Studieren über die Grenze hinweg: Die Neisse-University
Eine Universität, die nicht an einem bestimmten Ort ihren Sitz hat, sondern gleich in drei Städten in drei verschiedenen Ländern. Das gibt es in der Euroregion Neiße im Dreiländereck Tschechien-Deutschland-Polen. Wer, wie und was man an der so genannten Neisse-University studieren kann, hören Sie nun in unserem Regionaljournal mit Oliver Engelhardt:
"Die Neisse-University darf man sich nicht als ein bestimmtes Gebäude vorstellen. Es ist eine virtuelle Universität. Man kann sagen, dass es sich um ein Bildungsnetzwerk handelt, also ein Gemeinschaftsprojekt von drei Hochschulen: die technischen Universitäten in Liberec und Wroclaw sowie die Hochschule in Zittau/Görlitz. Diese drei haben die Neisse-University im Jahr 2001 gegründet. Die ersten 72 Studenten begannen damals in Liberec die Fachrichtung Informations- und Kommunikationsmanagement zu studieren. Sie verbrachten jedes Jahr in einem anderen Land. Das erste Jahr waren sie in Liberec, das zweite in Wroclaw und das dritte Jahr in Zittau. Diese Aufteilung gilt bis jetzt. Die Pädagogen aller drei Hochschulen halten ihre Vorlesungen auf Englisch. Meiner Meinung nach, ist dieses Angebot für junge Menschen sehr interessant. Unsere Generation konnte so etwas damals nicht vorstellen. Wir haben Fremdsprachen nur aus Büchern gelernt und deshalb sprechen wir nur sehr schlecht deutsch und englisch. Der Vorteil dieses einzigartigen Projekts ist die gute Sprachausstattung der Absolventen und ihre praktischen Kenntnisse der Landekunde aller drei Länder, meine ich."
Die Neisse-University bietet ihre Ausbildung in Form von dreijährigen Bakalar-Studien an. Ihre ersten Absolventen konnte die Neisse-University also in diesem Frühjahr feiern. Ein positives Signal ist sicherlich, dass sich die meisten von ihnen entschlossen haben, an einer der drei beteiligten Hochschulen bis zum Master-Titel weiter zu studieren. Ganz so weit ist der 22-jährige Falk Kunadt noch nicht. Eher zufällig, durch einen Zeitungsartikel, ist er auf die Neisse-University aufmerksam geworden. Momentan absolviert er ein Praxissemester am Dresdner Osteuropa-Institut. Bereits jetzt kann Kunadt auf die Studienerfahrungen in den drei Ländern zurückblicken. Wie sieht die Neisse-University also aus studentischer Sicht aus?
"Der Studiengang nennt sich Informations- und Kommunikationsmanagement und besteht aus sechs Modulen, unter anderem Wirtschaft, Informatik und Kommunikationswissenschaften. Auch Psychologie ist mit dabei. Es handelt sich um eine Mischung aus Natur- und Sozialwissenschaften. Das Besondere ist natürlich die Internationalität und das Miteinander nicht nur in der Schule, sondern auch privat. Wir wohnen gemeinsam im Wohnheim und studieren in kleinen Seminargruppen. Das hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass man sich näher kennen lernt, der Nachteil ist vielleicht, dass man nicht so selbstständig wird, wie an einer deutschen Universität. Aber ganz wichtig und anders als an anderen Hochschulen ist das Kennen lernen einer anderen Kultur. Dies ist Pflicht, da ja zwei Drittel des Studiums im Ausland stattfinden und ist somit fester Bestandteil des Studiums und nicht nur ein Auslandssemester."
Jeder weiß, dass studentisches Leben nicht nur aus Vorlesungen und Seminaren, nicht nur aus Lernen und Lesen besteht. Auch das angesprochene private Miteinander gehört dazu. Schwierig kann das werden, wenn man dabei in eine fremde Kultur eintauchen muss, wenn ein lockerer Abend zugleich Sprachkurs ist. Diese Herausforderung gibt es in dieser Art an kaum einer anderen Universität. Wie kommen die Studenten aus drei verschiedenen Ländern untereinander aus? Lernt man sich überhaupt untereinander kennen? Dazu noch einmal Falk Kunadt:
"Am Anfang war der Kontakt zu den Kommilitonen etwas ungewöhnlich: es kam wirklich zu einer Art Gruppenbildung der Tschechen Polen und Deutschen untereinander. Mit der Zeit hat man sich kennen gelernt und mittlerweile ist es ein reger Kontakt. Wir machen gemeinsam Ausflüge und natürlich auch Abende. Jetzt, wo alle im Praktikum sind merkt man erst, wie rege der Kontakt ist - und nicht nur mit Deutschen, sondern auch mit Tschechen und Polen. In Tschechien habe ich mich sehr bemüht tschechisch zu lernen, dasselbe auch in Polen. In Tschechien hatte ich das Glück, mit einem Tschechen zusammen im Wohnheim zu wohnen, insofern musste ich die Sprache lernen. Aber das war auch mein persönliches Ziel, diese zwei Jahre zu nutzen, um die Landessprache besser kennen zu lernen."Für Falk Kunadt sicherlich eine gute Investition in die Zukunft. Denn nach wie vor sind es nicht viele Deutsche, die gut Tschechisch und Polnisch sprechen. Zukunftsorientiert ist die Neisse-University auch in ihrem Studienangebot. Als sehr junge internationale Einrichtung geht es hier - im Gegensatz zu vielen anderen Hochschulen - nicht um Reformen, sondern immer noch um neue Anfange. Frau Kocarkova habe ich gefragt, welche Studien-Perspektiven die Neisse-University in den nächsten Jahren bietet.
"Jetzt bereitet sie neue internationale Studiengänge vor. Die deutsche und polnische Hochschule arbeiten zurzeit an der Akkreditierung eines dreijährigen Studiengangs für Architektur. Dieser Studiengang sollte sich auf Renovierung und Instandhaltung der regionalen Architektur konzentrieren. Die tschechische Wirtschaftsfakultät bemüht sich um die Akkreditierung des Magisterstudienganges Risc-Management mit dem Schwerpunkt Umweltschutz und die Fakultät für Textilwesen bereitet den Studiengang Textiltechniken vor, mit dem Schwerpunkt auf zukunftsorientierten technischen Textilien, wie zum Beispiel Textilien für die Automobilindustrie usw."
Das Spektrum der Fächer zeigt, dass die Ausbildung an der Neisse-University in manchen Bereichen bewusst einen regionalen Bezug herstellt: Wer etwa die Lausitzschen Umgebindehäuser kennt, kann sich die angesprochene regionale Architektur konkret vorstellen. Studenten der Neisse-University erhalten nicht nur eine Ausbildung in Fächern, die Zukunft haben, sondern sie lernen auch die Region sehr gut kennen. Falk Kunadt habe ich schließlich gefragt, in welchem Teil der Euroregion es ihm am besten gefallen hat:
"Als gebürtiger Sachse finde ich die Frage schwierig, aber es ist auf seine Art überall reizvoll. In Polen hat mir besonders gefallen, dass wir in der Umgebung des Riesengebirges gewohnt und studiert haben. Ich würde sagen, am besten war es in Nordböhmen, einfach die tschechische Mentalität, diese positive Skepsis. Aber auch die Natur und die Sehenswürdigkeiten haben mich schon sehr beeindruckt."
Wenn Sie mehr über die Neisse-University wissen möchten, können Sie sich auch im Internet informieren und zwar auf der Seite www.neisse-uni.org