Jirí Dienstbier, der Nachwende-Außenminister der Tschechoslowakei
Nach der demokratischen Wende des Jahres 1989 war er der erste tschechoslowakische Außenminister: Jirí Dienstbier. Nun, fünfzehn Jahre später, hat sich Gerald Schubert mit Dienstbier unterhalten - über den Fall des Eisernen Vorhangs, die Aufarbeitung der Vergangenheit, die europäische Integration in der Gegenwart und über nach wie vor existierende Krisenherde auf unserem Kontinent.
Dieselben beiden Außenminister waren es auch, die kurz danach symbolisch den Grenzzaun am tschechisch-deutschen Grenzübergang Rozvadov-Waidhaus durchschnitten hatten. Nun, fünfzehn Jahre später, sagt Jirí Dienstbier:
"Das, was damals passiert ist, das war natürlich eine außergewöhnliche historische Situation. Ich meine manchmal: Selbst wenn ich im Leben nichts anderes erlebt hätte, als dass der Eiserne Vorhang fällt und ich mich daran in irgendeiner Weise beteiligen konnte, so könnte ich vielleicht trotzdem sagen: Ich habe genug getan. Aber eigentlich kann man das nur dann sagen, wenn einem das knapp vor dem Tod geschieht. Denn das Leben geht weiter. Und heute haben wir ganz andere, neue Probleme. Sie wissen ja, wie oft irgendwelche Fragen der Vergangenheit hervorgekramt werden. Ich habe das immer abgelehnt. Ich bin natürlich bereit, mich darüber mit Jedem privat zu unterhalten. Aber ich bin nicht bereit, auf offizieller Ebene über das zu diskutieren, was vor fünfzig oder sechzig Jahren war. Die Politik ist dazu da, dass wir uns darauf einigen, was wir tun werden, und was wir nicht tun werden. Und nicht dazu, dass wir die Vergangenheit beurteilen. Das ist Unsinn. Historiker oder Schriftsteller werden das immer tun, und sie werden dazu immer unterschiedliche Ansichten haben. Es ist ja auch gut nicht zu vergessen, es ist gut zu wissen, wie die Vergangenheit war. Aber nur, damit wir dazu in der Lage sind, die Warnsignale zu erkennen, wenn sich da etwas zu wiederholen droht."
Soviel zu den Schatten der Vergangenheit. Bilaterale Konflikte hätten jedoch auch im Lichte der Gegenwart längst einen Bedeutungswandel erfahren, meint Jirí Dienstbier.
Natürlich sollten wir auch die heutige Entwicklung der EU und ihrer Institutionen kritisch betrachten, sagt Dienstbier. Denn würden Alle einfach in Zufriedenheit verharren, dann wären auch auf diesem Gebiet keinerlei Fortschritte möglich. Für den Diplomaten aus Leidenschaft keine verlockende Vorstellung. Dennoch fügt er hinzu:
"Ich bin im Leben viel herumgekommen. In den sechziger Jahren war ich Korrespondent im Fernen Osten, und auch heute reise ich noch viel. Und ich kann sagen: Überall auf der Welt beneidet man uns um die Europäische Union. Man beneidet uns darum, dass wir einen solchen Grad von Integration erreichen konnten, und dass dies so funktioniert, wie es funktioniert. Das sollten wir auch wissen, bevor wir anfangen, uns zu beklagen."Fünfzehn Jahre ist es nun her, dass der damalige Außenminister Jirí Dienstbier weltweit zum Symbol für die Demokratisierung der Tschechoslowakei wurde. Mit seinem bescheidenen Auftreten und seinem schalkhaften Witz hat er sich quasi über Nacht die Herzen der europäischen Öffentlichkeit erobert, so wie außer ihm vielleicht nur noch der Dichterpräsident Václav Havel. Was macht Jirí Dienstbier heute?
"Ich nehme an verschiedenen Konferenzen, Verhandlungen usw. teil, aber ich habe keine offizielle Funktion mehr. Vorher war ich noch drei Jahre lang auf dem Balkan, als UN-Sonderberichterstatter der Menschenrechtskommission. Aber dieses Mandat endete im Jahr 2001 - nach dem Fall von Milosevic und dem Tod von Tudjman, als dort normale demokratische Prozesse in Gang kamen."
Und welche Zukunftsaussichten erblickt Dienstbier für jene Region, der sein letzter offizieller politischer Einsatz gegolten hat?
"Ich bin selbst was den Balkan betrifft nicht pessimistisch. Das einzige ernsthafte Problem dort ist der Kosovo. Aber das haben wir uns durch die Bombardierung Jugoslawiens und dadurch, dass wir damals die Kosovo-Befreiungsarmee an die Macht gebracht haben, selbst eingebrockt. Sonst aber, sowohl in Serbien, als auch in Kroatien, als auch in Bosnien-Herzegowina, wird sich die Situation nach all dem, was dort geschehen ist, verbessern. Vielleicht erst im Laufe der nächsten zehn, zwanzig Jahre. Der Prozess an sich aber, der ist glaube ich unumkehrbar."