Boskovice und Familie Mensdorff-Pouilly (Teil 2)
Die Adelsfamilie Mensdorff-Pouilly: um das Jahr 1850 nach Mähren gekommen, nach dem kommunistischen Putsch 1948 in der Tschechoslowakei enteignet, nach 1989 wieder zurück zu Hause und dort festen Fuß gefasst. Eine Lebensgeschichte, deren erster Teil Sie vor zwei Wochen in unserer Sendereihe Begegnungen hören konnten. Der angekündigte Teil Zwei steht eben heute an. Mit Hugo und Friedrich Mensdorff - Pouilly unterhält sich auch diesmal Jitka Mladkova:
Hugo Mensdorff-Pouilly:
"Wir haben vorher nicht gezögert und so haben wir nachher kein Zögern benötigt. Wir haben gewusst, was wir wollen. Alle miteinander!"
Gab es irgendwelche Stolpersteine in diesem Restitutionsprozess?
"Sie wissen gut, dass bis heute Steine, Berge von Steinen dort liegen, die man überschreiten und stolpern muss, um weiter zu kommen. Nichts desto trotz, Gott sei Lob und Dank, dass es so gekommen ist! Außerdem muss man diesem Staat das eine zusagen, dass man hier restituieren konnte. In den Nachbarländern ist es nicht der Fall gewesen, nicht wahr? Nicht in Ungarn, nicht in Polen, nicht in Deutschland. Man darf nicht vergessen, dass die Besitzer in Ostdeutschland gar nicht oder nur ganz schwer haben dran kommen können. Also für uns war das schon eine Gabe!"
Welcher war der größte Stein von dem Berg der Stolpersteine?
"Der größte? Es gab nur große, aber man hat sie bewältigt."
Konkret wollen Sie nicht sein?
"Was weiß ich? Es waren hunderte von Stolpersteinen. Warum wollen Sie wissen, welcher der größte war? Sie waren alle groß oder gleich klein, wie Sie wollen. Und stolpern kann man auch über den kleinsten Stein."
Der Adel oder eine adelige Familie hatte in den früheren Zeiten eine andere Position in der Gesellschaft als jetzt, besonders in einer Gesellschaft, die vierzig Jahre Kommunismus erlebt hat. Wie haben Sie dies wahrgenommen - als Adeliger, der nicht mehr Hauptträger der Bildung, der Kultur, also nicht mehr eine ausschlaggebende Person im Ort ist? Wie lebt man in einer solchen Position?
"Sicher nicht ausschlaggebend, aber Träger bestimmt. Dadurch, dass wir hier etwas von Kultur besitzen, bringen wir natürlich etwas mit. Und das muss mit anderen Subjekten zusammenspielen, um Kulturträger... Ja, Kulturträger?! Kulturträger waren die Nazis. Ich kann mich an diesen Ausdruck erinnern und habe ihn nicht gern. Ich bin kein Träger, ich habe zu tun mit meinem eigenen Leben, es zu tragen. Also ich bin wirklich kein großer Träger! Aber Kultur natürlich. Schon dadurch, dass man etwas solches besitzt und es ermöglicht, auch andern Leuten dies wahrzunehmen, dass hier Kultur ist. Entweder als Besucher des Schlosses, für die wir wie viele andere das Schloss öffnen, und außerdem passieren hier auch Kulturereignisse, Konzerte, Treffen oder was auch immer. Und das ist ein Teil der Kultur. Also Kulturträger, wenn Sie es so hören wollen, sind wir trotz allem. Auch heute noch."Sie sind auch Unternehmer geworden.
"Das ist heutzutage wie jedes andere Unternehmen. Das ist in der ganzen Welt so, selbst im konservativen England sind solche Sachen heute auch Unternehmen."
Ich wollte nur sagen, dass sich das tschechische Volk das abgewöhnt hat, in Berührung mit Adeligen zu leben. Jetzt sind Sie da als Besitzer eines Vermögens aufgetaucht, wie werden Sie hier in der Region oder namentlich hier in dieser Stadt wahrgenommen?
"Wenn ich demjenigen nachschauen sollte, der mich gern hat und der mich hasst, komme ich überhaupt nicht weiter. Wir sind was wir sind, wir müssen wirklich etwas tun, um weiter zu kommen. Wir werden vielleicht teilweise sehr gehasst, ich weiß es nicht, aber es interessiert mich nicht. Es passiert, dass ich in die Stadt gehe und es grüßt mich jemand, den ich gar nicht kenne, und er weiß ganz genau, wer ich bin. Es ist sehr nett, ich antworte sehr gerne, und die Leute müssen sich halt wieder daran gewöhnen, dass nicht alles allen gehört. Das hat nichts gebracht, wie wir gut wissen. Das hat zu einer Katastrophe geführt - im ganzen Land und weltweit im ganzen System. Alle Schwierigkeiten, die ein Besitz bringt, müssen wir auch mittragen. Es ist nicht nur das, dass wir protzen. Es ist nichts zum Protzen. Wir müssen weiter schauen, dass es erhalten wird und dass es weiteren Generationen dient und hilft. Das ist alles. Es ist mehr zu tun und es sind mehr Pflichten als alles andere."
Friedrich Mensdorff-Pouilly:
"Man ist zu Hause! Ich war fünfzig Jahre weg und bin jetzt zurückgekommen!"
Sind Sie währen der kommunistischen Vorherrschaft in der Tschechoslowakei nicht zu Besuch gekommen?
"Ich durfte nicht. Ich durfte nur zum Begräbnis unserer Eltern kommen. Das war alles. Und dann erst nach 1989. Nach der Wende bin ich immer wieder hergekommen, z.B. im Sommer, um Ferien zu machen, und seit einiger Zeit bin ich hier wieder zu Hause zurück."
Wie war für Sie das erste Wiedersehen nach so vielen Jahren? Waren Sie gerührt?
"Sehr gerührt! Sehr, sehr, sehr gerührt!"
Hugo Mensdorff-Pouilly:
"Das bringt ja Emotionen mit sich, das ist klar."
Immerhin, Sie leben hier nicht in der Isolation. Ich nehme an, Sie sind irgendwie in das Leben in der Stadt involviert, oder?
"Sicher. Man kann nicht isoliert sein hier oben, weil das Schloss oberhalb der Stadt liegt. Wir können nicht sagen, wir sind etwas ganz anderes als ihr da unten, oder: Wir können auf euch runterspucken. Nein, das geht halt nicht. Man muss mit der Stadt oder sagen wir mit der Stadtverwaltung zusammenarbeiten. Die Beziehungen verbessern sich ständig, und dies schon seit Jahren, muss ich sagen. Und eben wegen Kulturaktionen müssen wir mit der Stadt zusammenarbeiten. Einmal braucht die Stadt etwas von uns, einmal brauchen wir selbst die Zusammenarbeit mit der Stadt. Wir können nicht isoliert leben, das bringt nichts."
Die Adeligen pflegten auch als Mäzene aufzutreten. Sind Sie es auch?
"Moment! Mäzene, Mäzene!! Was wollen Sie damit sagen? Das ist ein großer Begriff, aber sagt nicht viel. Mäzene werden wir bestimmt wieder einmal werden, aber zuerst müssen wir unsere eigenen Sachen in Ordnung bringen. Natürlich unterstützen wir selbst hier in Boskovitz zwei Unternehmen die Hilfe brauchen, da sind wir doch schon etwas aktiv. Wir unterstützen auch die Kirche. Die braucht auch etwas. Ich glaube, das sind so kleine Dinge, die können wir immer wieder tun, aber nichts Großes, weil wir jeden Pfennig, jeden Heller brauchen, um zu erhalten, was zu erhalten ist. Diese Kulturstätte, unser Schloss, ist sehr kostspielig."
Wird das Schloss teilweise auch vom Staat unterstützt?
"Nein. Kontrolliert schon, aber unterstützt nicht. Leider Gottes nicht. So weit sind wir noch nicht. Das wird natürlich schon durch Jahre im Westen sehr gepflegt. Hier wird es vielleicht auch einmal so kommen, aber bis dahin müssen wir selbst trachten, weiter zu kommen. Wir bekommen natürlich eine Unterstützung. Jetzt haben wir eine kleine Summe für unser Schlossdach bekommen, so haben wir einen Teil gemacht. Aber "grosso modo" noch nicht, das wird aber kommen, bestimmt."
Stichwort Europa. Wie sehen Sie Tschechien in der EU?
"Von Boskovice ist keine Sicht auf die EU und da, finde ich, wird es sich nicht viel ändern. Bestimmt nicht. Und auch für uns wird sich nicht viel ändern. Ich finde, es ist scheinbar keine andere Möglichkeit als in die EU hineinzukommen. Ob es das Glücklichste ist, wird sich erst in paar Jahrzehnten zeigen."