EU-Mitgliedschaft der Türkei: Bürger wehren sich
Die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union ist ein beliebter Streitpunkt unter den Politikern vieler europäischer Länder. Am 17. Dezember wird der Rat der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abstimmen. Die Kommission hatte eine Empfehlung für Beitrittsverhandlungen ausgesprochen, allerdings auch hier mit Bedenken: ergebnisoffen müssten sie sein. Es ist eine Frage, die seit Jahren diskutiert wird - und immer mehr auch von den Bürgern der Europäischen Union. Ein Beitrag von Oliver Engelhardt:
Ein knappes Jahrhundert später und mit den Erfahrungen einiger Diktaturen in Europa stehen sich heute die Enkel der Staatsgründer gegenüber: die einen, Tschechen und Slowaken innerhalb der Europäischen Union, die anderen, Türken, außerhalb, aber mit sehnsuchtsvollem Blick nach Westen.
Doch in der politischen Diskussion um einen möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union gibt es kaum historische Argumente. Befürworter versprechen sich einen positiven Einfluss auf die gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei. Gegner einer Mitgliedschaft der Türkei in der EU verweisen auf Menschenrechtsverletzungen, die islamisch geprägte Gesellschaft und zahlreiche Schwierigkeiten mit den Beitrittsverhandlungen etwa im Bezug auf den EU-Haushalt.
Am 10. November hat die sozialliberale Regierung der Tschechischen Republik für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gestimmt und wird diese Position beim EU-Gipfel vertreten. Gleich darauf entstand eine Bürgerinitiative, die innerhalb von einer Woche 3400 Unterschriften gegen einen EU-Beitritt der Türkei gesammelt und als Petition der Regierung übergeben hat. David Gresak, Sprecher der Bürgerinitiative weiß um den geringen politischen Einfluss der Petition, aber er sieht sie auch als Signal der tschechischen Bevölkerung.
"Die Bedeutung der Petition liegt darin, dass Premier Gross, bevor er zum entscheidenden Gipfeltreffen der Europäischen Union fährt, weiß, dass es hier eine Gruppe von Menschen gibt, die damit nicht einverstanden ist, dass die Türkei der EU beitritt. Ich glaube, dass die Leute hier eine eigene Meinung haben und sich langsam bewusst werden, dass ihre Heimat nicht nur Tschechien sondern die ganze Europäische Union ist."
Die Tschechen solle man hier also nicht unterschätzen so Gresak. Viele Argumente der Gegner sind berechtigte Bedenken, aber keinesfalls unüberwindbare Hindernisse. Zum Beispiel die islamische Gesellschaft. Anfang Oktober tagte das Zentralkomitee der Konferenz Europäischer Kirchen in Prag. Der Dachverband von 126 orthodoxen, evangelischen und altkatholischen Kirchen aus ganz Europa wies in einer Presseerklärung darauf hin, dass er die türkische EU-Mitgliedschaft nicht für eine religiöse Frage hält. Es sollen offene Verhandlungen geführt werden. Ähnlich sieht es Libor Roucek, sozialdemokratischer Abgeordneter der Tschechischen Republik im Europäischen Parlament:
"Ich bin der Meinung dass man der Türkei eine Chance geben sollte, sich weiter zu reformieren. Natürlicherweise auch im Bereich der Menschen- und Bürgerrechte. Und man wird sehen, wie erfolgreich die Türkei in den nächsten fünf, zehn, fünfzehn Jahren sein wird. Also mein Ja ist noch kein Ja zur Mitgliedschaft, sondern ein Ja zum Beginn von Verhandlungen."
Das Europäische Parlament wird direkt vor dem EU-Gipfel das brisante Thema diskutieren und sein Beschluss könnte eine Signalwirkung haben.
Bleibt der Zankapfel Zypern. Der dortige Ministerpräsident Tassos Papadopoulos hat erklärt, evtl. sein Veto einzulegen. Im Prinzip habe er nichts gegen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, aber wie er sich bei der Abstimmung verhalten wolle, wenn die Türkei Zypern nicht als eigenen Staat anerkennt, sagte Papadopoulos nicht. Verständlich, dass sich Politiker vieler europäischer Länder momentan dort die Klinke in die Hand geben. Der tschechische Senatspräsident Pithart war Ende November auf Zypern, eine zypriotische Delegation war Anfang Dezember in Prag und ähnlich läuft die Diplomatie mit vielen anderen Ländern der jetzigen EU auf Hochtouren. Bei allem Tauziehen und Abwägen hat die Türkei aber bereits deutlich gemacht, dass sie am 17. Dezember eine klare Antwort möchte. Attatürks Enkel möchten auch weiterhin nach Westen blicken.