Vor der politischen Wende 1989 hat offiziell alles gut funktioniert, darunter auch die deklarierte Säule der sozialistischen Gesellschaft - die Familie, die sozialistische, versteht sich. Darüber, dass es auch hierzulande Kindesmissbrauch bzw. Misshandlung von Kindern und andere bekannte Formen der Gewaltanwendung gegen Kinder gibt, konnte man erst nach der Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse offen sprechen. Anfang der 90er Jahre sind auch nichtstaatliche Organisationen entstanden, die sich dieser Problematik widmen. Zu den ältesten gehört die Stiftung Nase dite / Unser Kind, die gerade dieser Tage ihr zehntes Jubiläum begeht. Dieses war auch der Anlass für diese Organisation, am Dienstag im Gebäude des Senats, der oberen Kammer des tschechischen Parlaments, ein internationales Seminar zu veranstalten. Vor Ort hat sich Jitka Mladkova umgehört:
Die Tatsache, dass dieses Seminar im ehrwürdigen Ambiente des Waldstein-Palais´, also im Sitz des Senats, stattfand, ist keineswegs nicht so zu verstehen, dass der tschechische Staat über ein wirkungsvolles System verfügt, auf dessen Grundlage die Probleme im Bereich des Kinderschutzes umfassend gelöst werden könnten. Nur nebenbei gesagt, zur Eröffnung des Seminars sind nur zwei Senatoren gekommen, die dann bald nach den offiziellen Eröffnungsreden wieder ihren Amtsgeschäften nacheilten. Die zurückliegenden 13 Jahre sind offensichtlich eine zu kurze Zeit für einen Durchbruch in der Denkweise jener Machtträger, die sich engagieren könnten und auch sollten. Im Bereich des Schutzes der Kinder und ihrer Rechte gibt es zwar mittlerweile zahlreiche nichtstaatliche Organisationen, aber es fehlt eine Koordinierung ihrer Tätigkeit. Das wurde auch gleich im ersten Programmteil des Seminars festgestellt, als die Leiterin der Stiftung "Nase dite", Zuzana Baudysova, über die Reaktionen der UNO auf den offiziellen Bericht der Tschechischen Republik zur Stellung der Kinder informierte. Kurz gesagt, die UNO kritisierte Tschechien wiederholt wegen der Nichtexistenz einer Dachorganisation, die die Tätigkeit der staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen auf dem derzeit total zersplitterten Gebiet des Kinderschutzes koordinieren würde. Über bestimmte Kompetenzen verfügt zwar das Ministerium für Arbeit und Soziales, dieses fühlt sich jedoch für Fachmethodik zuständig, für die Koordinierungsrolle allerdings nicht! Und so hat alles seinen üblichen bürokratischen Gang: Aufgrund eines Regierungsbeschlusses soll erst eine Kommission eingesetzt werden, die entscheiden soll, ob ein neues Dachorgan gegründet wird oder nicht. Und das dauert wieder eine Zeitlang, und die umfassende Lösung brennender Probleme bleibt nach wie vor auf der Strecke. In diesem Zusammenhang fragte ich Zuzana Baudysova, warum es ihrer Meinung in diesem Bereich immer noch hapert:
"Da das Kind kein Wähler ist, keine Beschwerden über unsere Beamten schreibt, keine Ansprüche auf die Zeit Anderer erhebt, so fürchte ich, dass das laxe Herangehen an die Kinderproblematik eben auf diese Tatsachen zurückzuführen ist," sagt Baudysova und spricht in einem Atemzug von einer kurzsichtigen Politik.