Libor Roucek, sozialdemokratischer Spitzenkandidat für die Wahl zum Europaparlament

Libor Roucek

Willkommen zur neuen Ausgabe der Sendereihe "Heute am Mikrophon". Gerald Schubert hat diesmal mit einem jener Politiker gesprochen, die Tschechien bald im Europäischen Parlament vertreten werden, und zwar mit dem sozialdemokratischen Abgeordneten und Spitzendkandidaten Libor Roucek, dessen Biographie übrigens eng mit Österreich und Deutschland verknüpft ist.

Herr Roucek, wir führen das Interview auf Deutsch. Welche Beziehungen haben Sie denn zu Deutschland und Österreich? Können Sie ein bisschen aus Ihrer Biographie erzählen?

"Ich habe eine starke Beziehung zu beiden Ländern. In Österreich habe ich etwa sechs Jahre lang gewohnt, konkret von 1977 bis 1984. Ich habe in Wien gewohnt und gearbeitet, an der Wiener Universität habe ich Politikwissenschaft und Soziologie studiert. Das Studium habe ich dann mit einem Doktorat an der Wiener Uni abgeschlossen. Apropos Studium: Auch zu Deutschland habe ich eine starke Beziehung. Meine Dissertation schrieb ich über die Beziehungen zwischen der damaligen Tschechoslowakischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1983."

Sie sind 1977 als Emigrant nach Österreich gekommen. Ich habe gelesen, dass Sie dann im Jahr 1978 im Zentrum Wiens auf sich aufmerksam gemacht haben. Soweit ich weiß, protestierten Sie anlässlich des zehnten Jahrestags der Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag. Können Sie ein bisschen mehr über diese Protestaktion erzählen?

"Ja, ich war ein politischer Exilant. Und ein Jahr, nachdem ich nach Wien kam, war der zehnte Jahrestag der sowjetischen Okkupation in der damaligen Tschechoslowakei. Darauf wollte ich aufmerksam machen. Ich habe mich damals als Student für die Form eines Hungerstreiks entschieden. Also baute ich auf der Wiener Ringstraße, gegenüber der sowjetischen und auch der tschechischen Aeroflot-Gesellschaft, ein Zelt auf. Und dort habe ich dann, weil es der zehnte Jahrestag war, zehn Tage lang gehungert."

War das damals ein großes Thema in den österreichischen Medien?

"Es war zwar natürlich kein Hauptthema, aber es wurde überall in den Zeitungen erwähnt, es war im Fernsehen, und natürlich auch in der amerikanischen und britischen Presse. Also seinen Zweck hast mein Hungerstreik erfüllt."

Europäisches Parlament,  Foto: Europäische Kommission
Kommen wir weg von der Vergangenheit und blicken wir in die Zukunft: Sie führen die Kandidatenliste der Sozialdemokratischen Partei für die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament an. Die Rolle eines Europaabgeordneten ist ja relativ diffizil. Da gibt es einerseits die Entscheidungsstrukturen innerhalb der Europäischen Union, an denen Sie sich beteiligen, andererseits besteht die Tatsache, dass Sie dort Tschechien repräsentieren. Auf die Parteipolitik umgelegt: Sie werden dort im Rahmen der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) arbeiten, aber auch für die Tschechische Sozialdemokratie (CSSD). Das ist ein ziemlich kompliziertes Feld. Haben Sie sich darin schon zurechtgefunden? Wissen Sie schon, wie Sie damit umgehen werden?

"Ja, Sie haben Recht: Ins Europaparlament wird man als Abgeordneter des jeweiligen Staates gewählt, in meinem Fall der Tschechischen Republik. Und ich werde dort auch Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion sein. Aber ich sehe darin kein Problem. Ich arbeite jetzt seit etwa acht Monaten als Beobachter im Europäischen Parlament, und ich kann bestätigen: Die Sozialdemokraten dort haben sehr ähnliche Ansichten zu europäischen oder globalen Problemen."

Haben Sie für sich schon konkrete Wirkungsfelder ausgesucht, in denen Sie sich besonders engagieren wollen?

"Ich weiß schon genau, was ich tun möchte. Und das ist das, was ich auch im tschechischen Parlament tue. Ich möchte mich mit der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschäftigen, und zwar im Rahmen des Außenpolitischen Ausschusses."

Europäisches Parlament,  Foto: Europäische Kommission
Wie beurteilen Sie den Stand der tschechischen innenpolitischen Diskussion über die Europäische Union? Die Karten sind ja klar verteilt: Die Regierung ist sehr pro-europäisch eingestellt, die bürgerdemokratische und auch die kommunistische Opposition hat sehr EU-skeptische Ansichten. Ist das für Sie ein tief sitzender Konflikt in der demokratischen und parteipolitischen Landschaft Tschechiens, oder hängt das eher davon ab, wer gerade in der Regierung ist und wer in der Opposition?

"Natürlich wäre es besser, wenn alle politischen Parteien - das heißt nicht nur die Koalitionsparteien, die jetzt an der Macht sind, sondern auch die Opposition - ähnliche Vorstellungen über die Europäische Politik hätten. So wie das zum Beispiel in Österreich der Fall ist. Egal ob dort die ÖVP oder die SPÖ an der Macht ist - die beiden großen Parteien sind pro-europäische Parteien und haben dazu eine ähnliche Anschauung. Das ist leider in der Tschechischen Republik nicht der Fall. Die jetzt oppositionellen Bürgerdemokraten sind euroskeptisch, nach dem Vorbild der britischen Konservativen. Und die Kommunisten - das sollten wir nicht vergessen - haben sich beim Referendum sogar gegen die EU ausgesprochen. Ob die jetzt ihre Position ein bisschen ändern werden, das wird die Zeit zeigen."

Sie haben ein klares Mandat Ihrer Partei - als Listen-Erster auch ein sicheres Mandat. Wie schätzen Sie aber das "Mandat" der Bevölkerung ein, nicht nur was Ihre Person betrifft, sondern die Abgeordneten zum Europaparlament überhaupt? Wenn Sie mit den Leuten sprechen: Besteht dann Ihrer Meinung nach in der Bevölkerung überhaupt ein Interesse daran, wen man mit welchem Ziel in welche Gremien schickt? Oder interessiert die Leute nur, wie viel Geld Sie dort verdienen?

"In den letzten Wochen hat man leider tatsächlich nur über das Geld geredet. Und die Leute wissen wenig über die Rolle des Europäischen Parlaments und der Abgeordneten. Das werden wir versuchen zu ändern. Obwohl ich mir keine Illusionen mache, dass wir damit erfolgreich sein werden. Denn wenn man sich die Lage in Österreich, in der Bundesrepublik oder in Großbritannien anschaut, so ist auch dort die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen sehr gering. Und sie sinkt weiter. Das ist eine Aufforderung für alle in Europa. Wenn wir dem Europäischen Parlament mehr Rechte, mehr Macht geben wollen, wenn wir wollen, dass das Europäische Parlament eine größere demokratische Rolle ausübt, dann müssen wir etwas für die Wahlbeteiligung tun. Und das ist eine sehr schwere Aufgabe. Denn ich muss sagen, dass in den Beitrittsländern, auch in der Tschechischen Republik, die Kenntnisse über das Europäische Parlament oder die europäischen Institutionen allgemein sehr gering sind."