Schulen in den Händen der Gemeinden / Perspektiven der Hochschulen in Tschechien
Willkommen zu einer neuen Ausgabe der tschechisch-slowakischen Begegnungen, die wir in Zusammenarbeit mit der deutschsprachigen Redaktion von Radio Slowakei International vorbereiten. Unser gemeinsames Thema ist diesmal das Schulwesen. Das Wort hat zuerst meine Kollegin aus Bratislava Miriam Varsova:
Das neue Schuljahr in der Slowakei hat eine wesentliche Änderung mit sich gebracht. Die staatlichen Schulen sind in die Hände der Gemeinden übergegangen. Wie wirkt sich die Dezentralisierung des Schulwesens auf die Selbstverwaltungen aus?
Die Schulen Slowakeiweit stecken in einer langfristigen finanziellen Krise. Ihre Schulden für Strom und Gas machen derzeit rund 430 Millionen Slowakische Kronen aus. Staatsdotationen reichen für die Begleichung der Schulden nicht. Das slowakische Schulwesen darbt am Rande der Staatsinteressen. Schuldirektoren suchen nach Sponsoren oder vermieten die Turnhallen und Internatzimmer, um den Schulbetrieb "über Wasser zu halten".
Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Übertragung einiger Kompetenzen des Staates auf die Gemeinden, Städte und höhere Gebietseinheiten im Juli 2002 haben die Selbstverwaltungen Schulen im jämmerlichen technischen Zustand "geerbt". Das Gemeindeamt im Stadtteil Bratislava-Raca musste nach den Budgetersparnissen greifen, um den reibungslosen Anfang des Schuljahres 2002/2003 zu sichern. Bürgermeister von Raca Pavol Bielik:
"Wir haben fast 2 Millionen SKK für die Renovierung der Schulen in Raca aufgewendet. Es war nicht leicht, wir mussten unseren Investitionsplan ändern. Zum Nachteil der anderen Bereiche haben wir bei der Geldverteilung dem Schulwesen Vorrang gegeben. Wir wollten, dass die Schulgebäude Anfang September im ´neuen Kleid´ erstrahlen."
Das Gemeindeamt Raca verwaltet derzeit 7 Kindergärten und 3 Grundschulen, in die auch Kinder aus anderen Stadtteilen sowie aus den Dörfern außerhalb von Bratislava gehen.
"Sowohl die Schuldirektoren als auch die Schüler und ihre Eltern haben sich gefreut, als sie sahen, dass zum erstenmal nach vielen Jahren hier in Raca den ganzen Sommer Schulreparaturen durchgeführt wurden."
Auf die Kompetenzübertragung im Schulbereich hat sich das Gemeindeamt Raca schon langfristig vorbereitet, auch dank der Voraussicht des Bürgermeisters:
"Die ganzen vergangenen vier Jahre haben wir in unsere Schulen beträchtliche finanzielle Beträge investiert. Es waren vor allem Investitionen in die Reparaturen und zweckgebundene Unterstützung zur Verbesserung der Unterrichtsqualität. Ich bin überzeugt, dass die Investition in die Ausbildung unserer Kinder die beste Investition ist."
Die Dezentralisierung im slowakischen Schulwesen steht immer noch am Anfang. "Die Selbstverwaltungen haben noch wenig Erfahrungen mit derartigen Aktivitäten. Ich meine, es wird Schritt für Schritt gehen."
Die neue Legislatur ermöglicht den Selbstverwaltungen, über viele finanzielle Fragen der von ihnen verwalteten Schulen zu entscheiden. Die Finanzierung des Schulwesens wird aber auch weiterhin die Aufgabe des Staates sein. Noch einmal der Bürgermeister des Stadtteils Bratislava-Raca Pavol Bielik:
"Ohne entsprechend hohe staatliche Subventionen wird der Betrieb unserer Schulen immer problematisch sein."
Aus Bratislava kommen wir nach Prag zurück:
Ein viel diskutiertes Thema im tschechischen Bildungswesen ist zweifelsohne die Reform des Schulsystems, die während der vergangenen Legislaturperiode nicht verabschiedet wurde. Diese Reform würde zweifelsohne auch die tschechischen Hochschulen betreffen, wobei man mit der Einführung von Studiengebühren in der nächsten Zeit nicht rechnen kann. Ein überzeugter Befürworter der Einführung von Studiengebühren ist zwar der für Forschung und Entwicklung zuständige Vizepremier Petr Mares, Schulministerin Petra Buzkova ist jedoch dagegen. Mares, der im Koalitionskabinett von Vladimir Spidla die Freiheitsunion / Demokratische Union vertritt, ist sich dessen bewusst, dass seine Partei nicht stark genug ist, um ihre politischen Partner von der Notwendigkeit der Studiengebühren zu überzeugen. Er bemerkte:
"Diese Frage ist leider zu einer politischen Frage geworden, und bei den momentanen tschechischen Verhältnissen bedeutet die politische Orientierung auch den Verzicht auf Studiengebühren. Dies gilt nicht im gesamteuropäischen Maßstab - britische Labouristen haben damit z. B. keine Probleme. Bei uns werden Studiengebühren von den linken Parteien abgelehnt - als ein Mittel, das zur Diskriminierung sozial schwächerer Bevölkerungsschichten führen könnte. Ich bin davon überzeugt, dass es dem nicht so ist, ich weiß jedoch, dass es unwahrscheinlich ist, unsere sozialdemokratischen Partner im Kabinett davon zu überzeugen."
Wofür möchte sich der Vizepremier im Bereich der Hochschulen einsetzen?
"Als Vizepremier, der für Forschung und Entwicklung verantwortlich ist, möchte ich mich vor allem für eine bessere Kommunikation zwischen Hochschulen und traditionellen wissenschaftlichen Institutionen - wie der Akademie der Wissenschaften einsetzen. Ich hoffe, dass wir es während der nächsten vier Jahre erreichen, dass die Hochschulen mit den wissenschaftlichen Institutionen im Rahmen von Forschung und Entwicklung zusammenarbeiten werden."
In der Frage eventueller Studiengebühren vertreten Schulministerin Buzkova und Vizepremier Mares unterschiedliche Meinungen, sie haben jedoch mehrere gemeinsame Vorhaben, was die angestrebte Bildungsreform anbelangt. Im Hochschulbereich sind sie beide davon überzeugt, dass die Struktur der Hochschul-, bzw. Universitätsbildung geändert werden muss. Mares zufolge geht es darum, möglichst viele Studenten auf dem Niveau des sog. "bachelor"-Studiums, eine geringere Studentenzahl dann auf dem Niveau der Magisterprogramme und nur die allerbesten im Doktorandenprogramm zu haben. Bislang sieht die Praxis so aus, dass damit gerechnet wird, dass die meisten oder alle Studenten das Studium mit einer Magisterprüfung abschließen, d.h. dass sie ca. 5 Jahre studieren. Mares zufolge ist es notwendig, ein breiteres Angebot von nur 3-jährigen Studienprogrammen zusammenzustellen. Über die manchmal in Frage gestellte Qualität des Schulsystems in Tschechien sagte Petr Mares:
"Ich würde nicht behaupten, dass die Qualität allgemein schlecht ist. Aber wir bevorzugen immer noch traditionelle Formen des Studiums, den weniger traditionellen Formen - wie z. B. einem Studium per Internet - bieten wir nur wenig Raum. Vor allem aber sind wir gewöhnt, dass der Student das gewählte Studienprogramm 5 Jahre lang streng einhält, und es wird ihm kaum angeboten, auch andere verwandte Studienfächer zu studieren und seinen eigenen Weg zu suchen. Ein anderes Problem stellt die Tatsache dar, dass zahlreiche Pädagogen, die an Universitäten tätig sind, gezwungen sind, Nebenjobs zu machen, und dies wirkt sich auf deren Studenten aus."
Dies ist jedoch eine Frage der Entlohnung im Schulwesen.