80 Jahre Tschechischer Rundfunk - 1. Teil

80 Jahre Tschechischer Rundfunk

Am 18. Mai feiert der Tschechische Rundfunk seinen 80. Geburtstag. Bei den Feiern darf Radio Prag natürlich nicht fehlen. Im nun folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte wirft Katrin Bock einen Blick auf die 80jährige Geschichte des Tschechischen Rundfunks.

Am 18. Mai 1923 meldete sich das erste Mal der Prager Rundfunksender Radiojournal. Die Geburtsstunde des Tschechischen bzw. Tschechoslowakischen Rundfunks hatte geschlagen. Im Frühjahr 1923 hatten der Ingenieur Edvard Svoboda und der Journalist Miroslav Ctrnacty gemeinsam mit der Firma Radioslavia, die Rundfunkempfänger herstellte, die "Gesellschaft mit beschränkter Haftung Radiojournal" gegründet. Diese erhielt als erste eine Lizenz für die Ausstrahlung von Rundfunksendungen. Das Radiojournal war nach der BBC der zweite Sender in Europa, der regelmäßig sendete. Im Laufe der Jahrzehnte war der Prager Rundfunk nicht nur Übermittler schlechter und guter Nachrichten, wiederholte Male stand das Rundfunkgebäude und mit ihm der Sender im Mittelpunkt der Ereignisse. Grund genug also, einen Blick auf die nun mehr 80jährige Geschichte des Tschechischen Rundfunks zu werfen. Im heutigen Geschichtskapitel erfahren Sie zunächst mehr über die Anfänge in den 20er und 30er Jahren.

Bereits 1919 wurde in Prag der erste Versuch gestartet, gesprochene Worte und Musik mit Hilfe von Militärsendern zu übertragen. Einige Jahre experimentierte man weiter, bis es im Mai 1923 ernst wurde. Edvard Svoboda, der erste Direktor des Radiojournals, wie der Tschechoslowakische Rundfunk bis 1938 hieß, erinnert sich in einer Rundfunksendung an diese Anfänge:

" Damals existierten keinerlei gesetzliche Regelungen über Rundfunksendungen. Im Grunde genommen haben wir schwarz gesendet. Das Post- und Telegraphenministerium hatte uns für unsere Versuche eine Radiotelegraphenstation in Kbely zur Verfügung gestellt. Tagsüber diente diese zur Vermittlung von Telegrammen im Morsealphabet, abends verwandelte sich der Sender in unsere Sendestation. Als Mikrophon diente zunächst ein etwas umgebauter Telefonhörer."

Das Studio war am Anfang in einem Zelt untergebracht, das neben der Telegraphenstation stand. Der erste Techniker des Radiojournals, Karel Konicek, beschrieb in einer Rundfunksendung die Arbeitsbedingungen wie folgt:

"Ungefähr 10 Meter neben der hölzernen Sendestation stand das Zelt, in dem unser Studio untergebracht war. Zur Ausstattung gehörten ein paar Holzkisten, über die wir bei starkem Regen gingen, zwei Stühle und ein geliehenes Klavier. Bei starkem Wind musste jeder, der gerade freie Hände hatte - sei er Künstler oder nicht - das Zelt halten, damit es nicht wegflog. Manchmal mussten Musik liebende Hunde verscheucht werden, die neben dem Zelt jaulten und bellten. Auf dem Studioboden, der aus grünem Gras bestand, wuchsen recht gute, essbare Pilze. Als das Wetter im Herbst schlechter wurde, zogen wir in die Holzhütte des Senders um. Das war ein Luxus-Studio, in dem sogar ein Konzertflügel Platz hatte. Wir konnten endlich gerade stehen."

Zu Beginn bestanden die regelmäßigen Rundfunksendungen zum größten Teil aus Musik - da diese live aus dem Studiozelt übertragen wurde, handelte es sich zumeist um Trios oder Duos wie im eben gehörten Fall. Noch befand sich der Rundfunk in seinen Kinderschuhen. Niemand hatte ein Radio zu Hause. So erfolgten die ersten Übertragen in ein Kino oder Konzertsaal, wo die Zuhörer zum Teil ungläubig dem technischen Wunder lauschten. Wer einen Rundfunkempfänger zu Hause haben wollte, musste einen entsprechenden Antrag im Post- und Telegraphenministerium stellen. Im September 1923 wurden die ersten Lizenzen vergeben, im November hatte das Radiojournal 37 zahlende Konzessionäre. Reklame musste gemacht werden, denn die Konzessionäre sollten den Betrieb des Senders finanzieren. Bis Ende 1924 wurden weitere 219 Lizenzen verteilt - ohne Frage, Rundfunk war damals eine teure Sache, die sich nicht jeder leisten konnte. Doch mit der Erweiterung des Programmangebots stieg die Zahl der Konzessionäre steil an. Im Herbst 1925 besassen bereits über 17.000 eine Lizenz, 1929 waren es 270.000 und 1937 wurde schließlich die Millionengrenze erreicht. Der Rundfunk erfüllte nun seine Rolle als wichtigste und schnellste Informationsquelle.

Über ein Jahr sendete der Rundfunk aus der Station in Kbely. Ende 1924 zog er in die damalige Foch-Straße Nr. 58 um - die heutige Vinohradska - Strasse. Bis der Sender in sein heutiges Gebäude in der Vinohradska Nr. 12 umzog vergingen weitere neun Jahre - und drei Umzüge. Die ersten Jahre wurde auf Langwelle gesendet. Als Rundfunkempfänger wurden nur solche zugelassen, die das Post- und Telegraphen Ministerium gebilligt hatte. Und mit diesen konnte man nur das Programm des Radiojournals empfangen. Zunächst wurde täglich nur eine Stunde am Abend gesendet, doch bald wurde das Programm erweitert: neben Musikübertragungen wurden Sportnachrichten aus aller Welt, Börsennachrichten sowie Nachrichtensendungen ausgestrahlt. Der erste Techniker des Radiojournals Karel Konicek beschrieb, wie diese Nachrichtensendungen damals entstanden:

"Unsere erste Sprecherin und später auch unser Sprecher kauften sich in Prag die Abendzeitungen und Tagespresse. Aus diesen suchten sie sich Meldungen aus, die sie dann als Nachrichten des Radiojournals vorlasen."

Da hat sich doch einiges verändert in den letzten 80 Jahren!

Die Betreiber des Radiojournals bewegten sich damals auf Neuboden - lange wurde deshalb über den Sinn und Zweck des Rundfunks diskutiert. Einig war man sich darin, dass er zur Bildung des Volkes beitragen sollte. Mit der schrittweiten Erweiterung des Programms wurden nicht nur Märchen für Kinder, sondern auch regelmäßige wissenschaftliche Vorlesungen ausgestrahlt. Der erste Programmdirektor des Radiojournals, Milos Ctrnacty führte einen Kampf um das musikalische Niveau des Senders. In der seit 1925 erscheinenden Programmzeitschrift forderte Ctrnacty unter anderem:

"Das Radiojournal möchte seinem Programm einen eigenen Charakter verleihen, der dem kulturellen Erbe unseres Volkes entspricht. Während die deutschen Sender ihren Zuhörern Foxtrott und Shimmy von Grammophonplatten vorsetzen, schließt das Radiojournal diese vollkommen aus und bietet seinen Zuhörern echte kulturelle Erlebnisse auf hohem Niveau. Dem Rundfunk ist es vorbestimmt, eine erzieherische Aufgabe zu erfüllen und in die entlegensten Dörfer gute Musik zu bringen, und sozusagen auch dort Opern - und Konzertbesuche zu ermöglichen. Der Rundfunk steht nun am Scheideweg - entweder er wird zum Verbreiter von Nachrichten und billiger Volksunterhaltung und erfüllt seine Aufgabe wie ein Kino, oder er begibt sich auf einen weitaus schwierigeren, aber verdienstvolleren Weg und wird zu einer Plattform der Kunst."

Nun, der Programmdirektor verlor seinen Kampf, bald wurden nicht nur Opern und klassische Konzerte ausgestrahlt, sondern auch damals populäre Musik, sowie Blas- und Tanzmusik. Auch Grammophonplatten erreichten das Studio des Radiojournals.

Die Prager Techniker experimentierten stets mit den Möglichkeiten des Rundfunks. 1925 wurde im Prager Stadtteil Strasnice ein neuer Sender eingeweiht, der erste reine Rundfunksender. Kurz darauf erfolgte die erste Direktübertragung aus dem Prager Nationaltheater - Smetanas Oper "Die zwei Witwen" wurde landesweit live ausgestrahlt. 1926 war die erste Live-Fußballübertragung zu hören. Dabei handelte es sich um die erste ihrer Art in Europa. Im September 1926 klappte die erste internationale Übertragung. Die Rede des Außenministers Edvard Benes vor dem Völkerbund in Genf wurde live im Radiojournal übertragen - dies öffnete der internationalen Zusammenarbeit die Tore. Bis Ende 1926 war der Rundfunk nicht nur mit dem Nationaltheater und den wichtigsten Konzertsälen in Prag verbunden, sondern auch mit dem Parlament und der Prager Burg. Von hier übertrug das Radiojournal eine Rede, die Präsident Tomas Masaryk zum 10. Geburtstag der Tschechoslowakei am 28. Oktober 1928 hielt.

Der Rundfunk war inzwischen überall dabei - bei wichtigen politischen Ereignissen, bei Sportveranstaltungen, bei Konzerten und in der Oper - die Rolle und Bedeutung des Radiojournals wuchs beständig. Kein Wunder, das aufgrund seiner Monopolstellung der Rundfunk bald eine neue Aufgabe erhielt: eine politische. In Deutschland hatte Hitler die Macht ergriffen, ein Krieg schien immer wahrscheinlicher. Am 31. August 1936 startete das Radiojournal seine regelmäßigen Auslandssendungen - Radio Prag feierte seine Geburtsstunde. Der Propaganda des Dritten Reiches wurde nun gekontert - doch vergebens. Im Frühjahr und Herbst 1938 spielte das Radiojournal eine große Rolle für die Regierung. Die allgemeine Mobilmachung wurde über den Rundfunk ausgestrahlt und erreichte so sofort Millionen. Im September 1938 lauschten die Tschechen und Slowaken im Radio den Verhandlungen über das Sudetenland.

Die Münchner Konferenz im September 1938 war das erste große, internationale Ereignis, über das Rundfunkstationen aus ganz Europa und den USA berichteten. Auch das Radiojournal hielt seine Zuhörer damals auf dem Laufenden. Angesichts der zunehmenden Gefahr und der fortschreitenden Kriegsvorbereitungen wurde das Radiojournal als ein für die Verteidigung des Staates wichtiges Unternehmen klassifiziert und direkt dem Verteidigungsministerium unterstellt. Am 28. Dezember 1938 erhielt das Radiojournal einen neuen Namen: Tschechoslowakischer Rundfunk GmbH. Diesen trug es jedoch nur zweieinhalb Monate. Mit dem Beginn des Protektorats Böhmen und Mähren am 15. März 1939 endete nicht nur die Existenz des Tschechoslowakischen Staates sondern auch des Rundfunks. Doch dazu mehr im nächsten Geschichtskapitel in zwei Wochen. Auf Wiederhören für heute sagt Katrin Bock.