Internationale Konferenz in Prag: Masaryk und seine Sicht der tschechisch-deutschen Beziehungen
Wenn gegenwärtig vom Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen respektive zwischen Tschechen und Österreichern die Rede ist, dann geht es meist um die strittigen Fragen, die im Zuge der Erweiterung der Europäischen Union noch zu klären sind. Dort, wo auch die Beschäftigung mit der Vergangenheit in diesem Lichte erscheint, wird diese allzu oft für die jeweils eigenen Interessen instrumentalisiert und dementsprechend oberflächlich dargestellt. Eine wirklich profunde Diskussion über bestimmte historische Aspekte in den deutsch-tschechischen Beziehungen fand am Freitag im Rahmen einer Konferenz in der Prager Akademie der Wissenschaften statt. Gerald Schubert war dort und hat folgenden Beitrag vorbereitet:
"Tschechen und Deutsche im politischen Verständnis von Tomas Garrigue Masaryk". So lautet der Titel einer internationalen Konferenz, die - von der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik initiiert - am Freitag in Prag abgehalten wurde. Masaryk, der erste tschechoslowakische Präsident und Gründer des tschechoslowakischen Staates, ist hierzulande auch heute noch nahezu allgegenwärtig. Es gibt kaum eine Stadt, in der nicht ein zentraler Platz oder eine zentrale Straße nach ihm benannt wäre, und wohl jedem Schulkind ist das Bild des ernsten, schwarzgekleideten Mannes mit dem auffällig gezwirbelten weißen Bart nur allzu vertraut. Masaryk gehört eben, neben Karl dem Vierten und einer Reihe weltbekannter tschechischer Künstler zum Standardrepertoire historischer Folklore und nationaler Identifikationsfiguren, was jedoch freilich nicht bedeutet, dass die Beschäftigung mit ihm stets sehr profund abläuft.
Dennoch: Es gibt eine große Zahl von tatsächlichen Experten auf diesem Gebiet. Und über zwanzig von Ihnen gaben sich bei der Konferenz am Freitag ein Stelldichein, um zu referieren und zu diskutieren. Masaryks Bedeutung für die Entwicklung der tschechisch-deutschen Beziehungen im zerfallenden österreichischen Vielvölkerstaat kurz vor dem ersten Weltkrieg stand dabei ebenso im Mittelpunkt wie allgemeine Konzepte Masaryks für die Sicherstellung einer konstruktiven europäischen Koexistenz. Dass man hier, gerade in Zeiten eines beschleunigten europäischen Integrationsprozesses nicht lange nach Bezügen zur Gegenwart suchen muss, liegt auf der Hand. Der Prager Historiker Martin Kucera etwa beschrieb den Charakter von tschechisch-deutschen Versöhnungsversuchen zu jener Zeit, als die Nationalitätenkonflikte längst an den Grundfesten der Habsburger Monarchie zu rütteln begonnen hatten:
"Die tschechisch-deutsche Versöhnung wurde damals völlig mechanisch aufgefasst. Nämlich etwa so, dass sich die Tschechen und Deutschen an einen grünen Tisch setzen, dass sie sich auf bestimmte Dinge einigen, und fertig. Ende der Diskussion. So aber konnte man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits keine Politik mehr machen. Und schon gar nicht in einer Situation, die von sehr scharf konturierten, nationalen Haltungen geprägt war."
Politik am grünen Tisch - sie allein kann auch heute keinen friedlichen Integrationsprozess garantieren. Dabei sind Vergleiche zwischen dem Vielvölkerstaat der Donaumonarchie einerseits und der Europäischen Union andererseits, wie immer sie auch ausfallen mögen, in politisch-historischen Debatten nichts neues. Doch ist es auch nicht Aufgabe der Geschichte, ständig neue Fakten und Aspekte zu präsentieren. Die richtige Diskussion zur richtigen Zeit stellt neue Perspektiven in Aussicht. Und darum sind hinter den Kulissen mehr Menschen bemüht, als es auf den ersten Blick oft scheint.