Spaziergang durch die neuere Tschechische Lyrik: Die Dichter Petr Borkovec, Zbynek Hejda und Katerina Rudcenkova
Welche Zeit eignete sich besser für Lyrik als das Frühjahr? Unsere österliche Sondersendung soll aus diesem Grunde der Dichtung gewidmet sein. Martina Zschocke wird Ihnen heute drei tschechische Lyriker vorstellen, deren Bücher nicht nur preisgekrönt, sondern auch in den letzten beiden Jahren ins Deutsche übersetzt wurden. Freuen Sie sich auf einen Spaziergang durch die tschechische Gegenwartspoesie, der uns zu den Dichtern Petr Borkovec, Katerina Rudcenkova und Zbynek Hejda führen wird.
Ostern ist nicht nur seit Goethes "Osterspaziergang" mit der Poesie ganz besonders verbunden. Das erste Aufblitzen des Frühjahrs - liebe Zuhörer - ist wohl für die meisten mit frischem Grün, blühenden Bäumen, Spaziergängen in der Sonne, dem ersten Kaffee im Freien und einem Wiedererwachen der Sinne assoziiert. Dieses Wiedererwachen der Sinne wiederum führt uns schon auf lyrische Wege und Abwege und damit hin zu unserem heutigen Thema: Dichtung. In dieser Sendung möchte ich Ihnen drei Prager Poeten vorstellen, deren Bücher in den letzten beiden Jahren auch in Deutsch erschienen: die beiden jungen Dichter Petr Borkovec und Katerina Rudcenková und den fast zwei Generationen älteren Zbynek Hejda. Auch wenn alle drei eher weit vom österlichen Erlösungs-Gedanken entfernt scheinen - sie beschwören keinerlei Idylle, keine überhöhten Welten - haben sie doch eine ganz eigene Poesie in ihrer Sicht auf die Dinge. Bei Zbynek Hejda stehen die Themenkreise Erotik und Tod im Mittelpunkt, bei Petr Borkovec die Ränder der Stadt und des Alltags und bei Katerina Rudcenkova die Verschränkung von Liebe, Sehnsucht und Einsamkeit. In der Spanne zwischen Lust und Schmerz, Endlosigkeit und Vergänglichkeit entwickelt sich die Poesie. Auch und insbesondere im Oszillieren zwischen Innen- und Außenraum, dessen Schnittstelle bei Borkovec beispielsweise das Fenster, bei Rudcenkova - noch dichter - die Haut ist.
Besuchen wir als Erstes Petr Borkovec, der in seinem Gedicht "Hand, Himmel, Treppe" ganz deutlich Innen- und Außenraum in Bezug setzt.
Endloser Wechsel von Fenstern und Spülen, goldener Fenster und silberner Spülen, die Augen am Glas, die Hand unter dem Wasser. Hier haben die Dächer keinen Feind; Jetzt am Abend, wenn sie faul in den Sonnenstreifen Ihren Fang vom Nachmittag verdauen, verschnaufen Portale, Gesimse, Fenster und Treppen, schwärmen aus zu ihrer Mäusearbeit, bewahren flink und genau ihr Geschlecht. Und die Turmfalken ringsum versuchen sich zweistimmig, kommen über die erste Strophe nicht hinaus. Die Hand im heißen Wasser schwillt an und wird weich, so wie der Himmel kurz darauf. Sie hörten ein Gedicht aus dem Band "Polní Prace" ("Feldarbeit") von Petr Borkovec. Für diesen Band, der vor zwei Jahren in der deutschen Übersetzung in der Edition Korrespondenzen erschien, erhielt er den Hubert-Burda-Preis und den Norbert-C.-Kaiser Preis. Zu diesem Buch interviewte ich Petr Borkovec und seine Übersetzerin Christa Rothmeier. Zunächst interessierten mich die Haupt-Themen des vorliegenden Buches:
"Zwei Hauptmotive kann man aber schon feststellen. Eines ist das eheliche Zusammenleben am Rande der Stadt. Diese Peripherie oder dieser Stadtrand hat aber einen besonderen Charakter, denn dieses Cernosice, wo ich wohne, ist ein berühmter Villenvorort. Aber nach dem Krieg ist er sehr herunter gekommen. Das war formal bestimmend, nämlich für die Form dieser fragmentarisierten Sonette. Das zweite Hauptmotiv ist ein Zyklus von Zimmergedichten, wo die Dinge registriert werden."
Borkovec versteht sein Handwerk und wendet mit Vorliebe tradierte dichterische Formen wie das Sonnett an, was aber mit pointiert eigener Stimme geschieht. Er begreift seine Gedichtbände als Zyklus, der innerhalb eines längeren Zeitraumes entstanden ist. Was ist nun die Hauptmotivation dieser Gedichte generell?
"Die Hauptinspiration, warum er das geschrieben hat, war, dass die Generation vor der Generation seiner Eltern weggegangen ist, nämlich durch den Tod verschwunden ist und damit sind ihm diese Räume abhanden gekommen. Und dieser Zyklus bewahrt diese Räume und ist gleichzeitig ein Zeugnis von der Bemühung, wie man so etwas künstlerisch aufbewahren kann."
Zu diesen bewahrenswerten Räumen gehört vor allem das Dorf Lounovice pod Blaníkem in Mittelböhmen, in dem er 1970 geboren wurde. Inzwischen lebt er in Cernosice am Stadtrand von Prag. Petr Borkovec arbeitet als Dichter, Übersetzer und Kulturredakteur. Von ihm erschienen bereits fünf Gedichtbände, der sechste ist in Vorbereitung. Für "Ochoz", sein 1994 in Tschechisch erschienenes Buch erhielt er den Jiri-Orten-Preis. Auf Deutsch erschienen die Auswahlbände "Aus drei Büchern" (1995) und "Überfuhr" (1996) in der österreichischen Edition Tannhäuser und der neue Band "Feldarbeit" in der Edition Korrespondenzen.
Auch Zbynek Hejda bewahrt in seinem, im letzten Jahr in Deutsch erschienenen, Doppelband "Valse mélancolique" und "Lady Feltham" Erinnerungen an seine Eltern und die Räume seiner Großeltern. Bei Hejda ist dieser Ort Horní Ves, ein Dorf auf der Böhmisch-Mährischen Höhe, in dem er auch selbst lebt, wenn er sich nicht in Prag aufhält. Zbynek Hejda erinnert darüber hinaus in diesem Doppelband seiner vielfältigen Lieben. Zbyn"k Hejda wurde 1930 in Hradec Kralove geboren. Er studierte Philosophie und Geschichte an der Karlsuniversität. Seine spätere Tätigkeit als Verlagsredakteur fand zeitgleich mit dem Prager Frühling ein vorzeitiges Ende. Daraufhin arbeitete er bis 1977 in einem Antiquariat. Durch seine Unterschrift unter der Charta 77 verlor er auch diese Stelle und schlug sich danach bis zur Samtenen Revolution als Hausmeister durch. Die faszinierende Welt seiner Gedichte wurde - durch ein mehr als zwanzigjähriges Publikationsverbot - auf im Untergrund verlegte Samisdat-Bände reduziert. Doch bereits in Samisdat-Kreisen avancierte er zur Kultfigur. 1988 erhielt er den renommierten "Preis der Revolver Revue". 1996 wurde ihm dann auch der "Jaroslav-Seifert-Preis", eine der höchsten literarischen Auszeichnungen Tschechiens verliehen, was sein Lebenswerk - nach den Jahren des verordneten Schweigen - schließlich krönte. Im letzten Jahr erschien die deutsche Ausgabe der beiden Gedichtbände "Lady Feltham" und "Valse mélancolique" in einem Buch. Das Buch besteht aus einer dichten Folge von Gedichten und Traumprotokollen. "Valse mélancolique" ist seine unsentimentale, doch brilliante Lebensbilanz und "Lady Feltham" kreist um ein Liebeserlebnis während einer Englandreise im Jahr 1969. In beiden Bänden trifft die erfrischend direkte Beschreibung erotischer Begegnungen mit sarkastischer Weisheit zusammen. Das Unbewusste - dem vor allem in Form prosaischer Traumsequenzen Raum gegeben wird - und das mehr als Bewusste, ergänzen sich auf kreuzfidele Weise.
Hören Sie jetzt ein Gedicht, das Hejda seiner aus Südfrankreich stammenden Frau Suzette widmete:
POUR S. Thymian wächst dort Und reglos mächtig trotzen die Pinien der Sonne und kerzengerade Zypressen. Und ein hoher klarer Himmel wie an einem Sonntag und oben in den Bergen Garrigue, und der Rest eines Mäuerchens, angeblich gab es dort einmal Weingärten. Wir stiegen zu den schon baufälligen Häuschen hinauf am Abhang der Weinberge. Früher verbrachten die Winzer mit ihren Familien dort die Sonntagnachmittage und schauten über das Tal in Richtung St. Doisny oder St. Come oder dorthin, wo Caveirac ist. Ein Tal namens Vaunagne.
Was weiß ich schon von deiner Heimat. Hier ist dir kalt. Einmal bist du voll Angst erwacht, voll Angst Du würdest hier sterben. Dort ist ein hoher, unendlich hoher Himmel, so wie hier manchmal - so selten - zu Ostern.
Und das Meer, das mir fremd und fern ist, das Meer besitzt dich.
Und hier Nebel, Nebel und Rauch.
Und an den Feiertagen laufen dort in den Gassen Stiere, taureaux, herum.
Und biblische Olivenhaine gibt es dort, Sommer und Winter silbergrün.
Hier ist es kalt, und was bin ich dir?
"Lady Feltham" und "Valse mélancholique" erschienen im vergangenen Jahr in einem schön gestalteten zweisprachigen Band der Wiener Edition Korrespondenzen. Bereits dessen äußere Aufmachung besitzt sinnliche Qualitäten und zeigt, dass sich hier Inhalt und Form auf höchst dankenswerte Weise verbinden.
Der letzte Teil unseres lyrischen Spazierganges führt uns zu Katerina Rudcenková, der Jüngsten der heutigen Runde. Rudcenkova wurde 1976 geboren und schloß zwei ziemlich unterschiedliche Studien ab: einerseits Liedtext und Drehbuch am Jaroslav-Jezek-Konservatorium und andererseits Agrardiplomatie an der Hochschule für Agrarwesen. Rudcenkova lebt in Prag und arbeitet als Redakteurin beim Kultur- und Gesellschaftsmagazin "Dobra adresa" und als Korrektorin bei der Gesundheitszeitung "Zdravotnické noviny". Von ihr erschienen bisher zwei Lyrikbände. Der erste "Ludwig" inspiriert von Thomas Bernhards Stück "Ritter, Dene, Voss" erschien 1999, der zweite "Není nutne, abyste me navstevoval" (Nicht nötig, dass sie mich besuchen) erschien im Jahr 2001. Aus diesem Band wurden einige Gedichte ins Deutsche übersetzt und erschienen im vergangenen Jahr in der Edition Zwei des Klagenfurter Wieser-Verlages. Für diese Buch wird Katerina Rudcenková im Juni den Hubert-Burda-Preis für junge osteuropäische Literatur erhalten. Hören Sie Näheres zu diesem Buch von Katerina Rudcenková:
"Nicht nötig mich zu besuchen ist ein zweisprachiges Buch - Tschechisch und Deutsch - und es ist eine Auswahl aus Gedichten meines zweiten Buches, die von Christa Rothmeier und ihrer Tochter Julia Hansen-Löve übersetzt wurden."
Hören Sie daraus zum Abschluß einen Ausschnitt:
"Ja, ich wohne in einem Klavier, aber nicht nötig, mich zu besuchen."
Ich hoffe, Sie haben diesen kurzen Spaziergang durch die aktuelle tschechische Lyrik genossen. Vielleicht finden Sie ja über die Osterfeiertage ein paar Minuten Zeit, um mit einem Gedichtband und einem Glas Wein in der Abendsonne zu sitzen und über die Stadt zu schauen. Poetische Ostern wünscht Ihnen Martina Zschocke und bedankt sich herzlich fürs Zuhören.