Dan Weinstein und sein "Weg zum letzten Garten"
Der 1925 in Nordböhmen geborene, deutsch-jüdische Schriftsteller Dan Weinstein lebt seit vielen Jahrzehnten in Israel. Vor kurzem war Weinstein zu Besuch in Prag, und zwar anlässlich der Präsentation seines Romans "Der Weg zum letzten Garten", erschienen im deutschsprachigen Prager Vitalis-Verlag. Gerald Schubert hat die Gelegenheit genutzt und ein Gespräch mit Dan Weinstein geführt. Hören Sie dazu die nun folgende Ausgabe der Sendereihe "Heute am Mikrophon":
Sie sind in Leitmeritz geboren und dann 1938, nach dem Münchner Abkommen, nach Prag gegangen. Später wurden Sie ins Konzentrationslager deportiert und Sie haben Auschwitz überlebt. Welche Beziehung haben Sie denn nach Ihrer Vita eigentlich zur deutschen Sprache? Sie schreiben auf Deutsch, und auch der Verlag, in dem Sie Ihr Buch publiziert haben, ist der einzige deutschsprachige Verlag in Prag.
"Zum Vitalis-Verlag bin ich folgendermaßen gekommen: Ich habe einmal einen Führer durch Theresienstadt ins Deutsche übersetzt, den meine Kameraden im Kibbuz auf Hebräisch geschrieben hatten. Einer dieser Freunde hat sich damals an mich gewandt, weil er wusste, dass ich gut deutsch kann. Diese Übersetzung war eine ziemlich schwierige Arbeit, Hebräisch hat eine ganz andere Struktur als das Deutsche. Irgendwie ist es mir aber doch gelungen. Danach hat der Freund einen Verlag gesucht, der das herausgibt. In Deutschland hat er keinen gefunden. Also hat er sich an meinen Neffen gewandt, der in Prag als Übersetzer arbeitet - hauptsächlich aus dem Englischen ins Tschechische. Und der Neffe hat ihn zum Vitalis-Verlag geschickt. So habe ich den Herrn Salfellner kennen gelernt (den Gründer und Leiter des Vitalis-Verlags, Anm.), und ihm das Manuskript gebracht. Und es hat ihm wahrscheinlich gefallen, denn er hat beschlossen, es herauszubringen."
Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie an die Zeit des Münchner Abkommens und die Zeit danach? Wie ist Ihr persönliches Schicksal damals verlaufen?
"Als ich dreizehn Jahre alt war, marschierten die Deutschen in Leitmeritz ein. Einige Wochen sind wir noch dort geblieben. Im November 1938 kam dann die berühmte Kristallnacht. Meinen Vater hat man ins Konzentrationslager gebracht. Dort war er sechs Wochen. Nachdem er zurückkam, sind wir sofort hierher nach Prag gegangen. Als die Deutschen dann auch hierher kamen, war ich vierzehn. Natürlich hatte ich keine Ahnung, was uns bevorsteht, aber wir wussten natürlich, dass die Situation katastrophal ist. Ich erinnere mich noch, wie mein Vater herumgelaufen ist, von Konsulat zu Konsulat, um irgendwie hinaus zu kommen, oder wenigstens uns hinaus zu bringen. Das ist ihm nicht gelungen. Meine Schwester und ich kamen nach Theresienstadt. Meine Mutter ist keine Jüdin, deshalb ist mein Vater hier in Prag geblieben. Meine Schwester hatte das riesige Glück, die ganze Zeit in Theresienstadt zu bleiben. Ich selbst kam im Herbst 1944 nach Auschwitz, und dann noch nach Deutschland, in eine Waffenfabrik. Bis zum Ende des Krieges. Wir sind also eine der wenigen Familien, in der alle den Holocaust überlebt haben. Es gab nicht viele solche Familien. Nach dem Krieg war ich bis 1949 hier in Prag. Aber ich habe mich nicht als Tscheche gefühlt, als Deutscher bestimmt nicht, und Zionist war ich sowieso. Also bin ich mit einer Gruppe von jungen Leuten nach Israel gefahren und habe dort einen Kibbuz aufgebaut."
Wie sehen Sie Prag heute? Wie nehmen Sie auf Ihren Reisen die Veränderungen der Stadt wahr, und wie fühlen Sie sich, wenn Sie heute nach Prag kommen?
"Ich fühle mich sehr gut in Prag, ich liebe Prag! Ich spaziere hier gerne herum und sehe mir die schönen Fassaden der alten Häuser an. Die bezaubern mich. Aber damals, 1938, als ich aus Leitmeritz nach Prag kam...! Leitmeritz ist eine sehr kleine Stadt. Und die Großstadt Prag war für mich etwas Phantastisches. Das war eines der größten Erlebnisse, an die ich mich erinnern kann, etwas, das ich noch nie gesehen hatte: Die riesige Stadt, die Neonlichter, die elektrische Beleuchtung und all das. Für mich als Dreizehn- oder Vierzehnjähriger war das ein phantastisches Erlebnis!"
Kommen wir zu Ihrem Buch, das einer der Anlässe ist, warum Sie gerade wieder einmal in Prag sind. Ich hatte schon die Möglichkeit, drinnen zu blättern. Am Klappentext steht: "Dan Weinstein lässt die Handlung seines Zukunftsromans in einer nachapokalyptischen, in Trümmern liegenden Welt spielen." Die Hauptfigur Ihres Buches begibt sich auf die Suche nach dem Daseinssinn. Muss die Menschheit erst eine Apokalypse durchleben, um sich auf diesen Weg zu begeben? Oder ist hier vielleicht von Ihrer persönlichen Apokalypse aus der Jugendzeit die Rede?
"Es ist durchaus möglich, dass auch etwas von meinen persönlichen schweren und gefährlichen Erlebnissen hineinspielt. Aber was ich hier eigentlich erzählen will: Ich versuche mir vorzustellen, wie unsere Welt in ungefähr 3000 Jahren aussehen wird, wenn die Menschen so weitermachen wie jetzt. Man kann das auch fast als ökologische Apokalypse interpretieren. Ich beschreibe eine Welt, die in Ruinen steht, eine Wüste. Es gibt viel weniger Menschen als heute. Sie leben in Gruppen, weit voneinander entfernt. Und das Buch ist eigentlich eine Art Reiseroman. Ein sechzehn-, siebzehn- oder achtzehnjähriger Junge begibt sich auf eine Reise. Er sieht ein Bild und will daraufhin einen Garten finden, in dem es wirklich Bäume gibt. Er hat noch nie Bäume gesehen. Es gibt keine in seiner Umgebung, die Menschen wissen überhaupt nicht, was das ist. Er findet ein modernes Vehikel, das irgendwie aus der Vergangenheit übriggeblieben ist. Also er begibt sich auf den Weg und erlebt alle möglichen komischen und sonderbaren Abenteuer. Am Ende meint mein Protagonist, in hunderttausend Jahren wird es wieder überall auf der Welt Bäume geben. Und dann sagt er: Hunderttausend Jahre sind eine kurze Zeit."
Das Gespräch mit Dan Weinstein hat Gerald Schubert geführt, Weinsteins Roman "Der Weg zum letzten Garten" ist soeben im Prager Vitalis-Verlag erschienen.