Alle Jahre wieder: Die "Sommerschule für slawische Studien"

Die Sommerschule für slawische Studien an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Prag, Foto: http://lsss.ff.cuni.cz

Dieser Tage beginnt an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Prag, wie jedes Jahr Ende Juli, wieder die sogenannte Sommerschule für slawische Studien. Dabei handelt es sich um ein überaus traditionsreiches und renommiertes vierwöchiges Studienprogramm, das jedes Jahr von etwa 200 Studenten aus aller Welt absolviert wird. Inhaltlich besteht es in erster Linie aus tschechischem Sprachunterricht, jedoch kommen auch andere Aspekte wie etwa Geschichte und Kultur des Landes nicht zu kurz. Gerald Schubert berichtet im folgenden Schauplatz.

Am letzten Freitag im Juli reisen alljährlich etwa 200 überwiegend junge Menschen nach Prag, um tschechisch zu lernen oder ihre bereits vorhandenen Sprachkenntnisse zu verbessern. Sie kommen buchstäblich aus aller Welt, und ihre Motivationen, sich mit dem Tschechischen auseinander zu setzen, sind großteils ganz unterschiedlicher Natur. Die meisten der Angereisten sind sogenannte interne Teilnehmer. Das heißt, sie quartieren sich in einem Studentenheim im 6. Prager Stadtbezirk ein, wo es bereits am ersten Abend Gelegenheit gibt, einige Bekanntschaften zu schließen. Der nächste Tag, also der Samstag, ist dann aber stets erst der richtige Startschuss für die sogenannte Letni skola slovanskych studii, also die Sommerschule für slawische Studien. Da steht dann morgens zunächst ein festliches Eröffnungskonzert in der Spiegelkapelle des Prager Klementinums auf dem Programm, und danach gibt es im Gebäude der philosophischen Fakultät am Moldauufer einen großen Einstufungstest, mit dessen Hilfe die Studentinnen und Studenten später von den Organisatoren in die passenden Gruppen eingeteilt werden. Abends findet dann im Speisesaal des Studentenheims eine kleine Feier statt, bei der man einander kennenlernt, und die nach dem sozusagen offiziellen Programm nicht selten noch mit einem Streifzug durch das nächtliche Prag abgeschlossen wird - gemeinsam mit den neuen, soeben gewonnenen Bekanntschaften.

Eine nähere Beschreibung der Letni skola slovanskych studii und ihres durchaus gewissen Veränderungen unterliegenden Teilnehmerkreises bietet uns Herr Dr. Jiri Pesicka, der seit vielen Jahren an dieser Institution unterrichtet:

"Die Letni skola slovanskych studii, also die Sommerschule für slawische Studien, ist eine regelmäßige Aktion, die jedes Jahr im August in Prag stattfindet. Sie hat eine schon ziemlich lange Tradition, wir können schon einige Dekaden Zeugen dieses Unternehmens sein. In diesem Jahr verwirklicht sich der 47. Jahrgang der Sommerschule. Welchen Zweck hat die Sache eigentlich? Sie dient vor allem den Leuten, die als Hauptobjekt ihres Interesses die tschechische Sprache haben. Also vor allem Lehrern, die Tschechisch unterrichten, und Studenten, die Tschechisch lernen. In letzter Zeit kann man aber auch spüren, dass nicht nur Leute, die diese Orientierung haben, sondern auch Leute aus praktischeren Sphären des Lebens zu uns kommen. Denn die internationalen Kontakte, die Kontakte mit der Welt, haben sich doch nach der Samtenen Revolution sehr ausgeweitet und haben eine neue Qualität gewonnen. Es kommen daher nun auch Leute etwa aus der Sphäre der Ökonomie, die ebenfalls Interesse haben, ihre Tschechischkenntnisse zu verbessern. Auch ihnen kann dieser Kurs ganz gut dienen."

Die Kursstufen auf der Sommerschule entsprechen selbstverständlich den verschiedenen Niveaus der Teilnehmer. Die Anfängergruppen und die Gruppen für mäßig Fortgeschrittene sind dabei auch noch nach Herkunftsländern respektive Muttersprachen unterteilt, in den höheren Kursstufen ist dies dann freilich nicht mehr so. Denn die Unterrichtssprache selbst ist dort bereits Tschechisch.


Zusätzlich zum Sprachunterricht, der natürlich das ganze Spektrum von Grammatik, Wortschatzübungen, Lesen von Texten und Konversation umfasst, gibt es, hauptsächlich für Teilnehmer mit besseren Sprachkenntnissen, auch Vorlesungen über tschechische Geschichte, Kultur, aktuelle politische Probleme usw. Einige dieser Vorlesungen werden dabei stets auf englisch oder deutsch gehalten, eben um auch Anfänger ansprechen zu können.

Am frühen Nachmittag endet dann stets das offizielle Kursprogramm an der Universität. Die Organisation der Letni skola ist da aber höchstens erst bei der Hälfte des täglichen Programmablaufs angekommen. Jiri Pesicka:

"Was dann am Nachmittag und am Abend geschieht, das beruht ganz auf fakultativer Basis. Es sind dies etwa Spaziergänge durch Prag, meistens verbunden mit heimatkundlicher Erklärung, oder zum Beispiel Vorführungen von tschechischen Filmen oder Kostproben aus der tschechischen Musik. Sehr beliebt ist auch das, woran ich selbst aktiv teilnehme, und zwar die Singabende. Wir singen dort Volkslieder, und auch andere populäre Lieder. Die Atmosphäre dort ist ganz ungezwungen, und es können gute und warme Kontakte zwischen Menschen entstehen."

Bei der Letni skola slovanskych studii handelt es sich, wie eingangs erwähnt, um eine sehr traditionsreiche Institution; dieses Jahr wird bereits der 47. Jahrgang abgehalten. Während der kommunistischen Herrschaft in der ehemaligen Tschechoslowakei hatte die Letni skola, was die Freiheit der Lehre und die herrschende Atmosphäre betrifft, wohl etwas janusköpfiges an sich. Denn einerseits bedeutete die Zusammenkunft von Menschen aus aller Welt an der Prager Universität dort an sich schon einen ansonsten relativ ungewohnten Freiraum, innerhalb dessen natürlich Kontakte geknüpft werden konnten, die für gewöhnlich nicht so leicht anzubahnen waren. Andererseits aber stand die Institution gerade deshalb auch unter aufmerksamer Beobachtung der Machthaber. Jiri Pesicka erzählt von einem Vorfall, der damals bei den Verantwortlichen so ganz und gar keinen Gefallen gefunden hatte:

"Ich persönlich erinnere mich zum Beispiel an eine Affäre mit einem amerikanischen Studenten, kurz nach dem Abschluss der Sommerschule - ich glaube, es war im Jahre 1977. Er ist Ende August, Anfang September direkt von hier nach München gefahren, hat dort den Sender Radio Freies Europa kontaktiert und über das Geschehen hier in Prag berichtet. Das war damals eine ziemlich heiße Affäre."


Die Geschichte aber endete freilich nicht mit der Samtenen Revolution des Jahres 1989. Man braucht nur in das vergangene Jahr zurückzublicken, um die Letni skola wieder in einer schwierigen Situation zu finden: Denn die verheerenden Überschwemmungen im vorigen August blieben natürlich auch für sie nicht ohne Auswirkungen:

"In den schwersten Tagen des Hochwassers mussten wir den gesamten Unterricht im Studentenwohnheim organisieren. Von den Teilnehmern wurde das alles aber eigentlich sehr vernünftig aufgenommen. Wir hatten zunächst Angst gehabt, dass sie abgeschreckt werden, dass sie Prag vorzeitig verlassen. Aber eigentlich gab es keine solchen Fälle."

Die meisten Hochwasserschäden in Prag sind mittlerweile längst beseitigt. Einem gelungenen Jahrgang der aktuellen Letni skola slovanskych studii sollte also nichts im Wege stehen.

Mittlerweile sind sie ja alle wieder angereist, die Studentinnen und Studenten aus der ganzen Welt. Radio Prag wünscht den Organisatoren einen erfolgreichen Jahrgang. Und den Teilnehmern, denen wünschen wir gleich drei Dinge: Gute Lernerfolge, vier schöne Wochen in der tschechischen Hauptstadt, und - denen, die das wollen - viele neue Bekannte.