Trtík: Wenn es so weiter geht, sehe ich schwarz für den tschechischen Handball
Im heutigen Sportreport nimmt Lothar Martin eine Nachbetrachtung zur sechsten Handball-Europameisterschaft der Männer vor, die am vergangenen Sonntag in Ljubljana mit dem 30:25-Finalsieg der deutschen Handballer über Gastgeber Slowenien zu Ende ging.
"Also wenn man keine Medaille gewinnt, dann ist es ein Misserfolg. Das ist die eine Seite. Die andere Seite aber, die ich für mich aus der Sicht des Trainers dem Ganzen abgewinne, ist folgende: Wenn man die Möglichkeit hat, sein Team hautnah zu beobachten, zu sehen, welche Form es hat und wie es in welcher Situationen arbeitet, dann, so denke ich, kann ich teilweise zufrieden sein. Dies hauptsächlich aus dem Grund, weil wir wie vor zwei Jahren, als wir Achter wurden, Mannschaften wie Polen, Portugal und die Ukraine hinter uns gelassen haben. Diese Teams sind diesmal sogar schon nach der Vorrunde ausgeschieden, wir aber haben es bis in die Zwischenrunde geschafft. Und da sind wir wieder ein Stück vorangekommen, und zwar in dem Sinne, indem es uns gelang, eine solch renommierte Mannschaft wie Frankreich zu besiegen. Oder aber, indem wir die Partien gegen Vertretungen wie Slowenien und Island ausgeglichen gestalten konnten. Das einzige Team, was uns eindeutig bezwungen hat, war Deutschland. Aber hierzu muss ich sagen, dass das deutsche Team seit nunmehr zwei Jahren auf einem ganz hohen Level angekommen ist und Hut ab vor dem, was es auch bei dieser Europameisterschaft wieder gezeigt hat."
Ja, der 32:31-Sieg über die Franzosen, die vor drei Jahren den Weltmeistertitel errungen haben, war zweifellos die beste Partie, die die Männer um Kapitän Karel Nocar in Slowenien abgeliefert haben. Dementsprechend hoch wusste auch Trainer Trtík diesen Erfolg einzuschätzen:
"Die Begegnung war unheimlich schwer für uns, sie verlief ausgeglichen, denn wir haben immerhin gegen den Weltmeister des Jahres 2001 gespielt. Das ist ein sehr starkes Team mit einer Reihe von Handballern, die in Topligen bzw. in Spitzenclubs spielen. Die Partie wurde danach sowohl von beiden Seiten gewürdigt als auch von den Zuschauern und Beobachtern als sehr positiv eingeschätzt."
Auch wenn Trtík nicht unbedingt ein Freund von öffentlicher Einzelkritik ist, so kam er nach dem Frankreich-Spiel nicht daran vorbei, einen Akteur noch besonders hervorzuheben:
"Das mache ich zwar nicht so gerne, aber ausnahmsweise muss ich sagen, dass Torwart Martin Galia permanent sehr gute Leistungen zeigt. Er gehört daher auch zu den Spielern, die heute eine starke Vorstellung geboten haben."
In den weiteren EM-Begegnungen erzwang die tschechische Vertretung dann lediglich noch ein 30:30-Unentschieden gegen Island, während die Partien gegen Ungarn, Slowenien, Deutschland und Serbien-Montenegro allesamt verloren gingen. Der 11. Platz, der dann danach heraussprang, reichte nicht, um sich noch für die Olympischen Spiele in Athen zu qualifizieren. Und auch die Direktqualifikation für die WM 2005 in Tunesien wurde verpasst, so dass die tschechische Mannschaft hierfür nun zwei Ausscheidungsspiele gegen Portugal bestreiten muss. Überhaupt: Während die CSSR früher ein Stammgast bei den Welttitelkämpfen war, und - wie wir bereits gehört haben - ein zumeist erfolgreicher dazu, so war die EM-Teilnahme in Slowenien erst die vierte für die Tschechische Republik bei der zum sechsten Male ausgetragenen kontinentalen Meisterschaft. Zum EM-Auftakt 1994 in Portugal und zur EM-Endrunde 2000 in Kroatien hatte man sich nämlich nicht qualifizieren können. Worin liegen daher die Ursachen, dass der tschechische Männerhandball auf internationalem Parkett nur noch zweite Wahl ist? Rastislav Trtík vertritt dazu diese Meinung:
"Also das Hauptproblem sehe ich darin, dass unsere Spieler während einer Saison kaum internationale Bewährungsproben haben. Auf Clubebene fehlt ganz einfach die ständige Konfrontation mit den besten Teams der Welt bzw. des Kontinents. Bei uns ist die Situation zum Beispiel so: Die Mannschaft aus Frý0dek-Místek gewinnt die Meisterschaft, aber aus ökonomischen Gründen nimmt sie in der Saison darauf nicht an der Champions League teil. In den letzten drei Jahren war keine tschechische Clubvertretung in einem europäischen Wettbewerb vertreten. Wir sind sozusagen hinter die Chinesische Mauer geraten. Ohne die internationalen Auseinandersetzungen haben unsere Spieler einen Mangel an Erfahrung, ihnen fehlt die entsprechende Übersicht auf dem Spielfeld in solch kritischen Situationen, wie es zum Beispiel acht Minuten lang in der Partie mit Ungarn der Fall war. Diese Erfahrungswerte fehlen uns ganz einfach bei Welt- und Europameisterschaften. Die Grundvoraussetzungen für die Bildung einer starken Auswahl sind ganz einfach nicht vorhanden."
Keine erfreuliche Einschätzung, aber damit nicht genug. Als ich Trtík frage, ob denn nicht wenigstens für die Zukunft Besserung in Sicht sei, antwortete er nur:
"Ich bin kein allzu großer Optimist. Nach den Erfahrungen, die ich habe, muss ich leider konstatieren, dass ich für den tschechischen Handball keine rosige Zukunft voraussehe. Zum einen fehlt das Geld, zum anderen wird die mediale Präsenz hierzulande von Jahr zu Jahr schlechter. Unserer Sportart wird kein entsprechender Raum gewidmet, und wenn es so weiter geht, dann sind wir auf dem besten Wege, den Handballsport in Tschechien völlig abzuschaffen. Das klingt möglicherweise hart, was ich sage, aber es dauert vielleicht noch fünf bis sechs Jahre, bis es soweit kommt."
Im weiteren Gespräch erfahre ich, dass der tschechische Handballsport Trtík zufolge zwar zum einem über einen sehr talentierten Nachwuchs, ausgezeichnete Jugendtrainer und über jede Menge guter Funktionäre verfüge, andererseits aber am fehlenden Marketing und der so gut wie nicht vorhandenen Infrastruktur leide. Ganz besonders hart zieht Trtík mit dem Tschechischen Fernsehen ins Gericht, das herzlich wenig zur Popularisierung dieser Sportart beitrage und so völlig unverständlicherweise keine einzige Minute live vom EM-Championat in Slowenien ausgestrahlt habe. Und das von einer Europameisterschaft, deren Organisation Trtík in höchsten Tönen lobte:
"Die Slowenen haben die EM hervorragend organisiert. Wir haben in erstklassigen Hallen gespielt, vor stets 5500 Zuschauern, die alle Akteure perfekt angefeuert haben. Fair play wurde groß geschrieben. Es war in jeder Hinsicht ein Erlebnis für uns."
Und welche Meinung hat Trtík vom neuen Europameister Deutschland?
"Also ich denke, die deutsche Mannschaft hat verdient gewonnen. Für die bei diesem Championat gezeigten Leistungen gehört ihr die Goldmedaille völlig zu Recht. Ich persönlich hatte Deutschland schon vor der Endrunde ganz oben auf meiner Rechnung, was ich auch den Journalisten gesagt habe, die mich nach den EM-Favoriten gefragt haben. Für mich war das deutsche Team schon deshalb eindeutig Favorit, weil all seine Spieler in der stärksten Liga der Welt, nämlich der Bundesliga, zum Einsatz kommen und mehrere davon zudem in Spitzenclubs wie dem TBV Lemgo spielen. Das ist genau das, was uns fehlt. Und wenn sich das nicht ändern sollte, dann sehe ich für die Zukunft schwarz für den tschechischen Handball."
Nun, hoffen wir, dass es nicht so weit kommen wird. Für heute aber können wir darauf keine weiteren Antworten geben, denn unsere Sendezeit ist bereits wieder abgelaufen. In diesem Sinne, auf ein Wiederhören heute in 14 Tagen.