Europäisches Parlament plädiert für höhere Verteidigungsfähigkeit

Foto: Europäische Kommission

Am Donnerstag hat das Europäische Parlament einen neuen Bericht zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) mit großer Mehrheit angenommen. Über die Eckpunkte des Papiers und über die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen für Europa hat sich Gerald Schubert mit einem tschechischen und einem deutschen EU-Abgeordneten unterhalten.

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„Das Problem in Europa ist historisch gesehen ein Resultat der zwei Weltkriege. Wir waren zersplittert, und jetzt versuchen wir, diese Fehler mühsam zu beseitigen und Schritt für Schritt gemeinsame Positionen zu schaffen – auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik“, sagt Libor Rouček, EU-Abgeordneter der tschechischen Sozialdemokraten und stellvertretender Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses im Europaparlament.

Ziemlich genau fünf Jahre ist es jetzt her, seitdem der EU-Beauftragte für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, erstmals eine eigene Europäische Sicherheitsdoktrin vorgelegt hat. „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ hieß das Dokument, besser bekannt unter dem Namen „Solana-Papier“. Seither ist die Lage komplizierter geworden. Die EU hat nicht mehr 15 Mitglieder sondern 27, gemeinsame Positionen erfordern oft mühsame Verhandlungen und erhöhte Kompromissbereitschaft von allen Seiten. Auch das Bedrohungsszenario ist langfristigen Änderungen unterworfen, meint Libor Rouček:

„Vor zwanzig Jahren war die Welt geteilt. Wir hatten zwei Blöcke, die bis an die Zähne bewaffnet waren. Heutzutage ist die Situation anders. Wir sind mit Terrorismus konfrontiert, aber auch mit anderen Bedrohungen, wie zum Beispiel der globalen Erwärmung. Wir sehen gerade in diesen Tagen, wie hoch der Preis von Öl, Gas oder anderen Rohstoffen, auch im Bereich der Nahrungsmittel, ist. Das alles hat große Auswirkungen nicht nur auf uns, sondern besonders in der so genannten Dritten Welt.“

Angesichts der aktuellen Herausforderungen und auch wegen „anhaltender Schwachstellen“ im Bereich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) hat das Europäische Parlament nun ein Papier verabschiedet, das neue Impulse im Sicherheitsbereich setzten will. Berichterstatter war der deutsche EU-Abgeordnete Helmut Kuhne. Auch Kuhne nennt den Klimawandel als einen Hauptfaktor im aktuellen Bedrohungsbild. Dürrekatastrophen auf dem afrikanischen Kontinent könnten etwa neue Migrationsströme nach Europa bringen. Und auch im hohen Norden könnte früher oder später ein neuer Krisenherd entstehen:

„Falls in ein paar Jahrzehnten das Polareis weggeschmolzen ist, dann kann man sich vorstellen, wie sich Russland, Kanada, die Vereinigten Staaten und Dänemark, zu dem ja auch Grönland gehört, um die Bodenschätze dort balgen werden“, sagte Kuhne dieser Tage am Rande einer Konferenz der deutschen Friedrich Ebert Stiftung in Prag. „Das sind Dinge, um die man sich kümmern muss, genauso wie um die Sicherung von sensiblen Infrastrukturen. Wenn wir in unser Haus gehen und irgendwelche Lichtschalter anknipsen, dann merken wir ja gar nicht mehr, dass wir uns dabei eigentlich auf Software verlassen müssen, die die Verteilung von Strom, Heizöl und ähnlichem steuert. Wenn irgendeiner das mal lahm legt, dann stehen wir im doppelten Sinne auf dem Schlauch, und darum müssen wir uns kümmern.“

Der Schutz vor Angriffen auf Datennetze und andere kritische Infrastruktur ist daher ein zentrales Thema des neuen Berichts. Weitere Schwerpunkte sind der Kampf gegen den Terrorismus, der Schutz der Grenzen, Sicherheit der Energieversorgung, ungelöste regionale Konflikte in der Nachbarschaft der EU, das Problem der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und die Forderung, ein Europäisches Ziviles Friedenskorps einzurichten.

Die europäische Sicherheitsstrategie sieht nämlich in erster Linie eine Verknüpfung von zivilen Maßnahmen vor, und nur im Notfall auch militärische. So soll etwa die Sicherheit der Energieversorgung ausdrücklich nicht mit militärischen Mitteln garantiert werden, sondern mit ökonomischen, diplomatischen und technischen.

Foto: Europäische Kommission
Nach den diesjährigen Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten kann man dafür auch mit mehr Unterstützung aus Washington rechnen, meint Libor Rouček, der stellvertretende Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im Europaparlament:

„Die Vereinigten Staaten haben große Handels- und Budgetdefizite, der Wert des Dollar ist tief gesunken. Wenn die Vereinigten Staaten sich mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu Hause beschäftigen wollen, müssen sie sich im Ausland anders verhalten. Meiner Meinung nach haben nicht nur die Demokraten, sondern auch die Republikaner begriffen, dass sie alleine zu wenig in der Welt schaffen. Ich kann eine militärische Supermacht sein, aber in der globalen Welt mit ihren globalen Herausforderungen können wir die Probleme der Gegenwart ohne Zusammenarbeit mit Europa, mit China, mit Russland und anderen Akteuren nicht lösen. Meiner Meinung nach wird sich nach den Wahlen dieses Verständnis auch in Amerika erweitern.“


Javier Solana  (Foto: ČTK)
Was die militärischen Kapazitäten betrifft, so müssen laut Helmut Kuhne vor allem das Problem der „ungleichgewichtigen Beteiligung“ der Mitgliedstaaten an den EU-Missionen und die so genannte Hubschrauberkrise gelöst werden. Es müsse langfristig damit Schluss sein, dass „wir in der Europäischen Union mit 24 verschiedenen Typen von Hubschraubern herumfliegen“, so Kuhne.

In seinem neuen Bericht fordert das Europäische Parlament den Hohen Vertreter für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, auch dazu auf, über Vorschläge für eine „neue Partnerschaft“ zwischen der EU und der NATO nachzudenken.

„Die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind gleichzeitig auch Mitgliedstaaten der Nato“, so Kuhne.„Und da wir Armeen nicht klonen können, gibt es immer nur ein und dieselben nationalen Armeen, aus denen man Truppenverbände für Nato-Einsätze, UN-Einsätze oder gegebenenfalls auch EU-Einsätze holen kann. Ein Gegensatz existiert da eigentlich nicht. Man muss sich nur genau über die Frage verständigen: Wer macht was?“

Auf dem Balkan etwa hat das bereits funktioniert:

„Die Europäische Union hat in Bosnien-Herzegowina das Kommando über Truppen übernommen, die vorher Nato-Truppen waren. Es hat seine Logik, dass die EU das macht, denn das ist schließlich unser Vorhof, Hinterhof oder wie immer man das sehen will, und da müssen wir selbst die Verantwortung übernehmen.“

Aus tschechischer Sicht wird wohl jene Passage des Berichts den meisten Diskussionsstoff abgeben, die sich mit dem geplanten Bau eines US-amerikanischen Raketenabwehrsystems in Mitteleuropa beschäftigt. Das Europäische Parlament ist nämlich mehrheitlich der Ansicht, dass diese Pläne die internationalen Abrüstungsbemühungen behindern könnten, und dass Fragen des strategischen Gleichgewichts in Europa nicht Gegenstand bilateraler Debatten zwischen den USA und einzelnen europäischen Ländern sein sollten. Die tschechische Regierung sieht das anders: Sie hält am Plan fest, ein amerikanisches Radarsystem in Mittelböhmen zu errichten. Gerade ein solches System nämlich leiste auch zur Sicherheit in Europa seinen Beitrag, heißt es in Prag.