Verfolgt, vertrieben, vergessen: Die jüdische Künstlerin Malva Schalek

Malva Schalek war gefangen in der politischen Umbruchzeit des frühen 20. Jahrhunderts. Die Künstlerin mit einer bewegten Geschichte ist mittlerweile vergessen. Ein deutscher Journalist möchte das ändern.

Sie war Jüdin, Deutschböhmin und Künstlerin. Im Wien des frühen 20. Jahrhunderts hat sie sich einen Namen als Malerin gemacht, danach gerieten ihre Werke aber in Vergessenheit. Auch gibt es nur wenige Aufzeichnungen über sie. Dennoch schreibt gerade ein deutscher Journalist und Schriftsteller an einer Biografie über Malva Schalek. Ralf Pasch beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Künstlerin. Seine Arbeit hat er kürzlich in Prag vorgestellt. Im Interview mit Radio Prag International erläuterte er:

Ralf Pasch | Foto: Archiv von Ralf Pasch

„Malva Schalek ist hier geboren. Sie stammt aus einer jüdischen Familie und hat schon als junge Frau in München und Wien eine Ausbildung zur Künstlerin gemacht. In Wien hat sie ihre Künstlerkarriere gestartet und wurde zu einer bekannten Künstlerin in der Zeit der Jahrhundertwende.“

Nach dem Ende ihrer Ausbildung blieb Schalek in Wien, wo ihr Onkel ihr ein Atelier zur Verfügung stellte. Dort habe sie sich einen Ruf als Malerin gemacht und Ansehen genossen, so Ralf Pasch. Der Biograf erzählt ihre Geschichte weiter:

„Sie hat lange in Wien gelebt und gearbeitet. Als dann 1938 die Nationalsozialisten in Österreich einmarschiert sind, floh sie zu ihrem Bruder in die Sudetengebiete der Tschechoslowakei. Im selben Jahr sind die Nazis auch dort eingefallen. Malva rettete sich ins Innere der Tschechoslowakei, nach Prag.“

Flucht vor den Nazis ohne Happy End

Schalek war gebürtige Jüdin. Es wird angenommen, dass sie ihre Religion behalten hat. Ob sie jedoch gläubig war oder ihre Religion praktiziert hat, ist nicht bekannt. Für die Nazis war allein ihre Abstammung Grund genug, sie zu verfolgen. So auch in Prag. Die Hauptstadt der Tschechoslowakei wurde Mitte März 1939 von den deutschen Truppen besetzt. Das sollte das Ende ihrer Flucht sein. In ihrer Bleibe nahe dem Altstädter Ring erhielt Schalek den Deportationsbefehl ins Ghetto Theresienstadt. Bei seiner Lesung in Prag führte Pasch aus:

Ghetto Theresienstadt | Foto: Holocaust Memorial Miami Beach

„Das Ghetto ist nur der Vorhof der Hölle. Von dort gehen Transporte nach Auschwitz ab. Malva erfährt eines Tages, dass auch sie gehen muss. In Auschwitz verliert sich dann ihre Spur. Sie soll an Schwäche und Krankheit gestorben sein, nicht in der Gaskammer. Das schreibt ihr Bruder Robert Schalek nach 1945 seinen Verwandten.“

Im Konzentrationslager fing Malva Schalek wieder an, zu malen. Das sind auch jene Bilder, die sichergestellt wurden. Nach der Befreiung durch die Alliierten wurden ihre Werke in Israel aufbewahrt.

Foto: Daniel Grabowski,  Radio Prague International

Die Tatsache, dass Schalek nicht mehr so bekannt ist wie zu ihren Lebzeiten, liegt möglicherweise an dem geringen Nachlass. Oder aber daran, dass Schalek künstlerisch ihrer Zeit hinterher gewesen sein soll. Das mache die Künstlerin aber nur noch interessanter, betont Pasch:

„Ich halte sie für eine vergessene Künstlerin. Das liegt vermutlich auch daran, dass sie nicht mehr auf der Höhe der Zeit war. Die Kunst hatte sich schon weiterentwickelt, und die damals aktuellen Strömungen hat Schalek nicht verfolgt, sondern ist eher konventionell geblieben. Ich empfinde sie dennoch als spannende Künstlerin, weil sie ihrem eigenen Stil treu geblieben ist, statt der Mode hinterherzulaufen.“

Für Schalek soll nichts so faszinierend gewesen sein, wie die Kunst. Dafür habe sie andere Dinge im Leben hinten angestellt, erzählt Pasch.

„Malva hat – soweit ich das beurteilen kann – eine starke Leidenschaft für die Kunst angetrieben. Man sagte, sie sei mit der Kunst verheiratet gewesen. Das war etwas sehr besonderes. Der typische Werdegang damals lautete: heiraten, Kinder kriegen und eine Familie haben. All das hat Malva nie getan, sie hat sich voll und ganz der Kunst gewidmet. Kunst war für sie, würde ich sagen, Leidenschaft. Religion war ihr vollkommen egal, hier war sie einfach nur Mensch.“

Gemälde aus einer weiblichen Perspektive

Ein Teil von Schaleks Kunst waren Bilder von Frauen oder Bilder aus einer weiblichen Perspektive. Als eine ihrer letzten Ausstellungen kurierte sie 1937 eine Ausstellung allein mit Frauenportraits. Das soll damals ein mutiger Schritt gewesen sein, erzählt Pasch und führt aus, wie speziell weibliche Sichtweisen ihre Kunst beeinflusst hätten.

„All die Themen, die heute so präsent sind, also Fragen der Emanzipation und wie Frauen in der Gesellschaft eingebunden sind, waren auch für Malva sehr wichtig. Besonders weil sie Künstlerin werden wollte. Sie konnte aber den typischen Weg eines Studiums nicht gehen, weil Frauen nicht auf die Kunstakademien gehen durften, dafür waren sie nicht zugelassen.“

Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte eine strenge Geschlechterordnung. Reguläre Universitäten waren Männern vorbehalten. Damals waren die Geschlechter nicht gleichgestellt. Frauen waren den Männern untergeordnet und mussten ihnen gehorchen. Zu dieser Zeit begannen die Frauen jedoch, sich von den Männern zu emanzipieren.

„Besonders unter den Künstlerinnen sind viele Frauen sehr stark geworden. Malva etwa ging an eine private Kunstschule in München, die von Frauen gegründet wurde, damit es nicht mehr nur den Männern vorbehalten war, Kunst zu studieren. Allein das ist eine spannende Geschichte, und hier steht Malva auch für die Frauen dieser Zeit und für die Emanzipationsbewegung.“

Ralf Pasch ist Journalist und Schriftsteller von Sachbüchern. Auf Malva Schalek sei er vor etwa zehn Jahren aufmerksam geworden, sagt er. Damals absolvierte er ein Praktikum beim Collegium Bohemicum in Ústí nad Labem / Aussig an der Elbe.

Ralf Pasch mit Übersetzerin Markéta Richterová in der Prager Stadtbibliothek | Foto: Daniel Grabowski,  Radio Prague International

„Mein Auftrag lautete, zwei Nachlässe, also zwei Leben in eine Ordnung zu bringen. Die Hinterlassenschaften stammten von Robert Schalek und seinem Sohn Fritz Schalek. Fritz wurde 1913 geboren, im selben Jahr wie mein böhmischer Großvater Alois. Mein Vater kam in dem Jahr zur Welt, in dem Fritz‘ Tante Malva in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurde. Das war 1942. Alles Zahlenmystik? Hier in der Stadt der Alchemisten sei mir das erlaubt.“

Wie die Malerin hat auch Pasch eine Familie mit einer deutschböhmischen Vergangenheit. Sein Großvater Fritz war Sudetendeutscher auf der Seite der Nationalsozialisten. Mit diesen Gemeinsamkeiten als Hintergrund begann Pasch damit, sich mehr mit den Schaleks und dann auch im Besonderen mit Malva Schalek zu befassen:

„An einem Punkt in meiner anfänglichen Recherche habe ich festgestellt, dass es einige Parallelen zwischen den Schaleks und meiner väterlichen Familie gibt. So etwa parallel laufende Ereignisse und wiederkehrende Jahreszahlen. Da wurde das für mich immer intensiver, weil ich gemerkt habe, dass meine deutsch-tschechische Geschichte sich in eine ganz andere Richtung entwickelt hat als die von Malva – auf einer politischen und historischen Ebene. Auf diese Art habe ich sehr viel über die Geschichte gelernt.“

Zwei parallele Familiengeschichten

Unter anderem, so erzählt Pasch, fühle er sich immer mehr mit dem eigenen Großvater konfrontiert. Dieser habe sich negativ über Tschechen geäußert, obwohl er selbst auf tschechischem Gebiet gelebt und sich später zum Nationalsozialismus bekannt habe. All das habe er festgehalten in Aufzeichnungen, die noch existieren.

„Ich bin sozusagen mit seinem schriftlichen Erbe konfrontiert. Die Auseinandersetzung mit meinem Großvater ist für mich genauso schwierig wie das Projekt über Malva. Die Arbeit mit der Geschichte der Familie bietet mir aber auch die Chance, mich über eine Art Umweg mit meiner eigenen Geschichte zu konfrontieren.“

Malva Schaleks Geschichte ist die einer Deutschböhmin, einer Frau, einer Jüdin und einer Künstlerin. Das alles mache sie einzigartig, dennoch, so Pasch, sei Malva Schalek noch mehr als das.

„In dem Moment, in dem ich eine Lebensgeschichte aufschreibe, entreiße ich sie sozusagen dem Vergessen, und ich bewahre sie in einer gewissen Form auf. Genauso ist das bei Malva. Ich werde oft gefragt, warum ich so viel zu dieser Malerin recherchiere, die doch nicht bekannt, eher sogar vergessen ist. Aber sie diesem Vergessen zu entreißen und sie als Protagonistin für eine spannende Zeit zu sehen, hat für mich viel Reiz.“

Um Schalek nicht weiter in Vergessenheit geraten zu lassen, plant Pasch eine Ausstellung mit jenen Werken der Künstlerin, die er organisieren kann. Die Planungen hätten bereits begonnen. Diese Ausstellung würde sich Pasch im Jüdischen Museum in Wien wünschen – an dem Ort, an dem Malva Schalek zur angesehenen Künstlerin wurde und von dem sie vor dem Nationalsozialismus fliehen musste.

Autor: Daniel Grabowkski
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