverneure fällt, steht ebenfalls vor dem Hintergrund des politischen Einflusses. Die Rolle Tumas als Ökonom hat damit höchstens am Rande zu tun. Aus der Fachwelt wird ihm denn auch grosse ökonomische Kompetenz attestiert, und die Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny fand in einem Kommentar eine prägnante Formel dafür, wie die Gewichte verteilt seien: Als Havels Entschluss bekannt geworden sei, Tuma zum neuen Gouverneur zu ernennen, habe der Markt darauf nicht reagiert. Aber als die Regierung die Wahl angefochten habe, habe die Krone gegenüber dem Euro augenglicklich 30 Heller nachgegeben.
Laut Analytikern hat der Streit zwischen Regierung und Präsident, der am Montag immerhin wenigstens zum Teil entschärft werden konnte, zwar bis jetzt noch keine deutlichen negativen Auswirkungen auf das tschechische Wirtschaftsklima gehabt. Sollte der Zustand der Ungewissheit aber andauern, warnt die Fachwelt, werde dies an der Volkswirtschaft nicht spurlos vorübergehen. Gerät aber die tschechische Krone unter Druck wegen eines hausgemachten innenpolitischen Streits, so bleibt anzufügen, könnten die gesamtwirtschaftlichen Problemedabei bald schwerwiegender ausfallen als bei einer Erhöhung der Leitzinsen und damit zum Bumerang werden.