Swingmusik im Protektorat

Lubomir Doruzka

Am 15. März 1939 marschierten deutsche Truppen in die so genannte Resttschechei ein. Das Protektorat Böhmen und Mähren entstand. Wie überall im Deutschen Reich lebten auch hier Jugendliche und junge Erwachsene, die begeisterte Musikfans waren und die aus Amerika kommende Swing- und Jazzmusik spielten und hörten. Die Nazis verurteilten diese Musik als rassisch entartet, Angehörige der Swing Jugend wurden verfolgt und landeten oftmals in KZs. Zu der Gruppe jener Jazzfans, die sich auch von Verboten, Verfolgungen und Verhaftungen nicht abschrecken ließ, gehörte damals Lubomir Doruzka, der sich heute an jene Jahre erinnert.

Lubomir Doruzka
Die Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit unterschied sich in nichts von anderen demokratischen Staaten jener Jahre. Man ging ins Kino, Theater, in Revuen und Kabaretts oder aber zu Jazz- und Swingkonzerten. Die neue, aus Amerika kommende Musik war für die damalige tschechische Jugend von großer Bedeutung, wie Lubomir Doruzka erklärt:

"Bei uns war es noch ein bisschen anders, denn diese neue Musik, das war für die neue Generation ein Symbol des Protestes und zwar das war die Musik, die ihre Eltern und ihre Lehrer nicht mögen, das war eine Sache und die andere war, dass es eine Musik war, die auch von den nazistischen Regime nicht begrüßt worden ist. Also, es hatte auch einen politischen Geschmack."

Jener politische Beigeschmack nahm zwar im Verlauf des Krieges zu, doch ganz verboten wurden die Bigbands, die jene Musik spielten, nicht, eher im Gegenteil. Heute scheint es fast unglaublich, wie viele Bigbands im Protektorat existierten und wie viele Plattenaufnahmen zwischen 1939 und 1943 entstanden.

"Dann 1939 sind die tschechischen Hochschulen geschlossen worden und die Studenten standen vor einer Wahl, was sie nun tun möchten. Es drohte die Gefahr, dass sie nach Deutschland in die nazistischen Fabriken abgeholt werden. Da wandten sich viele von ihnen der Musik, die sie früher als Steckenpferd gemacht haben, professionell, berufsmäßig zu. Und das war auch ein Grund, warum es in den 40er Jahren so viele Bigbands gab."

Bis zum Kriegseintritt der Amerikaner im Dezember 1941 konnte, wer Glück hatte, im Protektorat amerikanische Schallplatten kaufen. Bekannt war der Laden Koruna in Prag, in dem die begehrten Platten für eine Krone zu erstehen waren. Doch mit dem weiteren Kriegsverlauf, wurde die Situation für die Jazzfans immer schwieriger. Oftmals fand man typisch tschechische Lösungen für auftretende Probleme:

"Die Arrangements waren meistens tschechisch natürlich. Aber man hat natürlich auch amerikanische Titel gespielt, denn das war Klassik, am Anfang war das möglich. Dann später, wenn Amerika auch in den Krieg kam, sollte man keine amerikanischen Titel spielen. Das hat man so gelöst, dass man ihnen einfach tschechische Autoren zugeschrieben hat. Man hat neue Autoren erfunden und die sollten die amerikanische Musik komponiert haben. Das war natürlich ein Unsinn. Und jeder wusste das, das war ein öffentlicher Witz."

Einer der bekanntesten Arrangeure war damals Fritz Weiss, dessen Name bei Plattenaufnahmen oder Konzerten nicht angeführt werden durfte.

"Fritz Weiss war ein Jude, aus einer deutsch-jüdischen Familie. Vor dem Krieg gab es in Prag ein Gymnasium, das hieß PEGS Prague Englisch Grammar School und dort studierten deutsche, jüdische und tschechische Schüler gemeinsam ohne jedwede Schwierigkeiten. Mit der Ankunft der nazistischen Ideologie hat sich das geändert natürlich. Und auch die Band, die damals auf der Prager English Grammar School entstand, ist zerfallen, die konnte nicht mehr existieren. Fritz Weiss kam in die Emil Ludwig Band. Das war eine Band, meistens aus Studenten bestehend und für die Big Band schrieb er Arrangements und er übte auch mit der Band als ein musikalischer Leiter."

Im Herbst 1941 begann die Deportation der tschechischen Juden - im November 1941 traf der erste Transport in Theresienstadt ein, kurz darauf wurde auch Fritz Weiss in das Ghetto Theresienstadt deportiert.

"Nachdem er nach Theresienstadt deportiert worden ist, hat er auch die Möglichkeit gefunden, um dort Notenpapier zu bekommen und aus Prag hat man ihm neue Themen, neue Lieder zugeschickt und die hat er in Theresienstadt arrangiert und das Arrangement wieder mit der Hilfe eines tschechischen Gendarmen nach Prag geschmuggelt. Dort hat diese Arrangements das Karel Vlach Orchester aufgenommen, natürlich ohne Angabe des Namens des Arrangeurs - und das waren die größten Hits von jener Zeit."

In Theresienstadt selbst hatte Fritz Weiss eine Band gegründet, die "Ghetto Swingers". Diese sind in dem Film: "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" zu sehen, den Hitler aus Propagandazwecken im Sommer 1944 in Theresienstadt drehen ließ. Kurz danach wurden die Bandmitglieder nach Auschwitz deportiert, Fritz Weiss starb dort gleich nach der Ankunft.

Lubomir Doruzka gehörte in jener Zeit zu den großen Jazz- und Swingfans und ließ sich durch nichts davon abschrecken, ja er gab sogar eine Untergrundzeitschrift über die so geliebte Musik heraus.

"Und dann haben wir die Möglichkeit gefunden, dieses vervielfältigte Schreiben praktisch wie eine Zeitschrift herauszugeben, was natürlich in den Kriegszeiten nicht erlaubt worden ist und alle Vervielfältigungsmaschinen wurden streng beobachtet. Doch haben wir in einer Fabrik eine Möglichkeit gefunden, wie das zu machen und gegen Ende des Krieges haben wir schon diese Zeitschrift in einer Auflage von 300-400 Nummern gedruckt. Wir waren uns bewusst, was für Folgen das haben konnte. Wir haben Glück gehabt und nichts ist passiert."

Gegen Ende des Krieges waren die meisten Tanzlokale geschlossen, in Restaurants und Cafes wurde keine Musik mehr gespielt, so traf man sich in Privatwohnungen.

"Man musste eine ziemlich große Wohnung zur Verfügung haben, denn manchmal sind 15 vielleicht auch 20 Menschen zusammengetroffen und die haben zusammen Schallplatten gehört, die sie aus verschiedenen Quellen bekommen haben, aus Amerika. Die haben auch natürlich Rundfunksendungen und Rundfunknachrichten von der BBC oder von den amerikanischen Sendern gehört. Es war sehr lustig und manche erinnern sich noch immer an diese Zeiten, obwohl es Krieg war, obwohl sie unter Gefahr gelebt haben, aber es waren doch ihre Jugendzeiten."

Die Musik des heutigen Geschichtskapitels stammt übrigens von der vor kurzem erschienen CD "Harlem vola" mit Originalaufnahmen der Emil Ludwig Band aus den Jahren 1941 bis 1943.