Der 1. Mai 2004 - ein ganz gewöhnlicher Tag: Der sächsische Staatsminister Stanislaw Tillich spricht in Prag über Sachsens Europapolitik

Stanislaw Tillich (Foto: www.bundesrat.de)

Anknüpfend an den Besuch des tschechischen Premiers Vladimir Spidla in Sachsen in der vergangenen Woche traf am Dienstag der Leiter der sächsischen Staatskanzlei und ehemalige Europaminister Sachsens, Stanislaw Tillich, in Prag mit Vize-Außenminister Jan Kohout zusammen. Silja Schultheis nutzte diese Gelegenheit, um sich mit Tillich über die gegenwärtige Stimmung in Sachsen vor dem tschechischen EU-Beitritt sowie die Prioritäten der sächsischen Europa-Politik nach Mai 2004 zu unterhalten.

Tillich:

"Es gibt durchaus ein flaues Gefühl bei großen Teilen der Bevölkerung: Was wird ihnen dieser 1. Mai 2004 für Veränderungen bringen? Mittlerweile macht sich mehr oder weniger auch die Erkenntnis breit, dass das ein Prozess ist, dass am 1. Mai nicht etwas Einschneidendes passieren wird, wie etwa bei der Einführung der D-Mark, sondern dass das vielmehr ein ganz normaler Tag sein wird."

Der 1. Mai 2004 - ein ganz normaler Tag. Diese Botschaft bemüht sich die sächsische Regierung ihren Bürgern nahe zu bringen, um überflüssigen Befürchtungen den Nährboden zu entziehen. Der politischen Elite Sachsens ist die Pflege enger Beziehungen zu den östlichen Nachbarländern ein wichtiges Anliegen, gleichwohl, so räumt Stanislaw Tillich ein, lassen sich die Befürchtungen in der Bevölkerung bezüglich der bevorstehenden EU-Erweiterung nicht so einfach vom Tisch wischen:

"Es gibt natürlich schon das Gefühl, dass es zu mehr Wettbewerb führen wird. Und da sind natürlich diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, auch unsicher: Werden sie ihren Arbeitsplatz behalten? Die anderen, die jetzt keine Arbeit haben, wissen nicht, ob sie sich dann im Wettbewerb um den einen freien Arbeitsplatz gegenüber Tschechen und Polen werden behaupten können. Ich glaube, da gibt es auch einen gewissen Teil Unwissenheit. Und das ist auch die Aufgabe der Politik, hier entsprechende Informationen bereit zu stellen. Bei denjenigen, wo wir durch Umfragen festgestellt haben, dass sie sich gut informiert fühlen, ist auch die Angst am Geringsten."

Nach den Eckpfeilern der sächsischen Europa-Politik im erweiterten Europa gefragt, hebt Stanislaw Tillich ein weiteres Datum hervor, das neben dem Beitritt zehn neuer Staaten im Mai 2004 für Sachsen von Bedeutung ist: Die Neufestlegung der Strukturpolitik in der Europäischen Union im Jahre 2006. Hier hofft Sachsen sehr darauf, dass es nicht zu einem abrupten Ende der bisherigen Förderungen kommt.

"Und zum zweiten ist für uns natürlich eines der wichtigsten Vorhaben in Zusammenarbeit mit unserem polnischen und tschechischen Nachbarn, dass wir es schaffen, aus diesem eingeklemmten Dreieck, in dem wir uns z.Zt. befinden - zwischen Tschechien und Polen -, einen gemeinsamen prosperierenden Wirtschafts- und Lebensraum zu machen, der attraktiv ist für ganz Europa."

Der tschechische Vize-Außenminister Jan Kohout hob in diesem Zusammenhang nach dem Gespräch mit Tillich einen ganz praktischen Aspekt des künftigen sächsisch-böhmischen Wirtschafts- und Lebensraumes hervor: Nach dem tschechischen EU-Beitritt könnten tschechische Ärzte die Möglichkeit haben, in Sachsen eine Beschäftigung zu finden - und zwar vor allem in den landwirtschaftlich geprägten Regionen, wo es an Ärzten mangele. Bereits im vergangenen Jahr hatte die sächsische Sozialministerin von der Möglichkeit gesprochen, dass Ärzte aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten das Fachpersonal ersetzen könnten, das von Sachsen in den westlichen Teil der Bundesrepublik abwandert.