Multikulturelles Zentrum Prag
"Multikulturell" ist heute ein sehr modernes und häufig gebrauchtes Wort. Doch was kann man sich darunter vorstellen? Vielleicht wird der nachfolgende Besuch im "Multikulturellen Zentrum" in Prag Ihnen diese Frage ein Stück weit beantworten. Im Studio warten Markéta Maurová und Silja Schultheis auf Sie.
"Es ist ein bisschen problematisch, dies zu bestimmen, denn die Definitionen in Fachbüchern und Expertenkreisen gehen auseinander. Die Multikulturalität wird entweder nur als Problematik von verschiedenen in einem Raum lebenden Ethnien betrachtet, oder aber wesentlich breiter. Wir im Multikulturellen Zentrum bemühen uns um diese breitere Auffassung. Wir widmen uns in der multikulturellen Erziehung z.B. auch behinderten Menschen und beschränken uns nicht nur auf die ethnische Bedeutung."
Das Zentrum entstand 1999, es arbeitet also schon seit drei Jahren. Es vereinigen sich darin drei unterschiedliche Tätigkeitsfelder. Der wichtigste Teil ist das sog. Infozentrum. Es handelt sich um eine Bibliothek mit Literatur zur Multikultur-Problematik im breitesten Sinne des Wortes. Man findet dort nicht nur tschechische Literatur, sondern auch ausländische Bücher, die nicht einmal der Universität zur Verfügung stehen.
"Der zweite Teil betrifft die Bildung und zwar in zwei Strömungen: Erstens Bildung für Lehrer und pädagogische Mitarbeiter, weiter Sozialmitarbeiter, aber auch etwa für die Polizei - obwohl es sich bei der letztgenannten derzeit nur noch um ein Vorhaben handelt. Und dann widmen wir uns der Ausbildung von Kindern im Rahmen der sog. multikulturellen Erziehung. Das ist unser Programm der sog. interkulturellen Workshops."
Der dritte Teil wurde eigentlich schon am Anfang erwähnt und ist für das breitere Publikum am auffallendsten - die Programme für die Öffentlichkeit. Im Unterschied zu den ersten beiden Tätigkeitsbereichen orientiert man sich dabei auf eine breite Welt-Thematik und präsentiert alle möglichen Kulturen dieser Erde, nicht nur die Minderheiten, die in Tschechien leben. Mit diesem Anliegen ist immerhin das Zentrum vor 3 Jahren gegründet worden.
"Es war die Initiative von ein paar Leuten, die vorher bei "Open Society Found" gearbeitet hatten und sich in dieser Problematik gut auskannten. Es schien ihnen damals, dass hier im tschechischen Raum gerade so ein Zentrum fehlt. D.h. ein Zentrum, dass sich nicht ausschließlich mit der Roma-Problematik bzw. ausschließlich mit der Problematik der hier lebenden Minderheiten befasst, sondern einen breiteren Wirkungsbereich haben sollte."
Martina Novakova koordiniert im Zentrum die bereits erwähnten interkulturellen Workshops. Sie wurden im letzten Schuljahr ins Leben gerufen und bestimmten Themenbereichen gewidmet:
"Die Themen beziehen sich auf nationale Minderheiten, die bei uns am häufigsten vertreten sind, d.h. die Roma, die Vietnamesen, Chinesen. Und dann haben wir einen komparativen religiösen Workshop mit dem Namen "Große monotheistische Religionen", in dem die jüdische, moslemische und christliche Religion miteinander verglichen werden.... Wir sprechen dort nicht nur von den Differenzen zwischen diesen Glaubenslehren, sondern vor allem über gemeinsame Berührungspunkte und darüber, aus welchen Quellen diese Religionen entstehen und wie sie sich später trennen."
Wie sieht ein solcher Workshop eigentlich aus? Alles beginnt mit verschiedenen Gegenständen. Die Kinder bekommen diese Sachen in die Hand und versuchen zu raten, wozu sie dienen können - verschiedene Hüte, Musikinstrumente, Gefäße aus Keramik oder Bilder von Bauten. Danach werden Sie gefragt, was sie sich etwa bei dem Begriff "Vietnamese" vorstellen. Das Feld der Antworten ist sehr breit - sie seien sehr nett, sie seien sehr arbeitslustig, sie seien Buschmänner usw. Aufgrund dessen, was im ersten Teil des Seminars festgestellt wird, wird die zweite Hälfte gestaltet. Der Workshop endet mit einer konkreten Aktivität: die Kinder trinken Tee in einem vietnamesischen Restaurant, sie malen selbst chinesische Kaligrafien oder singen Roma-Lieder.
"Die Workshops sind so konzipiert, dass sie zur Toleranz führen sollen. Keinesfalls bemühen wir uns, die Kinder zu überzeugen - etwa im Falle des vietnamesischen Workshops - dass die Vietnamesen und deren Kultur die besten in der Welt sind. Wir wollen ihnen nur einen neuen Blick auf diese Kultur anbieten und zeigen, was für sie in dieser Kultur interessant sein könnte. Die Workshops bieten kein Maximum an Informationen, sondern sollen die Kinder eher anregen, selbst nach weiteren Informationen über die Kultur zu suchen."
Die größte Freude bringen den Organisatoren solche Ergebnisse ihrer Arbeit, wie das aus einer Grundschule in Prag: Nach einem zweistündigen Seminar über Vietnam liefen die Kinder in eine Nebenklasse, in der auch ein vietnamesisches Mädchen ist, und überhäuften dieses mit weiteren und weiteren Fragen.
Nach den Idealvorstellungen ihrer Autoren sollten die Workshops das ganze Schuljahr über laufen. In einigen Schulen gelingt dies bereits - das jeweilige Thema wird auch in den Geschichts-, Tschechisch- oder Kunstunterreicht einbezogen und weiter entwickelt. Dafür ist jedoch die Zusammenarbeit der Lehrer erforderlich, die dazu aber nicht immer und überall bereit sind. Eine wichtige Frage bei der Gestaltung eines solchen Projekts ist die, an wen es sich eigentlich richten soll:
"Die Workshops sind heute überwiegend für Kinder aus der fünften Schulklasse bestimmt. Wir haben lange Zeit darüber diskutiert, für welche Altersgruppe sie am besten wären, und kamen zu dem Schluss, dass gerade die fünfte Klasse aus zwei Gründen geeignet ist: Zum einen, dass es bis zur fünften Klasse ein abgerundetes Kinderkollektiv mit einem einzigen Lehrer gibt, d.h. dass dem Lehrer Raum geboten wird, die Themen in einzelne Unterrichtsfächer einzubeziehen. In der Sekundarstufe ist ein solcher Projektunterreicht nicht mehr möglich, weil dort mehrere Lehrer die verschiedenen Schulfächer unterrichten. Und der zweite Grund ist, dass im Alter von ungefähr 9 bis zu 12 Jahren die Kinder mehr oder weniger fähig sind, ihre stereotypen Vorstellungen über die Minderheiten zu formulieren. Gleichzeitig aber sind diese Vorstellungen bei ihnen noch nicht so fest verankert - weder auf Grund ihrer Erfahrung, noch theoretisch - und es ist möglich, deren Vorstellungen zu verändern und die Kinder durch Informationen ein bisschen weiter zu bringen."
Im Laufe des ersten Jahres des Projekts machten Martina Novakova und ihre Mitarbeiter bereits einige Erfahrungen: Was interessiert die Kinder? Was reflektieren sie überhaupt nicht? Was funktioniert bei ihnen und was nicht?
"Wir haben im letzten Jahr ein selbständiges Seminar allein zum Thema "Juden" gemacht. Dabei haben wir festgestellt, dass dies für die Kinder kaum interessant ist. Sie erfuhren zwar vieles über die Geschichte und verschiedene Dinge, die mit dem Judentum verbunden sind, es hatte aber keine Bedeutung in Bezug auf ihre Toleranz oder ihren Respekt zu anderen Menschen, denn die Kinder wissen fast nichts über die Juden. Aber wenn wir ein Workshop vorbereiteten, in dem die drei Religionen verglichen werden, ist etwas ganz Anderes. Die Kinder stellen auf einmal fest, dass sie - besonders nach den Ereignissen des Septembers letzten Jahres - sehr gut wissen, dass es Islam und Fundamentalismus gibt, dass jemand einen heiligen Krieg führt und ein anderer wiederum sagt, dass dies falsch ist."
Soweit, liebe Hörerinnen und Hörer, die multikulturelle Erziehung und das "Multikulturelle Zentrum" in Prag. Mit der Problematik machte uns Martina Novakova bekannt.