Marketing in Osteuropa: Multinationales Business im lokalen Gewand?
Inwieweit bedeutet die Globalisierung der Wirtschaft auch die Globalisierung der Marketingstrategien? Kreieren die multinationalen Riesen langsam aber sicher einheitliche Verkaufskonzepte, die auf regionale Traditionen keinerlei Rücksicht nehmen? Oder müssen sich auch die großen Konzerne auf lokale Besonderheiten besinnen, um langfristig erfolgreich zu bleiben? Und: In welcher Position befinden sich dabei die postkommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas? Auf einem Marketing-Kongress, der kürzlich in Prag stattfand, hat sich Gerald Schubert mit Experten über diese Fragen unterhalten:
Es ist einer der letzten Arbeitstage von Tomás Krásný in seiner Prager Heimat. Bislang war er Chef der hiesigen Beratungsgesellschaft Incoma, die ausländischen Unternehmen hilft, am tschechischen Markt Fuß zu fassen. Nun wechselt er nach Wien, zur Muttergesellschaft GfK, und wird dort verantwortlich für den gesamten mittel- und osteuropäischen Raum. Kurz vor seiner Abreise moderiert er in einer Prager Eishockeyhalle noch einen Fachkongress. Thema: Die Rolle von Verstand und Gefühlen im internationalen Marketing. In einer Veranstaltungspause sitzen wir mit ihm auf dem leeren Rang des riesigen Stadions, das überall in Europa stehen könnte. Über das Wesen des internationalen Marketings meint er:
"Es ist kein Geheimnis, dass die Hauptströmung in den Marketingbemühungen von internationalen Firmen gestaltet wird. Das heißt, die Prinzipien sind mehr oder weniger globalisiert. In allen Ländern, von Russland bis Österreich, sind es die internationalen Riesen, die die Trends definieren. Und das geschieht sowohl direkt als auch indirekt. Direkt durch die großen Firmen selbst, indirekt durch die kleineren und mittleren Firmen, die darauf reagieren. Marketing ist also wesentlich weniger differenziert als zum Beispiel die Politik oder die Gesellschaft."
Nehmen also die Verkaufsstrategen wirklich so gar keine Rücksicht auf die Besonderheiten verschiedener Gesellschaften? Selbst wenn sie diese Gesellschaften lediglich als Absatzmärkte betrachten: Müssen sie nicht sogar Rücksicht nehmen und ihre Marketingaktivitäten an die regionalen Umstände anpassen? Und aus der umgekehrten Perspektive: Wie empfänglich waren im Verlauf der letzten 15 Jahre die postkommunistischen Staaten für neue Einflüsse? Dazu der Generaldirektor von Fessel & GfK, Rudolf Bretschneider, der ebenfalls zu der Konferenz nach Prag gekommen ist:
Die Einbeziehung von Mentalitäten und örtlich verwurzelten, emotional besetzten Traditionen in die Verkaufsplanung ist dabei aber nicht lediglich als Bringschuld "westlicher" Konzerne zu sehen. Oft zeigt sich nämlich gerade in diesem Bereich ein nahezu umgekehrtes Bild, meint Tomás Krásný:
"Es ist wahrscheinlich überraschend, aber ich habe manchmal mehr Probleme mit lokalen Firmen. Die sind rein theoretisch ganz nah am Markt, aber in der Realität sind sie sehr arrogant. Sie verstehen oft gar nicht die Rolle von Kunden, oder die Bedeutung dessen, wie so ein Markt funktioniert. Das heißt, diese Marktarroganz ist leider mehr für lokale als für internationale Firmen typisch."
Und Tomás Krásný hat auch eine Erklärung parat, warum das so sein könnte:
"Wir Tschechen sind alle mehr oder weniger Ingenieure und nicht so gute Sozialforscher. Das heißt, wir glauben mehr an Prozentsätze als an Gefühle und solche weniger quantitativ messbare Dinge."
Bei den großen Unternehmen funktioniert die Kooperation zwischen ausländischen Großfirmen und heimischen Beratern jedoch oft sehr gut. Auch in Tschechien. Rudolf Bretschneider, Generaldirektor von Fessel und GfK:
"Es gibt durchaus Beispiele, wie etwa Baumax, wo man sehr erfolgreich mit lokalen Organisationen zusammenarbeitet. Wenn man hier nur die österreichischen Rezepte exportieren würde, dann wäre man wahrscheinlich nicht so erfolgreich. "Do it yourself" ist in der Tschechischen Republik ein Hauptbusiness. Unglaublich viele Menschen haben ihre Häuser und Hütten auf dem Land. Es ist eine Do-it-yourself-Gesellschaft - zum Teil aus Not geboren, zum Teil aber auch aus Lust und in Kenntnis dessen, wie man es wirklich macht. Wir haben diese Dinge ja teilweise schon verlernt. Das heißt, Baumax hat die lokalen Einstellungen, Attitüden und Praktiken durchaus positiv genutzt - in Zusammenarbeit mit Organisationen, die hier im Land sind."
Welches Merkmal ist für den Tschechen Tomás Krásný besonders prägend für den Markt seines Heimatlandes?
"Eine Sache, die sowohl als Vorteil als auch als Nachteil gesehen werden kann, ist die Größe. Tschechien ist nicht besonders groß - etwa so groß wie Österreich oder Ungarn. Das ist einerseits gut, denn der Markt ist relativ kompakt und man kann ihn gut organisieren. Man kann ihn gut verstehen und sich mit ihm identifizieren. Aber selbstverständlich bedeutet das andererseits auch eine Beschränkung. Denn der Markt ist nicht groß genug, um die Entwicklung spezifisch tschechischer Marken zu erlauben. Und die Marketingbudgets sind natürlich kleiner als etwa in Polen oder Russland."Apropos Polen und Russland: Wer auf den Märkten der neuen EU-Staaten und anderer osteuropäischer Länder aktiv werden will, der darf laut Rudolf Bretschneider vor allem eines nicht tun: Nämlich diese Staaten in einen Topf werfen.
"Diese Länder, von denen viele Menschen geglaubt haben, sie seien ein Block, sind natürlich nie ein Block gewesen. Sie waren es vor 1989 nicht, und seit 1989 sind sie es vielleicht immer weniger. Länder wie Ungarn, die Slowakei, Bulgarien oder Tschechien sind sehr verschieden. Natürlich: In manchen Marktbereichen sind sie in den Tendenzen ähnlich, etwa im Telekombereich, wo sich die großen Privatisierungen abgespielt haben. Was aber sehr verschieden ist, das sind etwa Nahrungsmittelmärkte. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, weil gerade auf dem Sektor der Ernährung lokale Traditionen, die sehr alt sind, immer wieder durchschlagen."
Soweit GfK-Generaldirektor Rudolf Bretschneider auf dem Prager Marketing-Kongress. Sein tschechischer Mitarbeiter Tomás Krásný wird vielleicht in Wien bald ähnliche Veranstaltungen moderieren. Und vielleicht wird sich sein Heimweh dabei in Grenzen halten. Denn auch wenn die Tschechen auf ihre brandneue Arena sehr stolz sind: Eishockey-Stadien und andere Konferenzzentren sehen überall gleich aus. Mehr oder weniger.