Keine Postkartenansicht: der Prager Hradschin von der Ponton Bar aus betrachtet
Prag hat nicht nur ein außerordentlich reiches Kulturangebot an Theater, Konzerten, und Ausstellungen, sondern die Stadt ist selbst auch eine lebende Kulturlandschaft. Die während des Zweiten Weltkriegs glücklicherweise weitgehend erhalten gebliebene Bausubstanz, die seit Jahren mit Vehemenz in Stand gestellt und renoviert wird, liest sich wie eine Geschichte der Architektur. Aber eine gelebte und lebendige Geschichte. Auch die wohl berühmteste Ansicht Prags, die Prager Burg, gewillt neue Perspektiven. Man muss nur wissen, von wo aus man sie anschaut. Dazu die folgende n Betrachtungen von Alexander Schneller:
Jetzt, wo es draussen immer wärmer wird, lockt sonniges Wetter zum Spaziergang. Und manchen zieht es ans Ufer der Moldau, denn von dort ergeben sich von allen möglichen Standorten herrliche Ausblicke. Heute soll die Rede sein von einem ganz speziellen Ort. Wenn wir uns, zum Beispiel vom Altstätterring durch die Kaprová-, also Karpfengasse der Moldau nähern, gelangen wir auf einen grossen Platz, dessen Namen uns kurz an vergangene, traurige Zeiten erinnert, an das Jahr 1969 nämlich, in welchem sich der junge Student Jan Palach selbst verbrannt hat.
Schon vom unteren Ende des Platzes ergibt sich ein majestätisches Bild, denn auf der anderen Moldauseite erhebt sich der Hradschin, der Prager Burgkomplex, dessen einmalige, weltberühmte Silhouette so manche Postkarten ziert, die tagtäglich von Besuchern in alle Welt geschickt werden. Wir gehen jetzt über den Platz und streben dem Ufer der Moldau zu. Immer eindringlicher wirkt der Burgkomplex, und meist eher träge fliesst der Fluss in unbeirrbarer Stetigkeit vorbei. Wir befinden uns also an der Moldau, aber wir möchten auf die Moldau.
Nein, nicht mit einem der zahlreichen Boote und Schiffe, sondern wir wollen, abseits vom manchmal hektischen Verkehr, der über die Mánes-Brücke und den Palach-Platz strömt, auf der Moldau sitzen, den Anblick der Prager Burg bei einem Kaffee, einem Glas Bier oder Sekt geniessen und uns, von leichten Wellen bewegt, entspannt dem optischen Schauspiel hingeben und sich daraus ergebenden Gedanken nachhängen. Und das kann man. Denn auf der linken Seite der Brücke befindet sich unterhalb der Uferpromenade die Ponton-Sektbar, die man über eine Zugbrücke und eine anschliessende, steil nach unten führende Metalltreppe erreicht. Es ergibt sich jetzt ein neues Bild, eine neue Perspektive. Zwar thront nach wie vor der Hradschin auf der gegenüberliegenden Seite, aber wenn wir unseren Blick nach links wenden, dann sehen wir die Karlsbrücke, wie meist von unzähligen Touristen bevölkert.
Wir erkennen rechts davon den Kleinseitner Brückenturm, darüber den Hügel Petøín, der bei Franz Kafka Laurenziberg heisst. Unter den Bögen der Mánes-Brücke hindurch auf der rechten Seite schliesslich kann man auf dem Letná das riesige Metronom erkennen, dessen hin und her schwingendes Pendel uns an Zeit und Vergänglichkeit gemahnt. Ausserdem schaukeln die Planken des Pontons immer wieder angenehm und beruhigend. Die Grossstadtgeräusche sind hier unten weitgehend ausgeblendet, man hört das Rauschen des aufböenden Windes, das Plätschern der Wellen und, nicht zu vergessen, das Quaken der Enten und Kreischen der Möwen.
Ja, wir befinden uns an einem der schönsten Plätze Prags, vielleicht am schönsten. Nicht zufällig befindet sich einige Schritte flussaufwärts das renommierte Four Seasons Hotel, von dem behauptet wird, es habe die schönste Aussicht Mitteleuropas. Und genau diese Aussicht können wir in der Ponton-Sektbar von Ivo Kubík, der seit einigen Jahren schon das Frischluft-Lokal von April bis Oktober täglich geöffnet hat, ebenfalls geniessen, allerdings zu erheblich günstigeren Preisen.