Neue Plattform: Deutsch-Tschechisches Parlamentarierforum will bilateralen Austausch aufrechterhalten

Bundestag

Der Abgeordneten Olga Richterová (Piraten) gehört eine jener Stimmen in Tschechien, die die Wiedereinrichtung einer Deutsch-Tschechischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag fordern. Denn derzeit ist der Austausch in Berlin mit den Kollegen des Nachbarlandes nicht mehr bilateral, sondern in einer gemeinsamen Gruppe mit der Slowakei und Ungarn organisiert. Und erschwerend kommt für die tschechische Seite hinzu, dass der Vorsitz der Vier-Länder-Gruppe bei Petr Bystron von der AfD liegt. Weil die Aktivitäten derzeit brach liegen, hat Mitglied Jörg Nürnberger (SPD) mit dem Deutsch-Tschechischen Parlamentarierforum eine neue Gesprächsplattform gegründet.

Jörg Nürnberger | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

„Unsere Länder sind sich sehr nah. Wir sind Nachbarn, und Tschechien hat sogar – das ist nicht überall bekannt – die längste gemeinsame Grenze mit Deutschland. Deutschlands Nachbar mit der längsten gemeinsamen Grenze ist also Tschechien.“

Dies sei ein guter Grund, warum im Bundestag wieder eine eigenständige Deutsch-Tschechische Parlamentariergruppe entstehen sollte, meint Olga Richterová (Piraten) im Gespräch mit Radio Prag International. Eine solche gab es seit der Trennung der Tschechoslowakei in zwei Staaten auch früher, ebenso wie eine Deutsch-Slowakische Gruppe. Aber im Oktober 2017 wurde die Zahl von insgesamt 54 Parlamentariergruppen im deutschen Parlament aus Kostengründen auf 47 verringert – und Tschechien erneut mit der Slowakei und nun auch mit Ungarn zusammengefasst.

Mit allen anderen Nachbarstaaten außer Luxemburg und Belgien pflegen die deutschen Parlamentarier ihren Austausch in bilateralen Freundschaftsgruppen. Jan Berki (Bürgermeisterpartei Stan), der wie Richterová im tschechischen Abgeordnetenhaus sitzt und sich in den tschechisch-deutschen Beziehungen engagiert, findet die aktuelle Aufteilung ebenfalls wenig nachvollziehbar:

„Ich muss zugeben, dass ich die Motivation nicht ganz verstehe, warum sich im Bundestag für eine tschechisch-slowakisch-ungarische Gruppe entschieden wurde. Es wäre verständlich, wenn die Standpunkte und Probleme der drei Staaten ähnlich wären und eine gemeinsame Wirkung hätten. Dies trifft aber nach den letzten Wahlen in der Slowakei nicht zu. Daher ergibt es nicht viel Sinn, einen Austausch zu haben, der auf der einen Seite aus den Abgeordneten des Bundestages besteht und auf der anderen Seite aus drei Staaten, die im Moment nicht viel gemeinsam haben – vor allem in der Außenpolitik.“

Jan Berki | Foto: SLK

Und auch Berki verweist auf die direkte Nachbarschaft Tschechiens zu Deutschland. Das Parlament in Prag hat im Übrigen eine bilaterale Freundschaftsgruppe. Sie ist mit 43 Mitgliedern genauso stark besetzt wie etwa die für Polen. Bei ihrem Aufruf Richtung Berlin gehe es aber nicht nur um die geografischen Gegebenheiten, argumentiert Richterová weiter. Es müsse sich zudem über zahlreiche Projekte ausgetauscht werden, die im Interesse Tschechiens und Deutschlands lägen:

„Ich gebe ein Beispiel: Rund um Dresden besteht die Mikrochipregion, und dort gibt es eine Fabrik, die von Taiwan finanziert ist. In Tschechien haben wir Taiwan in den letzten Jahren sehr unterstützt, was zu einer direkten Flugverbindung nach Prag führte. Eine Zusammenarbeit unserer beiden Länder könnte bedeuten, dass wir uns in diesen Dingen besser koordinieren. In diesem Fall war es mehr oder weniger Zufall, dass es jetzt super zusammenspielt: Man fliegt von Taiwan aus nach Prag und fährt dann direkt nach Dresden. Die Entwicklung der Mikrochipregion wird dadurch also vereinfacht.“

Olga Richterová | Foto: Pirátská strana / Flickr,  CC BY-SA 2.0

Themen wie diese werden in den gemeinsamen Konsultationen der Parlamentariergruppen besprochen. Dafür besuchen sich die Abgeordneten regelmäßig. Im Vier-Länder-Zusammenschluss des Bundestages gibt es derzeit aber keinerlei Reiseaktivitäten. Jörg Nürnberger (SPD) ist der stellvertretende Vorsitzende der Gruppe und sagte beim Interview im Studio von Radio Prag International:

„Diese Gruppe ist im Moment dysfunktional. Das hängt damit zusammen, dass als Vorsitzender ein Mitglied der AfD-Fraktion im Bundestag bestimmt wurde, dem auch in Tschechien ein gewisser Ruf vorauseilt. Petr Bystron wird sowohl von der tschechischen politischen Szene als auch von den relevanten Playern in Deutschland als Vorsitzender und als Gesprächspartner nicht wirklich akzeptiert.“

Keine gemeinsame Sprache

Jörg Nürnberger stammt aus Wunsiedel in Oberfranken und sitzt die erste Legislaturperiode im Bundestag. Seit er während des Studiums Tschechisch gelernt habe, sei er grenzüberschreitend aktiv und habe sich, wie er einräumt, selbst für den Vorsitz der Parlamentariergruppe interessiert. Durch die Aufteilung anhand der Fraktionsverhältnisse seien in diesem Falle aber die AfD und deren Abgeordneter Petr Bystron an der Reihe gewesen.

Petr Bystroň | Foto: YouTube

Bystron ist in Olomouc / Olmütz geboren. Seine Familie flüchtete 1988 nach Deutschland, wo Bystron nach wie vor lebt und seit 2017 die AfD im Bundestag vertritt. Auf die Frage, warum die Aktivitäten der von ihm geleiteten Parlamentariergruppe derzeit stillstehen, antwortete er:

„Die Aktivitäten der Gruppe werden durch die deutsche und die tschechische Regierung verhindert – beides globalistische Regierungen, die extrem darauf bedacht sind, die populistische Opposition in ihren jeweiligen Ländern zu unterdrücken. Sie versuchen zu verhindern, dass die Aktivitäten der Gruppe überhaupt zustandekommen.“

Nun ist fraglich, inwiefern die Regierungen der beiden Länder überhaupt wahrnehmen, wie die Programme von Parlamentariergruppen im Einzelnen aussehen. Konkreter berichtet Jörg Nürnberger:

„Es gab gleich zu Beginn Bemühungen von Herrn Bystron, mit den Botschaftern der drei Länder in Berlin ins Gespräch zu kommen. Aber sowohl der tschechische als auch der slowakische Botschafter – wenn nicht sogar auch der ungarische Botschafter – haben sich diesen Gesprächen mit Herrn Bystron nicht gestellt.“

Tomio Okamura | Foto: Khalil Baalbaki,  Tschechischer Rundfunk

Und das gilt auch für die Mehrheit der politischen Vertreter in Tschechien. Tritt er hierzulande auf, zeigt sich Bystron gern an der Seite von Tomio Okamura, dem Chef der Rechtsaußenpartei „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD). 2022 beteiligte er sich zudem als Redner bei einer Anti-Regierungs-Demonstration des Aktivisten Ladislav Vrábel auf dem Prager Wenzelsplatz. Auch in Deutschland ist Bystron bekannt für seine engen Kontakte nach Russland. Als Markéta Pekarová Adamová (Top 09), Vorsitzende des tschechischen Abgeordnetenhauses, im November zu einem zweitägigem Besuch in Berlin war, ließ sie im Bundestag ein Treffen mit Bystron bewusst aus. Sie begründete dies laut dem Nachrichtenportal Hlídací pes (Wachhund) mit den Worten, dass mit Bystron nur schwer eine gemeinsame Sprache gefunden werden könne und sie deshalb den Austausch mit Abgeordneten bevorzuge, die sich um eine konstruktive Zusammenarbeit der beiden Länder bemühten.

Breites Interesse an Deutsch-Tschechischem Parlamentarierforum

Auf Nachfrage räumt Petr Bystron ein, dass er als Vorsitzender der Parlamentariergruppe durchaus Einfluss darauf habe, ob und welche Reisen die Delegation plant. Dennoch hält er den Vorwurf aufrecht, von einzelnen Mitgliedern behindert zu werden:

In Tschechien wurde das sogar schon gemacht: Er hat zusammen mit Frau Richterová ein Forum gegründet, um die Opposition auszuschließen, also die AfD und die tschechische SPD.

„Politiker dieser Regierungsparteien hintertreiben die Aktivitäten. Frau Richterová hat sich ja bei der deutschen Regierung dafür ausgesprochen, dass man sich mit mir nicht trifft und dass man mich als Vorsitzenden vielleicht sogar abberuft. Und Herr Nürnberger reist durch die Gegend, war schon in der Slowakei sowie in Prag und versucht, die Regierungen dort anzuhalten, sich mit der Gruppe informell und ohne den Vorsitzenden zu treffen. In Tschechien wurde das sogar schon gemacht: Er hat zusammen mit Frau Richterová ein Forum gegründet, um die Opposition auszuschließen, also die AfD und die tschechische SPD.“

Was Bystron hier so bitter aufstößt, ist eine neue Plattform, die den Austausch zwischen interessierten Politikern in beiden Ländern ermöglicht. Im November fand das erste Deutsch-Tschechische Parlamentarierforum in Prag statt, organisiert von Jörg Nürnberger:

Mir war es wichtig, dass die Zusammenarbeit aufgrund der sehr unglücklichen Konstellation in der Parlamentariergruppe nicht zum Erliegen kommt.

„Mir war es wichtig, dass die Zusammenarbeit aufgrund der sehr unglücklichen Konstellation in der Parlamentariergruppe nicht zum Erliegen kommt. Nach zwei Jahren Corona und nach den jeweiligen Parlamentswahlen in beiden Ländern wollten wir eine Möglichkeit schaffen, dass sich die Abgeordneten aus beiden Parlamenten begegnen. Meine Idee war, zumindest jene Abgeordneten zusammenzuführen, die ihre Wahlbezirke in den Grenzregionen der beiden Länder haben. Dann haben wir das aber geöffnet für die Landtagsabgeordneten aus Sachsen und Bayern, und auch Europaabgeordnete haben inzwischen Interesse bekundet, an diesem Parlamentsforum zwischen Deutschland und Tschechien teilzunehmen.“

Neben Mitgliedern des Bundestages und des tschechischen Abgeordnetenhauses waren unter den etwa 15 Teilnehmern ebenso zwei Senatoren aus Prag, zudem die Ko-Vorsitzenden sowohl des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums als auch des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. Auch Jan Berki nutzt dieses neue Forum, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit weiter zu gestalten. Dass er nicht Mitglied der Tschechisch-Deutschen Parlamentariergruppe im Abgeordnetenhaus sei, tue der Sache keinen Abbruch, sagt er:

Wo ich wirklich Potential für eine Zusammenarbeit sehe, ist die Bahnstrecke von Prag nach Dresden und darüber hinaus. Dort muss ein neuer Tunnel gebaut werden, was ein riesiges Unterfangen ist.

„Ich finde es immer wichtig, dass man von Angesicht zu Angesicht miteinander spricht. Denn hinter den Partnerschaften stehen konkrete Menschen, Gesichter und Namen. Ein Thema ist dabei seit langem für mich die Koordination der Dienstleistungen, so etwa im Gesundheits- oder Rettungsbereich, aber auch bei Bildungsfragen. Und bei uns in Liberec läuft die Zusammenarbeit in der Kultur schon sehr gut. Ich gebe zu, dass ich bisher nicht das Bedürfnis hatte, das alles als Mitglied einer Parlamentariergruppe zu formalisieren, weil die Kooperation und der Meinungsaustausch ja schon stattfinden. Andererseits ist es in letzter Zeit so, dass ich gerne diese Gelegenheiten nutze, um mich mit den Kollegen aus Deutschland über die genannten Themen zu unterhalten. Viel besprochen wird dabei die Bereitstellung eines integrierten Rettungssystems auf beiden Seiten der Grenze. Das betrifft die Gesundheitsversorgung, die Feuerwehr und auch die Polizei. Oftmals liegt die nächste Einrichtung auf der andere Grenzseite tatsächlich näher als jene im eigenen Land.“

Auch Olga Richterová war beim ersten Deutsch-Tschechischen Parlamentarierforum dabei. Sie nennt ein weiteres Thema, das in Treffen wie diesen besprochen werden müsse:

„Wo ich wirklich Potential für eine Zusammenarbeit sehe, ist die Bahnstrecke von Prag nach Dresden und darüber hinaus. Dort muss ein neuer Tunnel gebaut werden, was ein riesiges Unterfangen ist. Zuerst muss aber eine Streckenvariante gewählt werden. Vor der endgültigen Entscheidung darüber müssen die Vorschläge durchdacht werden, bis sie dann vom Bundestag getroffen wird.“

Richterová betont dabei noch einmal, dass der ideale Gesprächskanal eigentlich eine bilaterale Parlamentariergruppe im Bundestag wäre.

Nürnberger fordert Bystron zum Rücktritt auf

Nun stellt sich die Frage, ob die vorhandenen Energien nicht in die Neubelebung der bestehenden Parlamentariergruppe im Bundestag gesteckt werden sollten und ob die Gründung des parallelen Parlamentarierforums nicht kontraproduktiv ist. Dazu Jörg Nürnberger:

„Das glaube ich nicht, da sich dies ja im Moment parallel zu einem Nullum abspielt. Insofern ist es für die jetzige Situation eine angemessene Reaktion. Wenn es wieder funktionale Strukturen gibt, wird man sich überlegen müssen, ob man beides beibehält oder wieder in ein Gremium zurückführt. Aber im Moment ist es wichtig, dass wir miteinander reden und ins Gespräch kommen, damit sich die Menschen überhaupt erst einmal kennenlernen. Denn gerade durch die zwei Corona-Jahre ist so viel verschüttgegangen, was jetzt mühsam wieder aufgebaut werden muss.“

Mittlerweile hat sich die Lage der Parlamentariergruppe im Bundestag noch weiter verschärft. Bystrons Name tauchte nämlich im Zusammenhang mit dem russischen Informationsportal Voice of Europe auf. Der tschechische Inlandsgeheimdienst BIS hatte Ende März ein Propaganda-Netzwerk hinter der Website aufgedeckt, das offenbar Schmiergelder an prorussische Politiker zahlt – unter ihnen auch einige von der AfD. Vergangene Woche beschäftigte sich sogar der Bundestag in einer aktuellen Stunde mit den Vorwürfen gegen Bystron. Und schon eine Woche zuvor hatte Nürnberger ihn zum Rücktritt als Vorsitzender der Parlamentariergruppe aufgefordert.

Da Bystron den Rückhalt seiner Partei hat, könnte er die Anspannungen einfach aussitzen. Im Interview mit Radio Prag International – wohlgemerkt noch vor den Enthüllungen zu Voice of Europe – gab er sich jedenfalls selbstbewusst, was seinen Verbleib in den kommenden Monaten und damit den Vorsitz in der Parlamentariergruppe angeht:

„Ich werde ab Juli im Europäischen Parlament sein. Deswegen wird die Arbeit ein Kollege von mir fortsetzen müssen. Ihm werde ich möglichst viele Tipps geben, und ich hoffe, dass es ihm besser ergeht als mir.“

Die Parlamentariergruppe setzt sich im Übrigen derzeit aus jeweils sechs Vertretern von SPD, CDU/CSU, FDP und AfD sowie drei Grünen- und einem Linken-Abgeordneten zusammen. Laut Nürnberger ist die Meinungslage bei den meisten Mitgliedern einheitlich:

„Ich glaube, dass auch in den anderen demokratischen Fraktionen die Idee einer individuellen Gruppe Deutschland-Tschechien durchaus favorisiert wird. Das ist eine Frage der Parlamentsorganisation und des Präsidiums, die die Struktur für die nächste Wahlperiode festlegen werden.“

Das Deutsch-Tschechische Parlamentarierforum werde zunächst fortgesetzt, ergänzt Nürnberger. Das nächste Treffen solle schon im Frühsommer und diesmal auf der deutschen Seite des Grenzgebietes stattfinden.