Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe
In der diesmaligen Ausgabe unseres Wirtschaftsmagazins befasst sich unser freier Mitarbeiter Christoph Amthor mit dem Thema Arbeitslosigkeit in Tschechien. Alarmierend schlechte Zahlen für den Dezember stellen Politiker und Fachleute vor die Frage nach Ursachen und Möglichkeiten zur Abhilfe.
Am schlechtesten hat es das nordböhmische Most (Brüx) erwischt, wo bald jeder vierte der Arbeitswilligen vergeblich sucht. Der stellvertretende Bürgermeister Pavel Weiss führt die Lage vor allem auf strukturale Probleme zurück, die mit der Transformation zusammen hängen. Die Produktion habe lange in einem Klima der Monokultur gewirkt, vor allem in der Kohleförderung und in der chemischen Industrie. Das habe sich, so Weiss, auch auf das Profil der Arbeitnehmer ausgewirkt, für die es wenig Bedarf an Qualifikation gegeben habe.
"Das wird mit Sicherheit eine längerfristige Angelegenheit werden, die sich nicht mit einigen radikalen Eingriffen lösen lässt."
Auch der bevorstehende EU-Beitritt Tschechiens werde, so Weiss, keine sofortigen Auswirkungen haben:
"Ich vermute, dass es keine direkten Einflüsse geben wird. Auch wenn sich die Situation direkt nach dem EU-Beitritt weder verbessern noch verschlechtern wird, meine ich trotzdem, dass sich die Lage auf längere Sicht verbessern wird, besonders jüngeren Leuten werden sich mehr Möglichkeiten öffnen."
Den höchsten Anstieg von November auf Dezember musste das im Altvatergebirge gelegene Jeseník (Freiwaldau) vermelden. Zdenek Vrtný, Leiter des zuständigen Arbeitsamtes, ist sich der prekären Lage bewusst. Wie er weiß, ist sie nicht zuletzt geographisch, durch die Nähe zur polnischen Grenze bedingt. Viele qualifizierte Arbeitskräfte sehen dort nur die Möglichkeit, ihr Glück woanders zu suchen, wie Vrtný bestätigt:
"Sicher verlassen qualifizierte Arbeitskräfte diese Region, dies hat vor allem zwei Gründe: Der erste besteht darin, dass es hier keinen entsprechenden Bedarf für die Qualifikation dieser Leute gibt, der zweite, sehr wichtige Grund besteht darin, dass im Kreis Jeseník längerfristig, oder man kann sagen: dauerhaft geringere Durchschnittsgehälter gezahlt werden als in der übrigen Republik."
Der Optimismus hält sich in Grenzen und auch vom EU-Beitritt erwartet sich der Leiter des Arbeitsamtes keine Wunder. Doch sei dies kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Vielmehr sei durch die Zusammenarbeit aller verfügbaren Kräfte eine Verbesserung der Lage möglich:
"Wir müssen als Arbeitsamt die Bedingungen schaffen, um in Zusammenarbeit mit Unternehmern, Arbeitgebern und Anderen auf dem lokalen Arbeitsmarkt zu helfen, die nötigen Arbeitsplätze zu schaffen und die Menschen in den Arbeitsprozess zu integrieren, um diese ungute Situation zu lösen."
Während sich die Betroffenen und ihre Verwalter und Fürsprecher die Haare raufen, bemüht sich die Wissenschaft um einen kühlen Blick auf die Zusammenhänge. Daniel Münch, Forscher an der Prager Wirtschaftshochschule, sieht die Dezemberzahlen mit Gelassenheit. Die momentane Entwicklung der Arbeitslosenzahlen sei rein saisonal bedingt, erklärt er. Der Blick auf den größeren zeitlichen Zusammenhang zeige deutlich, dass sich die Tschechische Republik diesbezüglich in einer Stagnation befinde.
Vom EU-Beitritt erwartet Münch keine grundlegenden Änderungen, weder zum Besseren, noch zum Schlechteren. Die Möglichkeit, dass qualifizierte oder billige Arbeitskräfte Investoren nach Tschechien locken könnten, hält er für gering:
"Obwohl der Großteil der Tschechen glaubt, dass wir sehr gut ausgebildete Arbeitskräfte haben, meine ich, dass wir noch große Verbesserungspotentiale haben. Diese Vorstellung von den gut ausgebildeten Arbeitskräften ist zum Teil ein Mythos, und der zweite Mythos besagt, dass unsere Arbeitskraft billig sei. Dieser Unterschied ist jedoch nicht ausschlaggebend, es gibt da eine Menge anderer Dinge, die Firmen in ihre Erwägungen einbeziehen."
Eine Belebung der Wirtschaft sei notwendig, wirke sich aber nicht automatisch auch zugunsten der Arbeitnehmer aus. Selbstverständlich könne es passieren, dass Unternehmen in schlechten Zeiten Arbeitskräfte entlassen und im folgenden Aufschwung lieber in neue Technologien investieren, anstatt wieder Leute einzustellen. Münch warnt jedoch vor einer Vergrößerung der sozialen Unterschiede zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen:
"Dadurch bilden sich allerdings zwei Gruppen von Leuten, eine von Angestellten, die unter relativ guten Bedingungen beschäftigt werden und in welche die Arbeitgeber investieren, und eine zweite, leider ziemlich große Gruppe, die eigentlich keine Chancen mehr hat."
Hier regulierend einzugreifen, sagt Münch, sei vor allem Aufgabe der Gesetzgebung. Ebenso müsste sie auf die zunehmend wichtige Rolle der Mobilität reagieren, die im Zuge einer globalisierten Wirtschaft auch auf staatlicher Ebene insbesondere von jüngeren Arbeitnehmern gefordert wird. Hier seien zur Erleichterung vor allem eine Verbesserung des Mietrechts sowie ein Ausbau der Verkehrswege notwendig.
Mit Blick auf die übrigen EU-Beitrittsländer steht Tschechien noch recht gut da. Der Vorzeigekandidat Slowenien bringt es immerhin auf eine Arbeitslosenquote von 11,3 Prozent, die Slowakei kann sogar mit 15,6 Prozent aufwarten, während Polen mit seinen 17,8 Prozent jeden Rahmen sprengt. Angesichts dieser Zahlen wird eine kommende EU-Politik nicht nur an den Wirtschaftsdaten zu messen sein, sondern auch daran, wie viel Prozent der Bürger sie an dem erreichten Wohlstand teilhaben lässt.