Rainer Kreissls Sammlung afrikanischer Kunst wird im Belvedere ausgestellt
Die afrikanische Kunst begann man in der westlichen Welt erst am Anfang des 20. Jahrhunderts zur Kenntnis zu nehmen. Ihre ersten Bewunderer und Sammler waren vor allem Vertreter der europäischen Kunstavantgarde. Eine außerordentlich interessante Sammlung afrikanischer Kunstwerke wird nun auf der Prager Burg aufbewahrt. Der tschechisch-deutsche Kunstmäzen Rainer Kreissl schenkte die Sammlung dem tschechischen Staat. Mehr über die Sammlung erfahren Sie im folgenden Spaziergang durch Prag von Olaf Barth und Martina Schneibergová.
Die afrikanische Kunst wurde lange mit dem Attribut "primitiv" bezeichnet und gewürdigt wurde insbesondere deren Expressivität und Unmittelbarkeit. Heute wird der Begriff der primitiven Kunst nicht mehr benutzt. Man spricht über die Stammeskunst oder über traditionelle Kunst. Die Unterschiedlichkeit der afrikanischen Kunst von der Kunst Europas besteht nicht darin, dass die afrikanischen Künstler nicht in der Lage wären, eine realistische Figur zu schaffen, sondern darin, dass sie keinen Grund hatten, sich um so etwas zu bemühen. Ihr Ziel war nicht eine schöne Form und getreue Nachbildung der Vorlage, sondern in erster Linie der Inhalt. Nach Meinung der Experten soll man bei der afrikanischen Kunst nicht danach fragen, was die jeweilige Plastik oder Maske bedeutet, sondern was sie kann, was für eine Macht sie besaß.
Die Rolle der Kunst und der Darstellung in den traditionellen afrikanischen Gesellschaften unterschied sich von der Rolle der Kunst im europäischen Milieu. Zahlreiche afrikanische Sprachen kennen nicht einmal das Wort "Kunst". Das, was man "afrikanische Kunst" nennt, hatte ursprünglich eine ganz andere Rolle. Es handelte sich um Artefakte, die mit dem Glauben und mit der Religion eng zusammenhingen, die man nicht für Kunstwerke mit einem ästhetischen Wert, sondern für Kultgegenstände mit einer magischen Macht hielt. Dementsprechend wurde mit ihnen umgegangen. Bestimmte Plastiken wurden in dunklen heiligen Räumen aufbewahrt, zu denen nur Auserwählte Zutritt hatten. Sie wurden bei verschiedenen Festen gezeigt und lebten ihr eigenes Leben.
Die Zeit der Entstehung eines konkreten Artefakts ist im Falle der afrikanischen Kunst nicht das Allerwichtigste. Gegenstände, die 100 oder 130 Jahre alt sind, werden in Afrika schon für wirklich alt gehalten. Ältere Sachen sind nur selten erhalten geblieben. Die Altehrwürdigkeit der afrikanischen Kunst besteht in einer ununterbrochenen Kontinuität alter Traditionen und Rituale. Denn die Formen der einzelnen Plastiken und Masken gehen vielleicht Tausende Jahre zurück in die Vergangenheit.
Eine in Europa einzigartige und bislang nicht veröffentlichte Sammlung afrikanischer Kunst wird bald im Lustschloss der Königin Anna - dem so genannten Belvedere - auf der Prager Burg installiert. Wie bereits erwähnt, stellt die Kunstsammlung ein großzügiges Geschenk des tschechisch-deutschen Kunstsammlers Rainer Kreissl dar.
"Für die Experten wird es eine große Überraschung sein und die Präsentation der Sammlung wird bestimmt internationales Interesse wecken," meinte der Kurator der ständigen Sammlung, Ladislav Kesner, gegenüber der Tageszeitung Lidove noviny. "Hätte Herr Kreissl die Sammlung an einen anderen Ort vergeben, hätte man dort höchstwahrscheinlich deswegen ein Museum errichtet, das wahrscheinlich ein namhafter Architekt entworfen hätte," meinte Ladislav Kesner weiter.
Rainer Kreissl stammt aus der Gemeinde Dekov bei Rakovnik. Seine Mutter war Tschechin, sein Vater war ein Deutscher. Kreissl fühlte sich schon immer von der Kunst angezogen, trotzdem absolvierte er die Handelsakademie. Als die Kommunisten der Familie Kreissl 1948 sowohl ihr Familiengut, als auch die Handelfirma des Vaters konfiszierten, verdingte sich Rainer Kreissl kurzzeitig als Porzellanmaler. Seit dem Ende der fünfziger Jahre arbeitete er in einem Antiquitätenhandel in Teplice. 1963 ist es ihm gelungen, nach Deutschland zu emigrieren. Dort war er beim Auktionshaus Weinmüller-Neumeister beschäftigt und vertrat die Firma auch einige Jahre lang in den USA. Ladislav Kesner dazu:
"In seiner Arbeit kam er mit Hunderten von Gegenständen in Kontakt. Er war fast auserkoren, Kunstsammler zu werden. Seine Sammlungen umfassten fast alle Bereiche - vom Barockglas bis hin zu den zwei Gebieten, für die er sich am meisten interessierte. Das waren Teppiche und Kelime aus Anatolien und afrikanische Plastiken."
Die Sammlung, die den offiziellen Titel "Afrikanische Kunst - eine Sammlung von Rainer Kreissl, Prag" trägt, stellt Kunst aus verschiedenen Regionen Afrikas vor. Man findet da Gebrauchsgegenstände sowie solche, die eine zeremonielle Rolle hatten. Am interessantesten sind die Plastiken des Stammes Fang südlich von Kamerun und Kunstgegenstände des Stammes Dogon aus dem Gebiet der heutigen Republik Mali. Fast 500 Plastiken und Gegenstände sind ein Geschenk und andere 189 wurden vom Mäzenen geliehen. Was bewegte den Kunstsammler dazu, seine Kollektion dem tschechischen Staat zu schenken? Ladislav Kesner dazu:
"Er bewies seine Beziehung zu dem Land, in dem er geboren ist, mit ungewöhnlichen und außerordentlich großen Geschenken. Dem Prager ethnographischen Naprstek-Museum schenkte er vor acht Jahren eine Sammlung anatolischer Teppiche, die in drei Ausstellungen auf der Prager Burg zu sehen waren. Der Nationalgalerie schenkte er mehr als 200 Gegenstände aus dem Orient, diese sind in den Sammlungen in Prag-Zbraslav zu sehen. Mit der Verwaltung der Prager Burg unterzeichnete Kreissl im Jahre 2000 einen Vertrag darüber, dass er auch seine letzte große Sammlung - die afrikanische Kunst - der Tschechischen Republik übereignen wird."
Die Besucher der ständigen Ausstellung, die im Juni dieses Jahres im Belvedere eröffnet wird, sollen die Gelegenheit bekommen, eine ungeahnte Welt zu entdecken. Die Sammlung enthält Plastiken von monumentaler Größe sowie feine Holzschnitte, zahlreiche Masken, Reliquienschreine und Kultobjekte, aber auch Gebrauchsgegenstände. Sie wurden aus Holz, Metall, Stoff und natürlichen Substanzen - wie Muscheln oder Knochen - hergestellt.
In der Sammlung sind fast alle Regionen vertreten, die im Bereich der afrikanischen Kunst ein Begriff sind. Am stärksten jedoch Zentralafrika - ungefähr von Südkamerun über Gabun, Äquatorialguinea, die Republik Kongo bis nach Angola. Rainer Kreissl, der die Bestimmung, Charakteristik sowie technischen Daten aller Exponate bearbeitete, schreibt in seinem einleitenden Aufsatz mit dem Titel "Kunst, wie die Kunst zu erkennen ist", dass er Anfang der 60er Jahre als Emigrant aus Prag zu einem Münchner Antiquitätenhändler kam, um ihn nach einer chinesischen Vase aus der Jüan-Dynastie zu fragen. Kreissls Aufmerksamkeit wurde durch einige nicht ausgepackte Kisten geweckt. Sie enthielten afrikanische Objekte, und die damalige Begegnung mit ihnen stellte eine Art Prolog dar - Prolog für eine mehr als 40jährige passionierte Sammler- und Forschungstätigkeit und Liebe. Deren Epilog ist das großzügige Geschenk, das bald in Prag vorgestellt wird.
Rainer Kreissl wurde inzwischen der Ehrendoktortitel der Karlsuniversität und die Staatsauszeichnung für besondere Verdienste verliehen. Wenn alles klappt, wird er am 6.6. um 6 Uhr an der Eröffnung der ständigen Ausstellung im Belvedere teilnehmen, über die der tschechische Staatspräsident Vaclav Havel die Schirmherrschaft übernommen hat.
Damit sind wir, liebe Hörerinnen und Hörer, am Ende des heutigen Berichtes über die vorbereitete Ausstellung der afrikanischen Kunst im Prager Belvedere angelangt.