Die Kulturzeitschrift "Kafka"
Seit zwei Jahren gibt es eine Kulturzeitschrift für Mitteleuropa: "Kafka". Im heutigen Kultursalon von Martina Zschocke hören Sie ein Interview mit deren Chefredakteurin Ingke Brodersen und erhalten einen Überblick über die bisher erschienen Ausgaben und das Profil der Zeitschrift.
Eine Kulturzeitschrift für die Mitte Europas. Das ist das vielversprechende und zweifellos zeitgemäße Ziel der Zeitschrift "Kafka". Die Europäische Union vervollkommnet sich in nächster Zukunft um ihre mittel- und osteuropäischen Länder. Deren Kultur bereichert die westlicher gelegene Welt schon seit längerem. Man denke nur an Namen wie Kafka oder Kundera, Milos Forman oder Sandor Márai - um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Zeitschrift "Kafka" widmet sich dezidiert Mitteleuropa und meint damit Tschechien, Polen, die Slowakei und Ungarn. Es ist noch eine relativ junge Zeitschrift. Acht Ausgaben sind bisher erschienen. Gleichwohl kann man sie jetzt schon in eine Reihe mit "du", "Mare" und anderen gut gestalteten und inhaltlich anspruchsvollen Zeitschriften stellen. Der Themenhorizont von "Kafka" umfasst ein weites Spektrum. Hören Sie dazu die Chefredakteurin der Zeitschrift Ingke Brodersen:
"Wir haben in den ersten acht bisher erschienenen Nummern von Kafka Themen behandelt wie Europa, aber auch ein Thema wie Heimat, was sicherlich auch ein Thema ist, dass zu manchen Verwerfungen und Brüchen zwischen den Ländern beigetragen hat in der Vergangenheit, aber auch ein Zukunftsthema wie Bildung, was kennzeichnet denn möglicherweise eine europäische Bildungsidee. Oder ein nächstes Thema bei uns wird jetzt Wasser sein, wir haben aber auch die Zukunft der Religion behandelt oder den Generationenkonflikt. Also das Spektrum ist breit angelegt."
"Kafka" ist das missing link, mit dessen Hilfe Europa nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell eine Einheit werden soll. Die Zeitschrift bietet mitteleuropäischer Kultur eine Bühne, in der auch das Bühnenbild ansprechend erscheint. Jede Ausgabe enthält Werke eines Künstlers oder Fotografen. Einige Hefte haben nahezu Katalogqualität und zeigen beispielweise Fotos der namhaften tschechischen Fotografen Josef Sudek und Frantisek Drtikol oder Grafiken von Dusan Kállay. Inhaltlich ist die Zeitschrift vielseitig, wobei jede Ausgabe einem bestimmten Thema gilt.
"Es ist eine Kulturzeitschrift, geht aber in seinem Selbstverständnis häufig dann über einen enggefaßten Kulturbegriff hinaus. Wir versuchen eigentlich so eine Melange hinzukriegen zwischen auch sehr politischen Beiträgen, literarischen Beiträgen, die allerdings literarische Essays und keine fiktionalen Texte sind, haben aber auch in jedem Heft beispielsweise eine Rubrik enthalten, die wir Stichwort Europa nennen, also ein sehr sachlich-nüchternes Stichwort in der Regel. Und wir bemühen uns auch um Lebensgeschichten unter der Rubrik Porträt, also eine wichtige Person aus den Erscheinungsländern, die von einer gewissen sei es literarischen, politischen oder historischen Bedeutung für die weitere Entwicklung der Länder gewesen ist."
Die erwähnten literarischen Essays stammen unter anderem von so renommierten Autoren wie Durs Grünbein, Herta Müller, György Konrád oder der jungen, doch schon viel beachteten tschechischen Autorin Hana Andronikova. Viele der Essays beschäftigen sich mit mitteleuropäischen Themen und Identitäten unter häufig sehr originellem Blickwinkel. Über das Verhältnis von Tschechen und Slowaken schreibt Juraj Alner im ersten Heft. Er bezieht sich darin auf Kafka und den slowakischen Volkshelden Janosik: einen Räuber, der die Reichen bestahl, um sein Diebesgut mit den Armen zu teilen. Eine Art slowakischer Robin Hood. Hören Sie daraus jetzt einen Auszug:
"Kommen wir aber zu den Nachbarschaften. Was passiert, wenn Jánosík Kafka begegnet? Diese kaum vorstellbare Situation veranschaulicht einen der Gründe für den Zerfall der Tschechoslowakei. Menschen wie Jánosík springen übers Feuer, trinken lärmend in der Kneipe, die sie auf den Kopf stellen, mit einem Lächeln machen sie das große Geld, das sie gleich wieder großzügig verjubeln. Menschen wie Kafka wagen es nicht, sich so einem Jánosík zu nähern. Sie können nicht trinken, können sich nicht einmal ordentlich amüsieren, lehnen sich nicht gegen die Obrigkeit auf, beobachten sie nur misstrauisch, verstohlen und aus sicherem Abstand. Jánosík und die Obrigkeit sind eine Welt; sie gehören zusammen wie plus und minus. Sie machen mit Leuten wie Kafka kurzen Prozess. Man hat sich gegenseitig sowieso nichts zu sagen. Die Grenzen eines Kafka sind nämlich vertikal und kaum überwindbar. Seine Welt ist in niedere und höhere Beamte sowie die Obrigkeit unterteilt. Das Gericht, bzw. das Amt, lebt sein eigenes, geheimnisvolles Leben, abseits der übrigen Welt."
Soweit ein Auszug aus dem Essay "Jánosík und Kafka" von Juraj Alner. Auf dem Weg nach Europa heißt das Heft, in dem dieser Text erschien. Andere Ausgaben gibt es u.a. zu den Themen Brüche und Zäsuren, Migration, Amerikabilder und Fremde Heimat. Die Redaktion der Zeitschrift bemüht sich dabei immer von bestimmten aktuellen Anstößen auszugehen, wobei ihr der Herausgeber alle Freiheit lässt, Themen zu setzen. Dabei geht es dann häufig um ein Wechselspiel aus aktuellem Anlass und einem möglichst grundlegenden Thema, das für die Vorstellung wie man Europa gestalten soll, eine Rolle spielt. Hintergrund ist bei allem die anstehende Osterweiterung der Europäischen Union.
"Das Goetheinstitut und Inter Nationes haben sehr frühzeitig erkannt, dass man den Zusammenschluß Europas sicherlich nicht allein über wirtschaftliche Zusammenhänge erfolgreich hinkriegen wird, sondern dass man auch so etwas wie Akzeptanz dafür erzeugen muss. Und das bedeutet in erster Linie ein kulturelles Forum zu schaffen, in dem man sich über verschiedenste Themen, vor allen Dingen aber auch über seine Zukunftsvorstellungen, wie dieses Europa eigentlich in Zukunft aussehen sollte, auch über Themen der Vergangenheit, die einem Verständigungsprozess im Wege stehen könnten, verständigen müsste und als ein solches Forum wurde "Kafka" gegründet und auch von Anfang an verstanden."
Seit nunmehr zwei Jahren besteht die Zeitschrift und das Konzept erweist sich als erfolgreich. "Die neue Zeitschrift der deutschen Kulturinstitute möchte die mitteleuropäische Moderne erneuern und sich auf die Suche nach der gemeinsamen Identität dieser Region begeben... Der Zeitpunkt für ein solches Projekt ist gekommen." schreibt Le Monde am 10. Mai 2001. "In Zeiten eines oft ungenießbaren Häppchenjournalismus haben es Publikationen mit längerem Atem schwer. Aber es gibt sie. Und es gibt eine erfreuliche Neuerscheinung auf diesem ausgedünnten Markt: Die Zeitschrift Kafka.", soweit WDR 5, Scala. Der Herausgeber der Zeitschrift ist die neufusionierte Institution Goetheinstitut- Inter Nationes.
"Und die Goetheinstitute sind ja in all diesen Ländern vertreten und haben von daher auch ein Interesse an einer Art Dialog, wobei sicher noch manches zu intensivieren wäre, was von der Arbeit dieser Zeitschrift wiederum kann in manchen Teilen zurückfließen in die Goetheinstitute und vice versa. Ja, das sind unsere Herausgeber, aber die Redaktion ist unabhängig und frei in ihrem Gestaltungsspielraum."
Die Redaktion von "Kafka" sitzt in Berlin-Mitte. Die erste Ausgabe erschien Anfang 2001. Das neunte Heft ist derzeit in Vorbereitung. Es ist dem Thema Wasser gewidmet. Aktueller Anlass war die sommerliche Flutkatastrophe. Das Heft soll einigen grundsätzlichen Fragen des Wassers nachgehen, vor allem aber der Frage wie das Wasser des Lebens zu H2O, einem industriellen Rohstoff wurde.
Auf die Frage, welches ihre Lieblingsnummer der bisher erschienenen Zeitschriften ist, zögert Ingke Brodersen kurz und antwortet dann:
"Also meine Lieblingsnummer ist, glaube ich, es gibt zwei, da könnte ich mich nicht entscheiden. Das eine ist das Heft Zukunft der Religionen und das andere ist das Heft Bildung. Und beide glaube ich, haben etwas sehr Originäres zu der Debatte beigetragen. Besonders in dem Heft Bildung wurde doch von mitteleuropäischer Seite ein Bildungsbegriff thematisiert, der eben nicht nur auf ein effizientes, erfolgsorientiertes Leben ausgerichtet ist, sondern geltend macht, dass das auch Niederlagen und das Scheitern beinhaltet und dieses auch im Bildungsbegriff verankert sein müsste." soweit die Chefredakteurin der Zeitschrift "Kafka".
Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich in 5 Sprachen: deutsch, tschechisch, ungarisch, polnisch und slowakisch. Bezogen werden kann sie bei den Goetheinstituten Prag, Warschau, Budapest und Bratislava oder direkt im Abonnement bei Goethe-Institut Inter-Nationes, Kennedyallee 91-103, in 53175 in Bonn. Das Jahresabonnement kostet 210 Kronen für Tschechien und 15 Euro für Deutschland. Und das war´s für heute, liebe Hörerinnen und Hörer. Am Mikrofon verabschieden sich Gerald Schubert und Martina Zschocke.