Jahr der Erinnerungen an die jüdischen Nachbarn / Hana Blochova und die Musikgruppe Floss Forum
Herzlich willkommen, verehrte Damen und Herren, zu einer weiteren Ausgabe von Regionaljournal. Es freut uns, dass sie mit uns wieder unterwegs in den Regionen sind. Heute laden wir sie aus besonderem Anlass unter anderem nach Jicin ein, einem Ort, in dem sich seine jetzigen Bewohner unlängst ihrer verschwundenen Nachbarn erinnert haben. Mehr erfahren Sie in den folgenden Minuten, zu denen ihnen Lothar Martin und Dagmar Keberlova guten Empfang wünschen.
In Tschechien haben vor kurzem mehrere Gedenkveranstaltungen zur Erinnerung an die Opfer des Holocausts stattgefunden. Des weiteren wird in Jicin, einer mittelgroßen tschechischen Stadt, der jüdischen Bürger gedacht, die in den Konzentrationslagern ums Leben gekommen sind. Und zwar das ganze Jahr über. Dieses Jahr laufen die Gedenkfeiern in Jicin unter dem Motto "Jahr der Erinnerungen an die jüdischen Nachbarn." Veranstalter ist die Bürgervereinigung "Basevi" mit Sitz in Jicin. Eine Reihe von Veranstaltungen haben schon im Januar stattgefunden, weil die meisten der im Zweiten Weltkrieg durchgeführten Transporte der dortigen Juden in die deutschen Konzentrationslager vor allem in diesem Monat erfolgt sind, sagte der Leiter der Bürgervereinigung Basevi, Jan Kindermann, in einem Gespräch für Radio Prag:
"Das Projekt heißt "Jahr der Erinnerungen an die jüdischen Nachbarn," aber der Höhepunkt der Veranstaltungen war jetzt im Januar, da die Transporte am 10. und 13. Januar 1943 erfolgt sind. Im Januar deshalb, um an die Ereignisse, die genau vor 60 Jahren passiert sind, zu erinnern."
Von den damals 300 jüdischen Einwohnern aus Jicin haben nur 17 die Nazilager überlebt. Im Jahre 1943 war die antijüdische Maschinerie auch in Jicin voll im Gange, erzählt mir Jan Kindermann, der die damaligen Ereignisse nur aus Erzählungen kenne, da er jetzt erst 35 Jahre alt sei. Die meisten Juden, die Anfang des Jahres 1943 deportiert wurden, sind zuerst nach Terezin/ /Theresienstadt geschickt. Der Transport verlief von Jicin über Mlada Boleslav nach Terezin und von dort gelangten die meisten dann nach Auschwitz, wo sie ums Leben kamen. Die Zahl von 300 Juden sei eine ungefähre Größe, fügte Herr Kindermann hinzu. Genauere Angaben könne man nicht machen, weil sich einige beispielsweise in Prag bei Familienagehörigen aufgehalten haben. Über die Veranstaltung, mit der die Gedenkserie eröffnet wurde, sagte uns Jan Kindermann von der Bürgervereinigung Basevi folgendes:
"Das Projekt begann am 9. Januar mit einer Vernissage unter dem Titel 'Verschwundene Nachbarn', die an ein weiteres Projekt des Jüdischen Museums in Prag anknüpft. Wir haben dieses Projekt hier vorgestellt und die hiesigen Schulen darin eingebunden. Ziel des Projekts ist es, dass Schüler nach den Schicksälen der Menschen forschen, die hier vor 60 Jahren gelebt haben und nach den Deportationen nicht mehr zurückgekommen sind."
Eine weitere Veranstaltung wird ein für die Geschichte nutzvolles Dokument hervorbringen. Jan Kindermann hat das Wort:
"Am 10. Januar wurden die Namen der Opfer des Holocausts auf eine Stoffrolle gedruckt, die auch künftigen Generationen gezeigt werden soll. Dieser Stoff soll dann in der Synagoge, die derzeit rekonstruiert wird, aufbewahrt werden."
Die Synagoge soll im Jahre 2004 fertiggestellt sein, was allerdings von den finanziellen Mitteln abhängt, fügt Jan Kindermann hinzu. Die dortige jüdische Gemeinde hat nach dem Zweiten Weltkrieg aufgehört zu existieren, denn nach den Nazis kamen die Kommunisten. Ihnen diente die Synagoge nach der kommunistischen Machtübernahme im Jahr 1948 beispielsweise als Kräuterlager. Die jüdische Gemeinde in Tschechien bekam sie nach langwierigen Gerichtsverhandlungen erst im Jahre 2001 zurück. Nach ihrer Rekonstruktion soll sie vor allem zu Kulturzwecken genutzt werden.
Des weiteren wurde zur Erinnerung an die Opfer der Transporte im Januar in der Bahnhofshalle von Jicin eine Gedenktafel enthüllt. Dort wurde auch eine Foto-Ausstellung des Pilsener Fotografen Radovan Kodet präsentiert, der Fotos von Orten gemacht hat, in die tschechische Juden im Zweiten Weltkrieg deportiert wurden. Des weiteren wurden Theaterstücke und Filme zur betreffenden Thematik aufgeführt und es wurden Vorträge abgehalten.
Nun wechseln wir sowohl die Region als auch das Thema. Aus Nordwestböhmen gehen wir nun in den Süden, in eine beliebte Stadt nicht nur der Tschechen, sondern auch vieler die Tschechische Republik besuchender Ausländer. Cesky Krumlov/Krummau muss man nicht weiter vorstellen, wahrscheinlich hat jeder bereits von dieser Perle Tschechiens gehört. Wir haben schon von Cesky Krumlov im Rahmen der Reihe der Tschechischen Inspiration berichtet, doch in dieser Stadt passiert so viel, dass es mit einer Sendung gar nicht getan ist. Heute wollen wir ihnen jedoch weniger die Stadt, sondern eine dort lebende Künstlerin vorstellen. Sie heißt Hana Blochova und hat in Cesky Krumlov eine Musikgruppe mit dem Namen Floss Forum gegründet, die gotische Musik spielt. Wie Frau Blochova in diese malerische Stadt gekommen ist, erzählt sie ihnen selbst:
"Ich bin im Jahre 1990 nach Cesky Krumlov gekommen, wo wir die gotische Musik allerdings schon längst gespielt haben. Ich habe festgestellt, dass hier auf diesem Gebiet noch niemand tätig ist. So habe ich im Jahre 1992 ein Festival der alten Musik entworfen und in diesem Juli wird bereits dessen 12. Jahrgang stattfinden. Die Stadt unterstützt das Festival, dass zum festen Bestandteil des Kultursommers in Cesky Krumlov geworden ist."
Frau Blochova war nicht immer Musikerin. Hier ihre, mit dem damaligen Regime zusammenhängende Geschichte:
"Ich war seit meiner Jugend hin- und hergerissen zwischen Musik und Kunstgeschichte. Aber damals, im kommunistischen Regime fand ich es komisch, meinen Lebensunterhalt mit Musik zu verdienen. Ich habe beispielsweise interessante Ausstellungen für die Nationalgalerie vorbereitet wie jene über den Magister Theodorikus. Als ich mich tiefer mit dem Mittelalter beschäftigte, erkannte ich, dass die Musik für mich dominant ist, und so habe ich mich zum Singen und für das Spielen von Instrumenten entschlossen. Und ich bin heute sehr froh darüber, weil es das ist, was mir am meisten Spaß macht."
Frau Blochova organisiert aber nicht nur dieses Festival, sondern auch eine Reihe von weiteren Veranstaltungen. So zum Beispiel "Kulinarische Weihnachten". Für das Weihnachtsfest im letzten Jahr haben sie diese gerade verpasst, aber vielleicht kann es auch ein guter Tipp für den nächsten Winterausflug nach Cesky Krumlov sein. Denn hören sie zu, was man alles nicht gekostet hat, wenn man nicht dort war:
"Kulinarisches Weihnachten ist eine Veranstaltung, die ebenfalls von der Stadt vorgeschlagen wurde. Wir schließen normalerweise unser Restaurant ´Zu den zwei Marien´ im Oktober, denn es ist ein Restaurant mit Sommerbetrieb. Um vor Weihnachten die Stadt zu beleben, haben wir die Veranstaltung ´Kulinarische Weihnachten´ ins Leben gerufen. Wir probieren verschiedene Spezialitäten aus und spielen dazu unsere Musik. Auf der Speisekarte stand letztes Jahr der "Schwarze Karpfen" oder auch "Kuba". Der schwarze Karpfen ist ein Karpfen, der mit einer Pflaumensoße, mit Nüssen und weiteren Zutaten serviert wird. Es handelt sich um eine altsüdböhmische Rezeptur. Kuba ist eine Art von Kuchen, gebacken aus Graupen mit Pilzen. Kuba hat man früher vor allem in armen Bergfamilien gegessen, quasi als ein Ersatz für Fleisch."
Sehr geehrte Damen und Herren, das war es schon wieder für heute. Danke, dass sie eingeschaltet haben. Auf einen nächsten Ausflug mit ihnen in die Regionen freuen sich Lothar Martin und Dagmar Keberlova.