8. Prager Theaterfestival deutscher Sprache ging zu Ende

Vor rund einer Woche haben wir Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer, wiederholt über das Prager Theaterfestival deutscher Sprache informiert, das bereits zum 8. Mal stattfand. Am letzten Freitag haben wir Sie in der Sendereihe Im Spiegel der Medien auch mit Pressestimmen zu diesem Kulturereignis vertraut gemacht. Jitka Mladkova geht diesem Thema noch einmal im nun folgenden Kultursalon nach.

Auf insgesamt fünf Bühnen der tschechischen Hauptstadt wurde das diesjährige Theaterfestival deutscher Sprache ausgetragen. Eine davon beherbergte jene Inszenierungen, die sozusagen die Säulen des diesjährigen Festivalprogramms bildeten. Für diese Gelegenheit wurde der Hallenraum des Messepalastes, der die Sammlungen der modernen Kunst beherbergt, in einen akustisch leider weniger optimalen Zuschauerraum mit Sitzplatzkapazität für 970 Besucher umgewandelt - mit einer großräumigen Bühne davor. Auf dieser stellten sich drei renommierte deutsche Theaterhäuser vor: die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz mit Nora von Henrik Ibsen, das Hamburger Thalia Theater mit Kabale und Liebe von Friedrich Schiller und die Münchner Kammerspiele mit Othello von William Shakespeare. Mit diesen Aufführungen und ihren Regisseuren Thomas Ostermaeier, Michael Thalheimer und Luk Perceval kamen in die eher geruhsame Prager Theaterwelt moderne provokative Inszenierungen der klassischen Dramen, die in den Kultursparten der Tagespresse Schlagzeigen machten. Überraschung, kontroverse Darstellung, Schock, zärtliche Perversion, Höhepunkt der Stilschule - auf diesen und ähnlichen Charakteristika hat die Fachkritik ihre Rezensionen aufgebaut. Als eindeutigen Höhepunkt aller drei Klassikerbearbeitungen hat wohl nicht nur die Kritik, sondern auch das Publikum Shakespeares Othello wahrgenommen. Der Regisseur Luk Perceval, der seit 1984 als führender Repräsentant der so genannten flämischen Welle gilt, ist in Prag nicht unbekannt. Seine zwölfstündige Komposition aus den Königsdramen William Shakespeares namens "Schlachten!", die von deutschen Theaterkritikern zur Aufführung des Jahres 2000 gewählt wurde, hat Perceval vor zwei Jahren auch in Prag vorgestellt. Darauf bezogen sich schließlich, nach der diesjährigen Othello-Aufführung, auch persönliche Reaktionen aus dem Publikum, wie es der Regisseur selbst bei einer Diskussion im Prager Goethe Institut erwähnt hat. In einem anschließenden Interview mit ihm habe auch ich ihn nochmals auf diese Reminiszenzen an die drei Jahre zurückliegende Inszenierung angesprochen.

"Sie haben gleich am Anfang dieses Treffens erwähnt, Sie haben gestern Abend im Theater mehrere Reaktionen auf Ihre Präsentation der Inszenierung "Schlachten" erlebt. Können Sie mir verraten, um welche Reaktionen es sich gehandelt hat?"

" Das hat mich total überrascht. Das Stück hat auch in Deutschland, in Holland und Belgien großen Erfolg gehabt, aber was mich hier überrascht, dass es irgendwie - ich würde mal sagen, die tschechische Seele getroffen hat. Die Leute sprachen mich in Bezug auf "Schlachten" und teilweise auch in Bezug auf "Othello" sehr persönlich und sehr gerührt an."

"Können Sie etwas Konkretes sagen? Waren die Reaktionen ausgesprochen positiv?"

"Wenn´s um das Theater geht, gibt es nie nur um positive Reaktionen, und damit muss man leben als Regisseur. Man kann nicht für jedermann nur Gutes tun. Es gibt immer Leute, die raus laufen und es schrecklich finden, aber auch Leute, die begeistert sind. Bei Schlachten hat man den Vorteil, dass es um einen Stoff geht, den niemand kennt. Also die Königsdramen sind Stücke, die man kaum gesehen oder gelesen hat, und bestimmt nicht in dieser Form gesehen hat wie es bei dieser Marathonvorstellung war. Das war ein Event. Das war nicht nur eine große Leistung der Schauspieler auf der Bühne, sondern auch eine Leistung der Zuschauer, die sich durch diese ganze Tagesreise nachher fast glücklich fühlten. Ich habe unglaubliche Reaktionen bei Leuten verzeichnet, die eine Art Katharsis durchgemacht haben. Bei einem Stück wie Othello ist es schwierig. Da hat jeder schon eine Erwartungshaltung. Einige Leute sagen dann, wir hätten lieber das Klassische. Was man aber als "klassisch" bezeichnet, halte ich nicht für klassisch. Wenn man wirklich wissen könnte, wie Shakespeare damals gespielt wurde, ohne Frauen z.B. Das war total .... Stellen Sie sich vor, dass Desdemona von einem Mann gespielt wurde, und sogar von einem Jungen. Ich wage immer zu sagen, es war ein pures Volkstheater. Ich spüre, dass man heute mit der bürgerlichen Erwartung eine sehr romantische Vorstellung hat, was das Volkstheater war, und dass diese mit der Rohheit der Wirklichkeit zu tun hat. Das Volkstheater präsentierte das, was in den Köpfen und auf der Zunge der Leute von der Straße lag. Das ist die Essenz des Volkstheaters. Gerade das hat Shakespeare geschrieben und das hat er u.a. auch gezeigt. Ich habe gestern gespürt, dass es vielen Leuten gefallen hat - diese Umsetzung in die heutige Zeit, aber dass es viele auch verwirrt hat."

"Im Rahmen dieses Volkstheaters haben Sie sich zum Teil einer Sprache bedient, die als so genannte Fäkalsprache bezeichnet wird. Ist dies wirklich der Hauptsymptom der heutigen Zeit?"

"Das würde ich nicht sagen. Essenziell für das Stück ist nach meiner Meinung, dass es um ein universales Thema geht: Angst verlassen zu werden, Angst allein sterben zu müssen. Das ist etwas, was jeden Menschen total ängstlich macht. Ich habe kürzlich einen Professor im Radio gehört, der erzählte, dass das menschliche Gehirn noch ein paar Monate nach der Beerdigung weiter lebt und dass da noch irgendwelche Stoffe wirksam sind. Das ist für jeden von uns ein Albtraum, dass wir irgendwo dort geschlossen sind und niemand uns hört und wir auch nicht fähig sind da raus zu kommen. Es ist glaube ich eine sehr essenzielle Angst jedes Menschen, und darum geht es in diesem Stück. Diese Angst hat Shakespeare versetzt in das Milieu der Armee, wo Männer über Frauen reden. Wenn man nach der heutigen Wirklichkeit umsetzt, wie Männer in der Armee, in einer Fußballkneipe, also überall, wo sich Männer zusammentun, wie sie über Frauen reden, das alles - nur nicht literarisch, schön oder romantisch. Das haben wir eigentlich versucht, in die heutige Zeit umzusetzen. Das stört natürlich viele Menschen, die diese romantische klassische Erwartungshaltung haben: Theater muss schön sein. Das verstehe ich auch, aber ich bin damit nicht einverstanden. Ich glaube nicht, dass das Theater da ist und nur subventioniert wird, um uns zu unterhalten. Im Gegenteil. Ich glaube, dass wir subventioniert werden, um etwas Besonderes zu machen, was man nicht erwartet, ein außergewöhnliches, einzelartiges Kunstwerk zu machen. Das muss das Ziel sein. Wenn die Vorlage wie die von Shakespeare ist, und Shakespeare in seiner Zeit, vor 400 Jahren, versucht hat, Sexismus und Rassismus auf der Bühne zu zeigen, dann müssen wir versuchen, die entsprechend der heutigen Zeit umzusetzen. Dann ist es vielleicht gut, wenn Leute erschrecken, wie brutal unsere Zeit ist oder wie gewalttätig inzwischen unsere Sprache ist. Aber ich glaube, dass es nicht so sehr mit einer konkreten Zeit zu tun hat. Das gilt für alle Zeiten. Das liest man bei Eurypides, bei Shakespeare und man liest es heute auch bei zeitgenössischen Autoren."

"In diesem Zusammenhang, was Sie sagen, müssen Sie gar nicht an die Grenzen zwischen den Ländern denken, denn in dieser Hinsicht kennt man keine Grenzen. Das ist ja universal."

"Ja, klar. Es geht um den menschlichen Geist. Das ist etwas, was Shakespeare unsterblich und so spirituell macht, weil er sich immer fokussiert auf den funktionierenden menschlichen Geist und er zeigt immer einen Aspekt. Im "King Lear" zeigt er die Angst eines Menschen, kein Mensch zu sein, der am Ende nichts hat - keinen Verstand, keine Sprache, kein Geld, keine Würde, alles verloren! In Othello zeigt er wiederum unsere Angst verlassen zu werden, die Angst vor dem Fremden, Bedrohlichen. Bei Shakespeare geht immer um etwas, was wir alle kennen. Was wir alle gemeinsam haben, ist ein Geist, der Emotionen produziert, und hauptsächlich Ängste produziert, weil wir solch schwache Menschen sind und ein Haus und Mauern brauchen, um uns zu beschützen."

"Sie haben auch den Namen Pavel Kohout erwähnt, den Sie 1980 kennen gelernt haben. War Pavel Kohout derjenige Dramatiker, durch den Sie, sagen wir, eine Brücke, einen Kontakt zu Tschechien bzw. zur tschechischen dramatischen Kunst gewonnen haben?"

"Ja, das stimmt. Ich habe im Schauspiel "Der Spieler" nach dem gleichnamigen Roman von Dostojewski die Hauptrolle gespielt. Dieses Schauspiel hat Pavel Kohout geschrieben und sehr eng mit dem belgischen Regisseur Walter Tilemans zusammengearbeitet, der, glaube ich, auch mal in Tschechien war. So habe ich ihn damals, aber mit viel mehr Abstand als heute, auf einer Probe in Antwerpen gesehen. Wir haben uns glaube ich zweimal begegnet, und heute, zwanzig Jahre später begegnen wir uns in Prag. Das ist sehr lustig."

"Und was der Dramatiker Havel?"

"Havel kenne ich nur vom Lesen. Ich habe zu Hause seine, glaube ich, Abschiedsrede als Präsident. Eine sehr schöne Rede. Sie hat mich so gerührt, weil es darin um so viel Essenzielles geht - dass man als Mensch nur das tun kann, was man denkt, dass man tun muss. Mein großer Respekt für Havel!"

Soweit Luk Perceval für Radio Prag. In einem Gespräch mit der Tageszeitung Lidove noviny sagte er, Zitat:

"Für mich ist das Theater eine Form der Kunst und nicht der Unterhaltung. Eine Kunst, ..., die tröstet, aber in die Tiefe geht und zeigt, was alles uns zusammenbringt. Ich bin mir immer mehr dessen bewusst, dass heute Rituale fehlen, die uns verbinden könnten. Das Theater ist einer der letzten Orte, die uns ein solches Ritual zu schenken vermögen. Uns bleibt nur zu hoffen, dass die Medien dies unterstützen, denn ohne Medien geht nichts".